Stadtgeschichte
Angeblich soll es in Freiburg keine nationalsozialistische Bücherverbrennung gegeben haben. Doch neue Forschungen zeigen den besonders ausgeprägten Willen, unbedingt Bücher zu verbrennen.
Die Ansicht, in Freiburg habe keine nationalsozialistische Bücherverbrennung stattgefunden, ist weit verbreitet. Dies schrieb etwa der renommierte Professor Geoffrey J. Giles, der sich intensiv mit der NS-Studentenschaft befasst hat, in einem Beitrag zur Freiburger Universitätsgeschichte.
Während manche dies auf vergleichsweise harmlosere Verhältnisse in Freiburg zurückführen mögen, betonte Giles, dass auch das "Nichtzustandekommen" kein Ruhmesblatt sei, denn es bleibe der in der Presse veröffentlichte flammende Aufruf des Studentenführers dazu. Zuletzt schrieb Jürgen Verdofsky in einem Beitrag für die Badische Zeitung vom 8. Mai 2013 "Erich Kästner schaute hin", insgesamt hätten in mehr als 50 deutschen Städten Scheiterhaufen gebrannt, nur die für den 17. Mai in Freiburg geplante Verbrennung sei wegen starken Regens ausgefallen.
Wegen schlechten Wetters ausgefallen?
80 Jahre nach diesem Akt der Unkultur bedarf diese Frage einer weiteren Klärung. Glaubt man den zeitgenössischen Quellen, fiel die Inszenierung der Bücherverbrennung zwar mehrfach wegen schlechten Wetters aus. Letztendlich wurden aber sogar zweimal Bücher im öffentlichen Raum verbrannt – einmal auf dem damaligen Exerzierplatz, und zwar ohne großes Publikum. Und ein zweites Mal bei einer Großveranstaltung im Universitätsstadion an der Dreisam, da aber eher am Rande. Vor allem aber wurden unter aller Augen die Bibliotheken im völkischen Sinne "gesäubert".
Zur Vorgeschichte ist in Freiburg der Überfall von NSDAP-Angehörigen, SA, SS und Stahlhelm-Anhängern auf die sozialdemokratische Tageszeitung Volkswacht vom 17. März zu zählen. 16.000 frisch gedruckte Exemplare wurden auf die Straße geworfen, Nazis versuchten, diese anzuzünden. Große Mengen zum Teil kostbarer Bücher und wertvoller Sammlerstücke seien dagegen trotz des "literarischen Urteils der Nazis" gestohlen statt verbrannt worden, schrieb die bei dem Vorfall anwesende Redakteurin Käthe Vordtriede in einem 1940 verfassten Bericht.
In einem mit Sarkasmus gewürzten Brief vom 3. Mai 1933 schrieb sie ihrem Sohn, vor dem Hörsaal II der Universität werde ein Schandpfahl errichtet nach dem Muster von Berlin und Kiel. Sie beschrieb ihn als einen abgehauenen Baum, neben dem rechts und links "Reissnägel und Zettelchen zur ehrenhaften Benutzung" lägen. "Da kann jeder den Titel eines jüdischen Buches anheften." Auch die bevorstehenden Bücherverbrennungen kündigte die Tochter assimilierter Juden dem in der Schweiz befindlichen Sohn an, "wahrscheinlich die Phänomenologie Husserls obenauf".
Am 5. Mai erschienen in der Presse Kurzmeldungen, wonach der neue Oberbürgermeister und NSDAP-Kreisleiter Dr. Franz Kerber den Ausschuss zur "Bekämpfung der Schmutz- und Schundliteratur" aufgelöst habe, weil dieser nicht den nötigen Willen und die Kraft aufgebracht habe. Der neue Ausschuss bestehe aus Kerber, dem Geistlichen Rat Herrn Dr. Mohr und dem protestantischen Pfarrer von Gundelfingen, Herrn Albert, allerdings kamen noch einige hinzu.
