Die Mobilisierung der reaktionären Anti-Euro-Rebellen

progressive Anti-EU-Haltung

Text über die „Partei der Vernunft“ , die „Freien Wähler Baden-Württemberg“ und andere reaktionäre Anti-Euro-Rebellen, die derzeit versuchen sich mit rechtspopulistischer EU-Kritik zu etablieren. Unter anderen sind in diesem Zusammenhang auch zwei Veranstaltungen in Freiburg und Offenburg geplant.

 

Ausgangslage: Deutscher Krisennationalismus


Es gärt in EU-Europa. Die Süd-Mitglieder verarmen bzw. werden verarmt. Jeder zweite Jugendliche in Griechenland ist arbeitslos und immer mehr Menschen müssen um ihr tägliches Überleben kämpfen. Es kommt zu Unruhen. In Spanien wehren sich Minenbarbeiter mit Gewalt gegen den Verlust ihrer Arbeitsstelle und in Athen gibt es in regelmäßig Straßenschlachten.


Es gärt aber auch unter deutschen Steuerzahler*innen. In der Krise werden wohlstands-chauvinistische Ressentiments gegen die verarmten (EU-)“Südländer“ reaktiviert. In Deutschland wird die verzweifelte Situation vieler in Griechenland, Spanien oder Portugal häufig nicht wahr genommen. Stattdessen ist das Bild von den „Pleitegriechen“ und „faulen“ wie „korrupten“ Südländern weit verbreitet. Titel wie „Betrüger in der Euro-Familie“ (FOCUS) oder „Ihr griecht nix von uns!“ (BILD) befeuern solche Stereotype. Rechtspopulist*innen wie die FPÖ springen auf den Zug auf, der aber unabhängig von ihnen losgefahren ist. 


Die Bundesrepublik ist durchaus der Gewinner der Krise und des EU-Spardiktats. Deutsche Banken verdienen gut an den Krisen-Krediten und der deutsche Staat konnte zusammen mit Frankreich innerhalb der EU seine Macht systematisch ausbauen. Trotzdem murrt die/der deutsche Steuerzahler*in, sie/er will nicht mehr die armen Verwandten im Süden mit „durchfüttern“. Ein nationalistisches „Wir sind wir“ und „Die Anderen sind die Anderen“ macht sich breit. In diesem Krisennationalismus wird der Traum von der Großmacht EU-Europa wieder zugunsten eines deutschen DM-Nationalismus zurückgetauscht. Man wendet sich gegen die EU und Europa. In Deutschland steigt der Unwille „unsere Steuergelder“ den „Anderen“ hinterherzuwerfen. Rechte Chauvinist*innen und Populist*innen haben die Zeichen der Zeit erkannt und versuchen diesen Volkszorn vor ihren Karren zu spannen. Auch die neonazistische NPD versucht sich gerade an einer Anti-EU-Kampagne. Im Ritt auf dem antieuropäischen Ressentiment versucht sich aber nicht nur die NPD, sondern auch Politsekten wie die „Partei der Vernunft“ (PdV) und ihre Ableger oder die „Freien Wähler“.

reaktionären Anti-Euro-Rebellen I: Die PdV und die ADD


Am 8. September 2012 fand Karlsruhe die nationalchauvinistische Demo „Stop ESM - Für das Grundgesetz - Für die direkte Demokratie!” statt. Daran nahmen je nach Bezugsquelle 400 (Presse), 700 (Polizeibericht) oder bis zu 1.000 (Eigenangabe) Personen teil. Für Musikeinlagen sorgten „Fantareis“, „Gary White“ und der Rapper „Kilez More“ aus Wien. Als Redner*innen traten auf: Beatrix von Storch (für die rechtskonservative „Zivile Koalition“), Stephan Werhahn (Enkel Konrad Adenauers, ist kürzlich aus Protest von der CDU zu den „Freien Wählern“ gewechselt ), Jens Blecker aus Helmstedt (seit 2009 Betreiber der Verschwörungstheorie-Internetseiten „Infokrieger News“, „Net-News-Express“ und „IK News“), Daniel Neun (vom verschwörungstheoretischen „Radio Utopie“), Volker Schäfer (von der Politsekte „Partei der Vernunft“), Adrian Richling (Unternehmer aus Stuttgart) und Dr. Johannes Hüdepohl (zweiter Vorsitzender des „Bündnis Bürgerwille“, was das Ziel verfolgt „Deutschland soll nicht länger in dreistelliger Milliardenhöhe für Schulden anderer Länder haften müssen“). Grußworte kamen von „Jenny’s Blog“ und der rechten Politsekte „Bürgerrechtsbewegung Solidarität“ (BüSo).


