Im Lokalanzeiger der Magdeburger Volksstimme vom 14.02.2013 erschien ein Interview, welches eigentlich die Öffentlichkeit von Magdeburg beruhigen sollte. Das Gegenteil ist der Fall. Der Fachbereichsleiter und Chef der Ausländerbehörde Magdeburg, Frank Ehlenberger, und der Chef des Magdeburger Ordnungsdezernates, Holger Platz, erläutern in diesem Doppelinterview das Vorgehen der Behörden beim Versuch der Abschiebung einer sechsköpfigen Familie nach Armenien.
Wer hier eine klare Rekonstruktion der Ereignisse im Gemeinschaftshaus Grusonstrasse Ende Januar erwartet hat, wird sich über die rhetorischen Ausweichmanöver und Rechtfertigungsfloskeln nur wundern können. Eine Familie des Gemeinschaftshauses wird ohne terminliche Vorankündigung in den frühen Morgenstunden des 30. Januars von den Behörden aufgesucht und mit dem Vollzug der Abschiebung konfrontiert. Daraufhin bricht die Mutter zusammen und wird ins Krankenhaus gebracht. Dies jedoch ist noch kein Grund, die Abschiebung zu stoppen. Im Gegenteil: Vater und Kinder werden zum Flughafen nach Berlin gebracht. Die Begründung dafür ist ganz im Sinne kapitalistischer Denke: Logistik und Transport sind aufwendig und teuer, also soll es sich gefälligst auch lohnen. Erst nach dem Selbstmordversuch der Mutter wird die Abschiebung der Familie ausgesetzt. Vorläufig.
Neben allerlei Rechtfertigungsgestammel vom Zwang des Gesetzes, des angeblichen Handlungsbedarfs und der Korrektheit des behördlichen Handelns, das zukünftig nur entsprechend gespiegelt werden müsse, um effektiver zu werden, wird auch die Gründung einer Arbeitsgruppe „Aufenthaltsbeendigung“ angekündigt. Ende Februar soll sich diese unter Beteiligung der Caritas, des Ausländerbeauftragten und des Integrationsbeirats zum ersten Mal treffen. Das Ziel der Arbeitsgruppe soll die “bessere” Vorbereitung und Betreuung bei Abschiebevorgängen sein.
Die bisherige Abschiebepraxis in Sachen-Anhalt – bis Ende 2012 noch mit vorheriger Terminankündigung, d.h. mindestens einen Monat vor der geplanten Abschiebung wurden durch die betreuer des Hauses Aushänge angebracht, dieser Zeitraum sollte den Familien ermöglichen, sich langfristig auf den Abtransport vorbereiten zu können – wird von Platz als “humanere Parxis” bezeichnet, gleichzeitg als ineffektiv gewertet. Denn: in den Jahren 2010 bis 2012 sind nur 133 Abschiebungen gelungen. Deshalb sind die Abschiebebehören auch in Sachen-Anhalt mit Anfang des Jahres 2013 dazu übergegangen, die Betroffenen nicht mehr zu informieren. Dieses willkürlich anmutende Verfahren mündete am 30.01.2013 in ein Drama welches erst mit dem Selbstmordversuch der Mutter ein vorläufiges Ende fand. Den Kindern geht es gut, sie werden bereits wieder in die Schule geschickt. Ein Umstand voller Ironie, wenn sich Auswüchse deutscher Bürokratie die Hände schütteln müssen: Einerseits ruft die Schulpflicht, andererseits schwingt die Sense spontaner Abschiebung über den Köpfen der Familie und macht jeden Versuch sozialer Interaktion von vornherein hinfällig.
Das Leid der Familie kommentiert Platz mit:“ Glauben Sie denn, dass wir uns dabei wohlfühlen?“ Wenn es plötzlich um den Wohlfühlfaktor von Beigeordneten geht, wo zeitgleich willkürlich über Schicksale ganzer Familien entschieden wird, möchte mensch ihm nach extrem kurzer Überlegung gerne eine Antwort geben.
Frank Ehlenberger, Fachbereichsleiter und Chef der Ausländerbehörde, hatte zuvor bereits auf die Straffälligkeit des Vaters aufmerksam gemacht und wohl nicht zufällig die in neonazistischen Kreisen beliebte Agitation vom „kriminellen Ausländer“ bedient. Natürlich erklärt Ehlenberger nicht, dass kriminelle Ausländer Deutschland verlassen müssten. Doch die überflüssige Erwähnung einer Verurteilung des Vaters wegen Diebstahls unterfüttert dieses Klischee. Für Ehlenberger mag eine Bewährungsstrafe eine Abschiebung rechtfertigen, doch gilt diese Denkweise grundsätzlich nur für Nichtdeutsche.
Nicht erwähnt wird der Umstand, dass ein Abschiebeverfahren – dies betrifft nur Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft – auch dann unternommen wird, wenn ein Familienvater ohne Aufenthalts-/Duldungsrecht mit Einkommen weit unter dem Existenzminimum nicht wegen Diebstahls verurteilt wird.
Im Juli 2012 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Asylbewerber mehr Geld bekommen müssen. Die Richter erklärten, die derzeitigen Leistungen in Höhe von 225 Euro verstießen gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Sie sind trotz erheblicher Preissteigerungen in Deutschland seit 1993 nicht verändert worden.
Im Laufe des Interviews stellt Platz eine, aus seiner Sicht vermutlich rhetorische gemeinte Frage: “Wollen sie uns etwa unterstellen, wir hätten die Frau in den Selbstmord getrieben?” Wenn mensch damit rechnen muss, dass am 30.1.2013 das Exempel für eine neue, sprich verschärfte, Abschiebepraxis statuiert wurde, die ohne politischen oder zivilbürgerlichen Widerstand Einzug erhält, dann ist auch hier eine eindeutige Antwort an Herrn Platz gegeben.