Hinter den Überlebenden stehen die Toten - Gedanken zum Massaker in Kairo

sandburgstrand

Dieser Text will versuchen eine Erklärung für die schrecklichen Ereignisse zu geben welche gegenwärtig dem Projekt des arabischen Frühling widerfahren. Der Sommer geht zur Neige, der Verfasser kehrt aus dem Wald zurück, und wo drei Jahre Aufstand waren ist ein Schlachtfeld dessen erstes Opfer die Menschlichkeit ist. Das zunächst nahezu unsichtbare Absterben des Nationalstaats ist in vollem Gange, und seine Symptome umfassen auch blutige Vorfälle von einer Dimension welche mit dem bloßen Auge wahrnehmbare Erklärungsvakuen hinterlassen. Die Tödlichkeit des Vorgangs ist in dieser Phase noch weitgehend nach außen gerichtet, gegen diejenigen die dem falschen System Widerstand leisten. Die Lehre von der Banalität des Bösen mahnt jedoch dass dies erst der Auftakt zu noch weitaus schlimmerem sein könnte, falls das falsche System zu entmachten nicht gelingt.

 

Die demokratischen Politiker und demagogischen Zeitungsschreiber faseln von den Fehlern des "General Pharao", doch in Wahrheit geht es nicht darum dass der Diktator möglicherweise Fehler macht, wenn auch nicht die welche man ihm gemeinhin ankreidet, sondern dass das internationale System aus dem heraus Ägypten seine nationalstaatliche Rolle definiert grundsätzlich verkehrt ist. Auch wenn ein Militärdiktator bzw. eine demokratische Nomenklatura sich selbst attestieren alles richtig gemacht zu haben, so bleibt doch der erste zu behebende Fehler die Tatsache ihrer Existenz.

Nun ist aber die Existenz des "General Pharao" unmittelbare Folge des Handelns jener demokratischen Nomenklatura welche ihn jetzt dazu ermahnt ihren Worten zu folgen statt ihren Taten. Denn nur weil er das personifizierte schlechte Gewissen der Militärs dieser Welt darstellt kann er ungesühnt morden, und nur weil das herrschende Machtgefüge moralisch derartig verwahrlost ist, kann er vor dem Hintergrund dessen sich abzeichnender historischer Perspektive sich als vergleichsweise unblutige Gestalt geben.

Was sind schon einige hundert in Straßenkämpfen Dahingemordete gegen die tausenden Toten infolge amerikanischer Flugroboter oder deutschen Giftgases? Selbst ein einziger von mordlustigen Bütteln getöteter Demonstrant in Europa ist anscheinend politisch schwerwiegender als eine große Zahl davon in Afrika, wie die monströse militärische Belagerung der unabhängigen Medien der davon betroffenen Bewegung noch ein Dutzend Jahre später bezeugt.

"General Pharao" ist keine zusammenhangslose historische Ausnahmeerscheinung oder bloße staatspolitische Kuriosität, sondern tut was ihm seine uneingestandenen Wegbereiter vormachen: unterdrücken, massakrieren, korrumpieren, und das alles noch ein bisschen hemmungsloser als diese andernorts durchzupeitschen vermögen. Wird nach der sprichwörtlichen Tragödie gesucht welche sich in dieser offenkundigen Farce wiederholt, so müsste sich der Blick zunächst auf die andere Seite des Mittelmeeres richten, wo nach dem Zweiten Weltkrieg Griechenland von einer demokratisch akkreditierten Junta massakriert wurde. Und noch tiefgreifender als das: Mit der scheinrevolutionären Junta geht es dem Land Ägypten wie den Zwangsprostituierten im Machtbereich faschistischer Besatzung: Nachdem sie vom alten Regime missbraucht wurden, wird nun zum Komfort von dessen Nachfolgern ihre Erinnerung ein weiteres Mal vergewaltigt.

Die sogenannte "Containment"-Politik der letzten Nachkriegszeit kehrt darin als Groteske wieder, nicht mehr nur als ökologisch verheerende Begleiterscheinung eines übergeschnappten Raketenschachs gegen eine antagonistische Sowjetmacht, sondern als irrer Selbstzweck, als fixe Idee ohne bestimmte Funktion, weil es keinen materiellen Feind gibt außer der selbsterfüllenden Prophezeiung seiner Existenz, welche den Stoff liefert aus dem die morbiden Rechtfertigungsideologien der überwachungsstaatlichen Räuberbanden gesponnen sind.
 
Kein U-Boot voller Massenvernichtungswaffen ist geeignet derartige Massaker zu unterbinden, im Gegenteil seine Abrüstung erforderlich um endlich die Abrüstung redundanter Militärs zu ermöglichen. Denn die Möglichkeit der atomaren Massenvernichtung ist in der Epoche der elektronischen Kommunikation von einer Frage der territorialen Verortung zu einem Gegenstand maschineller Abhängigkeit geworden, es genügt bereits dass die Strahlung die digitalen Netzwerke dahinrafft um flächendeckend lebensgefährlich zu wirken. Ohne die konventionellen Redundanzen welche durch die atomare Vernichtungsdrohung in eine solche Situation induziert werden gäbe es gar keine militärischen Kapazitäten für derartige Massaker.

https://www.youtube.com/watch?v=ntLsElbW9Xo