Der studentische Aufruf erschien dann am 8. Mai. Unterzeichnet war er von der Studentenschaft der Universität und dem "Kampfbund für deutsche Kultur" Freiburg, in dem sich der Universitätsbibliothekar Dr. Ludwig Klaiber engagierte. Im martialischen Duktus propagierten sie, die deutsche Studentenschaft wolle "den geistigen Kampf gegen die jüdisch-marxistische Zersetzung des deutschen Volkes bis zur völligen Vernichtung" durchführen. Die Freiburger wurden aufgerufen, den Unterzeichnern aus den Büchereien, Buchhandlungen und Antiquariaten alle Schriften und Bücher "jüdisch-marxistischen Schrifttums" zu schicken, damit diese am 10. Mai öffentlich verbrannt werden könnten.
Diese Veranstaltung wurde aus ungeklärten Gründen abgesagt, doch ging der Wahnsinn in der Sache ungemindert weiter. Am 18. Mai erschien in der führenden Freiburger Zeitung ein minutiöser Bericht über die Städtische Volksbibliothek. Die schwarze Liste "undeutscher und zersetzender Literatur" der Volksbüchereikommission, auf der sich unter anderem der angeblich "oberflächliche" Roman "Alexanderplatz" von Alfred Döblin befinde, sei in Freiburg nicht sehr lang. Man hielt sich zugute, bereits in den vergangenen Jahren vor allem "deutschbewusstes Schrifttum" angeschafft zu haben. Empfohlen wurden nun der Kolonialschriftsteller Hans Grimm, Kriegs- und Freikorps-Schriftsteller wie Ernst von Salomon und Hans Zöberlein und die neu erworbenen Schriften der "Nationalsozialistischen Bibliothek".
Die "Kommission zum Kampf gegen Schmutz und Schund in der Literatur" unter dem Oberbürgermeister legte Mitte Juni einen Bericht vor und griff noch viel weiter aus. Neben den öffentlichen und schulischen nahm sie gerade auch die privaten Leihbüchereien ins Visier, in denen sich angeblich der "Hauptschund" angesiedelt habe.
Der Verbrennungsakt der von ihr ausgeschiedenen Bücher sollte abends am 17. Juni unter Beteiligung der städtischen Schulen stattfinden. Bei der im Rahmen der "Ersten Kulturellen Kampfwoche der Hitlerjugend" organisierten Veranstaltung sollte vor dem Münster ein "kleines Bücherfeuer" und nach einem Marsch zum Exerzierplatz ein "großes Bücherfeuer" mit Ansprache Kerbers erfolgen. Wegen massiven Regens wurde die Veranstaltung abgesagt. Doch der Bann Südbaden der HJ betonte am 20. Juni im NS-Kampfblatt "Der Alemanne", die große Masse der Bücher sei zwischenzeitlich auf dem Exerzierplatz verbrannt worden (siehe Foto oben rechts).
Der kleinere, symbolische Verbrennungsakt sollte ersatzweise bei der Sonnwendfeier des Kampfbundes für Deutsche Kultur im Universitätsstadion mit Jugendverbänden und Schülern am 21. Juni nachgeholt werden. Die vereinigten Freiburger Männergesangsvereine sollten dabei vaterländische Chöre aufführen. Auch diese Veranstaltung wurde wetterbedingt aus Rücksicht auf die Gesundheit der Schuljugend in letzter Stunde abgesagt. Doch zeigte sich die ungeheure Hartnäckigkeit der Freiburger Nationalsozialisten: Die Sonnwendfeier wurde auf den 24. Juni verlegt und gemeinsam mit der Studentenschaft anberaumt.
Zwischenzeitlich erklärte Kerber die "Büchersäuberung" als vorläufig abgeschlossen und dankte öffentlich den Beteiligten in der Kommission aus SA, Polizei und HJ. Er setzte Erzbischof Conrad Gröber von den Vorgängen in Kenntnis, um Druck auch in Hinsicht auf die katholischen Büchereien zu entfalten.
