Das grenznahe Gebiet "Port du Rhin" in Straßburg hat den Glauben an die Zukunft verloren.
STRASSBURG/KEHL (BZ). Jahrelang lebten
die 1300 Einwohner wie auf einer Insel oder in einem isolierten Dorf,
fernab der Straßburger Innenstadt und ohne städtebauliche Verbindung.
Viele wohnen in Sozialwohnungen, die überwiegende Mehrheit bezieht
staatliche Hilfen. Dann kam der Nato-Gipfel und mit ihm die Verwüstungen
im Viertel Port du Rhin, direkt am Rhein, gleich hinter der
Europabrücke: Das Ibis-Hotel, die Apotheke, die ehemalige
Touristen-Information, die Zollgebäude wurden von Autonomen abgefackelt.
Auf die Zerstörung folgten die Versprechungen.
Weil die Sicherheitskräfte die Innenstadt beschützt hatten, hatte es das
Viertel hart getroffen. So sahen es die Bewohner, die froh waren, dass
sie durch das beherzte Eingreifen einiger Mütter wenigstens ihre Schule
vor den Brandstiftern hatten retten können. OB Ries schlug beim
damaligen Staatspräsidenten Sarkozy eine Entschädigung raus fürs
Wohnviertel: zehn Millionen für die Anbindung durch die Tram, weitere
vier für Sanierung und Umstrukturierung des Quartiers. Ziemlich genau
vier Jahre später sind die Menschen enttäuscht: Es habe sich nichts
geändert, sagen sie auf der Straße, und einige sagen es auch beim
Bürgerabend neulich in der Rheinhafenschule. Dass gegenüber der
angestammten Wohnbebauung ein Neubau-Viertel aus dem Boden wächst, das
1000 neue Bewohner bringen soll, vergrößert ihre Sorgen eher, als dass
es sie beruhigt. Hier die Armen, dort die Reichen – so sehen viele die
Aufteilung. Die wenigen kleinen Läden, die es im Viertel noch gibt,
fürchten sie, würden dorthin abwandern, Lokale, die dort entstünden,
würden den letzten Treffpunkten in ihrem Teil des Wohnquartiers den
Garaus machen.
Viele glauben auch noch nicht an die Tram
Die Tram nach Kehl fänden viele gut, aber dass sie wirklich kommt,
wollen sie noch nicht glauben. 2014, so war’s versprochen, würde die
Tram von ihrem Viertel in die Straßburger Innenstadt fahren. Jetzt,
heißt es, soll es Mitte 2016 werden. Dass es in ihrem Viertel einen
Klinikneubau geben soll, interessiert sie nur dann, wenn dort auch
Menschen aus dem Quartier eine Arbeit finden. Dass ihre Kinder in der
schicken Krippe willkommen sein werden, welche die Städte Kehl und
Straßburg für vier Millionen Euro, davon 1,7 aus Interreg-Mitteln, auf
dem Gelände der Rheinhafenschule bauen, können sie nicht glauben. Das
einzige Projekt, das vor ihren Augen Gnade findet, ist die Sanierung der
Schule – für neun Millionen Euro. Endlich. Es sei ja keine Schule
gewesen, sondern eher ein Gefängnis für die Kinder, schimpft eine
Mutter.
Die schönen Stadträume, Plätze, Grünzonen, eine Verbindung zum Garten
der zwei Ufer, alles hübsch, alles in Ordnung, finden viele Bewohner,
die sich aber nicht wirklich vorstellen können, wie ihr Viertel einmal
aussehen wird. Was sie plagt, sind ganz andere Sorgen: Das Ibis-Hotel,
das beim Nato-Gipfel niedergebrannt wurde, ist längst abgerissen, aber
mehr ist nicht geschehen. Durch die Brandmauer, die das angrenzende Haus
vom Hotel getrennt hat, pfeift immer noch der Wind, die Plane, die das
einst verhindern sollte, ist längst zerrissen. Zentralheizung wollen
sie, sanierte Wohnungen, eine Metzgerei, Stätten der Begegnung, eine
Turnhalle, einen Raum, in dem Feste stattfinden können, Arbeit für die
Jugendlichen, jemand, der sich um sie kümmert, der ihnen Beschäftigung
gibt und sie daran hindert, auf der Straße rumzuhängen.
Wenn man auf die Gespräche auf den Straßen hört, dann hat sich etwas
verändert im Viertel seit dem Nato-Gipfel: Es ist schlimmer geworden.
Vor drei Jahren:
http://www.badische-zeitung.de/ortenaukreis/g-20-gipfel-nein-danke-sagen...