Matthias Monroy
Spitzeleinsätze britischer Polizisten kommen vor Gericht. Womöglich auch Betroffene in Deutschland
In Großbritannien kommt Bewegung in die Auseinandersetzung um die Unterwanderung linker Gruppen durch verdeckte Ermittler. Nun hat sich ein Gesandter der Vereinten Nationen eingeschaltet. Maina Kiai ist der UN-Berichterstatter für das Recht auf freie Versammlung und Organisierung. Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch in London forderte der Kenianer die britische Regierung auf, eine richterlich geleitete, öffentliche Untersuchung der Spitzeleinsätze anzuordnen.
Hintergrund ist ein Zivilverfahren von elf Frauen und einem Mann wegen sexueller Ausbeutung durch Staatsbedienstete. Die Klägerinnen werfen den Spitzeln vor, Sexualität zur Erlangung von Informationen eingesetzt zu haben. Dies sei ein weiterer Beleg für »institutionalisierten Sexismus« innerhalb der Polizei. Einige der Fälle liegen bereits lange zurück und betreffen sogar drei Kinder von Polizisten, die nach Affären mit Zieloder Kontaktpersonen geboren wurden. Zu den Beschuldigten gehören die Exspitzel Mark Kennedy und sein früherer Kollege, der unter dem Namen »Marco Jacobs« die linke Szene unterwanderte. Beide waren in mehreren Mitgliedstaaten der EU unterwegs, auch in Deutschland. Sie forschten unter anderem Aktivitäten gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm 2007 und den NATO-Gipfel in Strasbourg 2009 aus. Kennedy war zudem in den USA aktiv, vermutlich im Auftrag des FBI. Britische Zeitungen berichten, er habe auch in Diensten des deutschen Energiemultis E.oN gestanden.
Die Geschädigten verweisen auf die Verletzung mehrerer Rechtsprinzipien: Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention darf niemand einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. In den meisten Fällen gingen die Betroffenen von stabilen, zukunftsfähigen Bindungen aus. Die zwischen sieben Monaten und sechs Jahren dauernden Beziehungen endeten aber mit dem plötzlichen Abtauchen der vermeintlichen Partner, wenn deren Einsatz abgebrochen wurde.
Vor zwei Wochen hatte der zuständige Richter die Klage angenommen und die Bedeutung der Vorfälle unterstrichen. Gleichzeitig wurde aber festgelegt, den Prozeß teilweise im Geheimen durchzuführen. Derartige Verfahren wurden ursprünglich für Klagen gegen den britischen Inlandsgeheimdienst MI5 eingeführt. Weder die Klägerinnen noch deren Anwälte dürfen an Verhandlungen teilnehmen oder Zeugen hören. Der UN-Berichterstatter kritisiert das Geheimverfahren und betont, daß die Ausgeforschten in keine kriminellen Handlungen verwickelt waren. Es sei unglaublich, daß der Staat Polizisten dafür bezahle, Teil ihres Lebens zu werden und dann spurlos zu verschwinden. Die jahrelange Infiltration habe bei den Betroffenen zu Traumatisierungen geführt. Eine derartig sexualisierte Spitzelei verstoße gegen die Menschenrechte und das international verbriefte Recht auf Privatheit.
Kennedys weltweite Einsätze haben nach seiner Enttarnung 2010 in Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Island zu viel öffentlichem Interesse geführt. Er selbst hatte Interviews an die Presse verkauft und ließ seine Spitzelei in einem Kinofilm verarbeiten, in dem er sich als Opfer inszeniert. Öffentlichkeitswirksam nutzt er nun die Klagen der Frauen, um seinerseits Schadensersatz von seinen früheren Vorgesetzten zu fordern: Da diese ihn nicht an den sexuellen Affären und Beziehungen gehindert hätten, sollen sie ihm den dadurch entstandenen posttraumatischen Streß mit rund 120 000 Euro vergüten.
Nächsten Monat werden die Operationen in einer eigens einberufenen Anhörung im Parlament thematisiert. Dann könnte öffentlich werden, ob Mark Kennedy auch sexuelle Beziehungen mit Aktivistinnen oder Aktivisten aus Deutschland unterhielt. »Das geht gar nicht«, hatte der Chef des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, vor zwei Jahren im Innenausschuß des Bundestags erklärt. Ob die britischen Spitzel dies aber tatsächlich praktizierten, wollte die Bundesregierung auf Nachfrage des Abgeordneten Andrej Hunko (Die Linke) nicht bestätigen. Bislang weigert sie sich auch, hierzu in Großbritannien Erkundigungen einzuholen.