Es ist Montagabend, der 30. Januar 1933. In der Turnhalle des damals 4.000 Einwohner zählenden Dorfes Mössingen am Fuße der Schwäbischen Alb rufen der Glasermeister Jakob Stotz und der KPD-Gemeinderat Martin Maier für den Folgetag zum Generalstreik auf. „Hitler bedeutet Krieg“, warnt Stotz. „Das Ziel ist die Errichtung einer Arbeiter- und Bauernregierung.“
"Ich rate euch abzuwarten, denn bisher liegt kein offizieller Streikaufruf des ADGB vor", rief der Pausa-Betriebsratsvorsitzende in den Saal. Die Worte des Gewerkschafters gehen im Protestgeschrei unter. Es ist Montagabend, der 30. Januar 1933.
In der Turnhalle des damals 4.000 Einwohner zählenden Dorfes Mössingen am Fuße der Schwäbischen Alb rufen der Glasermeister Jakob Stotz und der KPD-Gemeinderat Martin Maier für den Folgetag zum Generalstreik auf. "Hitler bedeutet Krieg", warnt Stotz. "Das Ziel ist die Errichtung einer Arbeiter- und Bauernregierung."
So begann, was alte Mössinger heute "den Aufstand" nennen. Damals war das Dorf überall in Württemberg als das "rote Mössingen" bekannt. Es blieb der einzige Ort in Deutschland, in dem sich die Arbeiterbewegung gegen die Hitler-Diktatur mit einem Generalstreik gewehrt hat.
Begonnen hatte das so: Am Mittag des 30. Januar meldete das Radio, dass Reichpräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt habe. Der junge Arbeitslose Richard Föll, Mitglied des örtlichen "Kampfbundes gegen den Faschismus" erfährt die Neuigkeit als einer der ersten. Schon am Spätnachmittag bringt ein Kurier aus Reutlingen einen Aufruf der KPD zum Massenstreik. Föll und seine Freunde glauben, "dass jetzt die Stunde geschlagen hat".
Während in anderen Städten die Vorstände der SPD und KPD sowie der Gewerkschaften über geeignete Maßnahmen beraten oder sich, wie die KPD-Spitze in Berlin, zum Kegelabend treffen, rufen die Mössinger Antifaschisten noch für den selben Abend zu einer öffentlichen Versammlung auf. 200 Männer, Frauen und Jugendliche aus dem Steinlachtal eilen in die Halle des Arbeiter-Turnvereins, unter ihnen Kommunisten, Gewerkschafter, Sozialdemokraten und vor allem Mitglieder der Arbeitervereine.
"Bruderkämpfe" zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten, wie sie in vielen Städten an der Tagesordnung waren, kannten die Arbeiterinnen und Arbeiter im Steinlachtal kaum. "Die kommunistische Partei war hier weit stärker als die SPD", berichtet Richard Föll, damals wie heute ein parteiloser Linker. In der örtlichen Gruppe der "Antifaschistischen Aktion" arbeiteten nicht nur Kommunisten mit wie anderswo. Otto Wich, später lange Jahre Tübinger Sekretär der Textilgewerkschaft, hatte schon 1932 während einer Kundgebung auf dem Mössinger Marktplatz erklärt: "Wir müssen alles Trennende beiseite stelle und uns in der 'Antifaschistischen Aktion' vereinen."
Noch am Abend des 30. Januar ziehen sie durch den Ort, um gegen die drohende faschistische Diktatur zu demonstrieren. "Ich war damals Pfeifer in der Kapelle des Arbeiterturnvereins", sagt Richard Föll. "wir sind voran marschiert. Die Pfeife besitze ich noch heute."
Einige der jungen Trommler und Pfeifer sind in ihren weißen Uniformen gekommen. So marschieren die 200 Mössinger noch am späten Abend am "Ochsen" vorbei zur Ortsmitte. Zwölf Fackeln erhellen die Gassen. Der Zug wirkt gespenstisch. Die Stimmung ist erregt. Die Menschen im Dorf glauben, das der 31. Januar ein historischer Tag werden wird.
Am Dienstag treffen sich rund hundert Handwerker, Jugendliche, Arbeiter und viele Arbeitslose erneut in der Turnhalle. Einige von Fölls Genossen haben ein Transparent mit der Aufschrift "Heraus zum Massenstreik" entrollt. Als man erfährt, dass in der Mechanischen Weberei Pausa eine Abstimmung über den Streik angesagt ist, marschieren die Leute Richtung Pausa.