Zu der Demo riefen die antimuslimische Splitterpartei „Die Freiheit“, die neoliberale Politsekte „Partei der Vernunft“, Elsässers Querfront-Truppe und die „Freien Wähler Baden-Württemberg“ auf. Auch Aktivist*innen der extrem rechten Republikaner-Partei waren vor Ort vertreten. Auf der Homepage des Karlsruher Kreisverbands der Republikaner findet sich folgender Text-Abschnitt: „Eine Abordnung der Republikaner mit eigenen Transparenten war vom Veranstalter, der das Hausrecht besaß, ausdrücklich nicht erwünscht mit der Begründung des Veranstalters, der den Grünen nahe steht, durch die bloße Anwesenheit der Republikaner werde seine Organisation in die "Rechte Ecke" gedrückt und mit der üblichen "Nazikeule" bearbeitet.“ Es ging dem Verantwortlichen demnach also nicht um die Ablehnung der Anwesenheit von Rassist*innen an sich, sondern um drohende PR-Probleme. Trotzdem zeigen Bilder und Videoaufnahmen der Demo vom 8. September Personen mit Transparenten der Republikaner-Partei und ein Mensch mit einem Tshirt mit der Aufschrift „Bürger in Wut wählen“, was sich vermutlich auf die gleichnamige rechtspopulistische Kleinstpartei in Bremen bezog. 


Organisiert aber wurde das Ganze vor allem von einem „Aktionsbündnis für Direkte Demokratie“ (ADD) aus Stuttgart. Hinter diesem verbirgt sich die neoliberale, verschwörungstheoretische und rechtslastige Kleinstpartei „Partei der Vernunft“ (PdV). Offiziell gibt sich das ADD überparteilich, aber der Anmelder der Homepage des ADD, ein Florian Elischer aus Böbingen , gehört beispielsweise zum „Online Team“ der PdV in Baden-Württemberg.


Inhaltlich ist das ADD bereit alle mitmachen zu lassen, die nur wollen. Egal ob links oder rechts, gegen die EU kommt auch eine Querfront gerade recht. Auf der ADD-Homepage heißt es konkret: „Wir bieten Ihnen die Bühne für Ihren ESM-Protest! Von links bis rechts von oben bis unten von
hetero bis homo von ultraviolett bis infrarot […].“

Die rechte Partei „Die Freiheit“ beteiligte sich nicht nur an Demonstrationen anderer, sondern organisierte auch eigene Protest-Veranstaltungen. Am 12. September 2012 demonstrierten etwa 20 Mitglieder der rechtspopulistischen Kleinstpartei „Die Freiheit“, darunter der Bundesvorsitzende René Stadtkewitz, der Generalsekretär Yorck-Alexander Mayer, Baden-Württembergs Landesvorsitzender Edgar Baumeister und Nordrhein-Westfalens stellvertretender Landesvorsitzender Heinz Thoma, vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen den „Europäischen Stabilitäts-Mechanismus“. Am selben Tag gab die Splitterpartei eine Pressemitteilung heraus, in der das BVG-Urteil zum ESM als „Volksverrat” bezeichnet wurde.

Für den 3. November 2012 plant die PdV in Offenburg im Ortenaukreises, konkret im Salmensaal ab 18 Uhr einen Vortragsabend zum Thema „Europa muss schweizerischer werden“. In der Ankündigung heißt es „Die Partei der Vernunft lädt […] zur Konferenz gegen die zunehmende Verbrüsselung und Schwächung der individuellen und wirtschaftlichen Freiheit durch die EU“. Auftreten sollen zwei Schweizerische Rechtspopulisten, ein Rechts-Schreiber, der PdV-Bundesvorsitzende und sein Stellvertreter. Angekündigt sind laut einer Anzeige in der aktuellen Ausgabe des Querfront-Blatts „Compact“ von Jürgen Elsässer im Einzelnen:

 