"Flamme künde uns, leuchte uns, zeige uns den Weg, von dem es kein Zurück mehr gibt!"
Martin Heidegger am 24. Juni 1933
In der Freiburger Zeitung wütete daraufhin in journalistischer Form Adolf Wendelin von Sperber, die "Scheiterhaufen, die die Blütenlese volksfremder Literatur gefressen" hätten, seien kürzlich erst verglommen, der Sturmangriff wider den undeutschen Geist gehe weiter.
Der Freiburger Buchhändler Philipp Harden-Rauch nutzte seine Mitgliedschaft in der Kommission und dem städtischen Volksbüchereiausschuss übrigens, um Karriere zu machen. Anfang 1934 wurde der in Kerbers Sicht so bewährte Mann zum Direktor der städtischen Volksbücherei ernannt. 1935 folgte die Ernennung zum Gaubeauftragten für das Volksbüchereiwesen in Baden und zum Leiter der Landesberatungsstelle für Volksbüchereien. 1940 wurde ihm auch noch die Nazifizierung des Büchereiwesens des besetzten Elsass übertragen.
Am Abend des 24. Juni sah es derweil nach einem weiteren wetterbedingten Reinfall aus, doch wurde die Veranstaltung im Universitätsstadion dieses Mal durchgezogen. In seiner Ansprache verkündete der Philosoph und frisch gebackene Rektor der Universität, Dr. Martin Heidegger, pathetisch: "Die Tage vergehen, sie werden wieder kürzer. Unser Mut aber steigt, das kommende Dunkel zu durchbrechen. Niemals dürfen wir blind werden im Kampf. Flamme künde uns, leuchte uns, zeige uns den Weg, von dem es kein Zurück mehr gibt! Flammen zündet, Herzen brennt!"
Diese Worte könnten als Metapher auf Adolf Hitler interpretiert werden, war Heidegger doch zum 1. Mai öffentlichkeitswirksam der NSDAP beigetreten. Außer dem großen Sonnwendfeuer, das Regen und Wind trotzte, gab es noch ein weiteres, kleineres, das sich durch Bücher fraß.
Käthe Vordtriede wunderte sich über ein nur "merkwürdig kleines Feuer aus den Büchern eines Leiterwagens, der witzigerweise von einem Ochsen gezogen wurde, nach der Meinung der akademischen Bilderstürmer das wahre Symbol für Sigmund Freud und Franz Werfel." Sie hatte anscheinend von der vorherigen Verbrennung auf dem Exerzierplatz nichts mitbekommen und vermutete wohl, die Volkswacht-Diebe behielten die wertvollen Bücher dann doch lieber.
Einen entlarvenden Protest gab es vom Philosophen Heidegger. Vom Nationalsozialistischen Pressedienst und den angeschlossenen Zeitungen verlangte er die Richtigstellung, dass in die Liste der zu verbrennenden Werke nicht die des Professors für Nationalökonomie Karl Diehl gehörten. Der sei schließlich scharfer Gegner von Marxismus und Kommunismus. Ein "Versehen".
Sonderausstellung: Der Kunstraum Alexander Bürkle zeigt noch bis 29. September die Sonderausstellung "Verfemt, verboten, ins Exil gezwungen – vergessen?" Robert-Bunsen-Straße 5 (Industriegebiet Nord), Öffnungszeiten täglich 11 bis 17 Uhr außer montags und samstags, Eintritt frei.
Heiko Wegmann
Der 43-Jährige ist Sozialwissenschaftler und arbeitet an einem Buch über die Lokalgeschichte der "Schutzstaffel" der NSDAP (SS) in Freiburg. Im Rahmen seiner Recherchen stieß er auf die genannten Berichte zum Thema Bücherverbrennung.