Fritz Wandel, ein kommunistischer Gemeinderat aus Reutlingen, steht auf dem Treppenaufgang des gegenüberliegenden Gasthauses "Zum Schwanen" und spricht zu den Pausa-Arbeitern. "Der hat eine flammende Rede gehalten", erzählt Richard Föll. "Die Pausa war gewerkschaftlich gut organisiert. Meine Mutter hat dort geschafft. Doch der Betriebsratsvorsitzende Georg Wagner war immer noch gegen den Streik, denn es lag ja keine Anweisung von oben vor."
Theodor Leipart, Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), gibt an jenem 31. Januar die Devise aus: "Organisation, nicht Demonstration ist das Gebot der Stunde." An einen politischen Streik denkt der Gewerkschaftsführer nicht. Auch der Vorstand der SPD und die sozialdemokratische Reichstagsfraktion lehnen außerparlamentarische Aktionen ab.
Nur die KPD ruft zu Einheit und zum Massenstreik auf. Aber Millionen von Arbeitern trauen ihr nicht mehr: Zu oft hat die Partei die Sozialdemokraten als linke Faschisten beschimpft. Die deutsche Arbeiterbewegung ist in sich gespalten und gelähmt. Nur in Mössingen nicht. Richard Föll: "Was der Georg Wagner vom ADGB sagte, interessierte die Pausa-Arbeiter wenig. Sie überstimmten ihn und setzten ihn kurzerhand ab."
Ein Teil der Belegschaft der Trikotfabrik Merz schließt sich nachmittags dem Streik an. Später - es dämmert bereits - rückt eine Überfallkommando der Polizei aus Reutlingen an. Richard Föll war einer der ersten der rund 800 Demonstranten, die es gesehen haben. "Wir sind mit den Fahnen ab in die Felder. Etwa zehn Polizisten sind hinter uns her. Der Textor-Jakob hat immer wieder mit der roten Fahne gewunken. Und so haben wir die Polizisten immer weiter aus dem Ort gelotst." Währenddessen seien die Frauen und Kinder nach Hause gegangen, sagt Föll. "So haben sie keinen von uns erwischt. Dann hat der Polizeiführer seine Leute zurückgepfiffen und wir haben gelacht. Wir waren nämlich Sportler und konnten laufen wie die Hasen. Zu einer Konfrontation wollten wir es nicht kommen lassen."
Richard Föll wird am Tag darauf verhört und im Juni wegen Landfriedensbruch zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Da er auch 1934 weiter gegen die Nazis arbeitet, muss er noch einmal sitzen, zwei Jahre und sechs Monate. 79 seiner Kampfgefährten, darunter drei Frauen, werden zu Gefängnisstrafen bis zu viereinhalb Jahren verurteilt, einige später ins KZ eingeliefert.
Richard Föll: "Wenn die Sozialdemokraten und Gewerkschaften 1933 mitgemacht hätten, dann wäre der Generalstreik zustande gekommen. Dann wäre das Land dicht gewesen. Da hätte der Hitler keine Chance gehabt."
Nachbemerkung des Autors:
1983, 50 Jahre nach der Machtübernahme der Nazis, kamen rund 10.000 Menschen - teilweise wird auch die Zahl 15.000 genannt - zur Erinnerung an den Streik nach Mössingen. Es waren vor allem Gewerkschafter und Teile der Friedensbewegung. Die Regie sah vor, dass Streik-Teilnehmer, so sie noch lebten und gesundheitlich dazu in der Lage waren, auf die Bühne kommen. Doch einige fehlten. Jakob Textor und Richard Föll. Föll wurde dann etwas verspätet von einem Teilnehmer der Kundgebung auf die Bühne gebracht.
Organisatoren von der DKP hatten vor allem jene beiden Männer für die Bühne ausgewählt, die ihr Parteibuch hatten. Der stellvertretende Parteivorsitzende Hermann Gautier hatte ihnen kurz zuvor in der neuen Aula der Uni Tübingen die Ehrenplakette des Parteivorstandes überreicht.
Als Veteran Jakob Textor 2008 hundert Jahre alt wurde, gratulierte ihm die Tübinger DKP nicht, denn er gehöre ja nicht mehr dazu. Fehlanzeige auch bei der Mehrheit des Mössinger Gemeinderats. Man konnte sich nicht dazu durchringen, Textor aus diesem Anlass mit der Bürgermedaille auszuzeichnen.