  • Dr. Pirmin Schwander (* 1961), seit 2003 Nationalrat der rechtspopulistischen „Schweizerischen Volkspartei“ (SVP) und Präsident der nationalneutralistischen „Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz“ (AUNS). Schwander trat am 10. Juni 2011 bei einer verschwörungstheoretischen Konferenz der Anti-Bilderberger in St. Moritz auf, bei der die deutsche Querfront-Hiphop-Combo für die Musik sorgte.
  • Roger Köppel, Chefredakteur der rechtskonservativen „Weltwoche“ aus der Schweiz. Köppel soll mit Hilfe des ehemaligen SVP-Vorsitzenden und Milliardärs Christoph Blochers die „Weltwoche“ aufgekauft haben, die bis dahin eher als linksliberal galt. Vor der Nationalratswahl 2003 gab er dann auch eine Wahlempfehlung für Blocher ab. Die Weltwoche widmet ihre Titelstorys Themen wie "Homosexualitaet als Religion" oder "Muss der Islam verboten werden?" und unlängst sorgte ein antiziganistisches Motiv international für Empörung.
  • Carlos A. Gebauer (* 1964) aus Duisburg, ist Mitglied der FDP und Kolumnist der rechten Monats-Zeitschrift „eigentümlich frei“ (ef). Das „marktfundamendalistische Kampfblatt“ erfreut seine Leserschaft mit Titelstorys wie „War Hitler schwul?“, „Irrtum Demokratie“ oder „Vierzig Jahre 68-er Republik“.     
  • Prof. Dr. Norbert Geng, Dozent für Unternehmensrecht und stellvertretender PdV-Bundesvorsitzender. 
  • Oliver Janich aus München, PdV- Bundesvorsitzender, Buchautor und Journalist (u.a. auf für die rechten Blätter „Compact“ und „eigentümlich frei“). Er ist im Angebot des rechts-esoterischen Kopp-Verlags mit der DVD „EU auf dem Weg zu einer Art Sowjetunion“ vertreten. 


Die Veranstaltung ist bereits die zweite dieser Art. Am 2. Juli 2011 referierten im Salmensaal in Offenburg schon einmal Carlos A. Gebauer, Oliver Janich und Prof. Norbert Geng bei der Veranstaltung „Ein freies Geldsystem & direkte Demokratie sind der Ausweg aus der Eurokrise und bürgerfeindlichen EUdSSR“ der „Partei der Vernunft“ angeblich vor 150 Personen.

reaktionären Anti-Euro-Rebellen II: Freie Wähler Baden-Württemberg 


Ebenfalls auf rechtspopulistischen Abwegen scheinen sich auch die Freien Wähler in Baden-Württemberg (FW-BaWü) zu bewegen. Gemeint sind hier die Freien Wähler, die Ableger der bayrischen FW sind, welche dort im Landtag vertreten sind. Die starken bayrischen FW versuchen sich gerade als Protestpartei gegen die Euro-Rettungspolitik in Stellung zu bringen, mit Ausblick auf die Bundestagswahl 2013.


Die in diesem Zusammenhang in München veranstalteten Kundgebungen wurden bisher auch fleißig von Aktivist*innen der NPD-Liste “Bürgerinitiative Ausländerstopp” (BIA) besucht. Für Irritationen sorgte dabei, dass diese rechte Kaperversuche auf keinerlei Widerstand von Seiten der FW stießen (Vgl.: Mike Szymanski: Rechtsextreme bei Freie-Wähler-Demos Scharfe Kritik an Aiwangers Tonfall, 23.08.2012, http://www.sueddeutsche.de/bayern/rechtsextreme-bei-freie-waehler-demos-... Tim Karlson: Neonazis kapern “Freie Wähler”-Demonstrationen, 21. August 2012, http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2012/08/21/neonazis-kapern-freie-wah...).   

Die FW-BaWü mobilisierten nicht nur zu der Anti-EU-Kundgebung am 8. September 2012 in Karlsruhe. Sie richteten bereits auch eigene Kundgebungen aus. So fand am 30. Juni 2012 auf dem Friedrichsplatz in Karlsruhe eine Kundgebung der Landesvereinigung der „Freien Wähler“ Baden-Württemberg statt. Es sprachen die Rechtspopulisten Dr. Karl Albrecht Schachtschneider (u.a. seit 2011 Vizepräsident des „Studienzentrum Weikersheim“ und Experte der sächsischen NPD-Fraktion bei einer Expertenanhörung zur Grundgesetzkompatibilität des EU-Verfassungsvertrages im Januar 2005 im sächsischen Landtag), Dr. Wilhelm Hankel (u.a. Referent für das FPÖ-Bildungsinstitut, die „Junge Freiheit“ oder die Gottlieb-Fichte-Stiftung der Republikaner-Partei), Dr. Bruno Bandulet (u.a. Autor für: die „Junge Freiheit“, „Schweizerzeit“ und „eigentümlich frei“), Prof. Dr. Wilhelm Nölling (Finanzsenator a.D. aus Hamburg) und ein Dr. Wolfgang Philipp (Rechtsanwalt aus Mannheim) auf. Es sollen sich 150 Personen beteiligt haben.

Der oben bereits erwähnte Dr. Wolfgang Philipp aus Mannheim soll zusammen mit Dr. Jan Schnellenbach vom Walter-Eucken-Institut in Freiburg am 25. September 2012 in Freiburg im Hotel Rheingold an der Podiumsdiskussion zum Thema „Euro-Rettung – Stabilitätsgemeinschaft oder Inflations-Union“ der FW-BaWü teilnehmen. Dritter Podiums-Gast ist Professor Dr. Dietrich  Murswiek (* 1948) von der Universität Freiburg. Murswiek ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Öffentliches Recht an der Universität Freiburg und war Verfasser und Prozessbevollmächtigter der Verfassungsklage des CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler gegen den Euro-Rettungsschirm. Murswiek kann aber auch auf eine lange rechte Karriere zurückblicken. So war er bereits als Jugendlicher in der extrem rechten Schülerzeitung „Im Brennpunkt“ aktiv, rief 1969 zur Wahl der NPD auf und war als Student für zwei Semester Mitglied des „Nationaldemokratischen Hochschulbunds“ in Heidelberg. Am 21. Mai 1970 war Murswiek an einer Aktion im Rahmen einer Demonstration gegen das Treffen von Willy Brandt und Willi Stoph in Kassel beteiligt, bei der „die DDR-Spalterflagge“ vom Mast gerissen wurde. Seit 1972 ist er CDU-Mitglied, dort aber im nationalkonservativen Flügel zu verorten. Er war 1974/75 Redaktionsmitglied der extrem rechten Zeitung „Student“ und zeitweise auch Mitarbeiter des ähnlich ausgerichteten „Deutschen Studenten-Anzeigers“. Zudem war er Autor für das extrem rechte Blatt „Criticon“ (1971-1987) und gab der „Jungen Freiheit“ Nr. 25-2010 ein ausführliches Interview. Außerdem war er Mitautor in dem rechten Sammelband „Europäische Union. Perspektiven mit Zukunft?“ (Hg. von Rudolf Stettin / Volker Kempf, 2012) der rechtsökologischen Herbert-Gruhl-Gesellschaft e.V.


Als Referent trat er auf für die völkische Studentenverbindung „Deutsche Hochschulgilde Balmung zu Freiburg“ im Breisgau (November 1992), auf der 2. „Weikersheimer Hochschulwoche“ (1993, Thema: „Selbstbestimmungsrecht der Völker contra universale Menschenrechte?“), für die nationalliberalen „Karlsruher Freitagsgespräche“, für die revanchistische „Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen“, für die burschenschaftliche „Stuttgarter Initiative“ (07.11.2009, Haus der Burschenschaft Hilaritas Stuttgart), das „Studienzentrum Weikersheim“ (2010) und er hielt den Festvortrag auf Burg Ludwigsstein für die „Deutsche Hochschulgilde zum Thema „Demokratische Legitimierung in der EU“.

Fazit: Analyse&Kritik schärfen und Protest organisieren


Auch wenn es schwieriger ist Rechte jenseits von Neonazis, NPD und Co. zu kritisieren, so verdienen auch die rechtspopulistischen und reaktionären Anti-Euro-Rebellen antifaschistische Aufmerksamkeit, Kritik und Protest. Hier ist natürlich eine längere Beweisführung und Analyse vonnöten. Am besten stellt man der reaktionären und nationalistischen EU-Kritik von rechts eine progressive und antinationale EU-Kritik bzw. -Ablehnung von links gegenüber. Es muss dafür eine fortschrittliche Analyse und Position zur EU als undemokratischer und bürokratischer Machtapparat, an dessen Grenzen täglich Menschen sterben, gefunden werden, die sich sowohl von linksliberaler Europa-Romantik als auch von der reaktionär-nationalistischen Anti-EU-Polemik abhebt.