Näher dran geht nicht

Erstveröffentlicht: 
15.09.2012

Von Sebastian Carlens

Wie nah war der Staat an den einer Mordserie verdächtigten Terroristen des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU)? Näher geht es kaum, muß die Antwort mittlerweile lauten: Engste Unterstützer des NSU-Trios könnten im Sold staatlicher Stellen gestanden haben, erfuhr am Donnerstag abend der Bundestagsausschuß zum Behörden»versagen« bei der Aufklärung einer Mordserie an Migranten. Einem Bericht von Spiegel online vom Donnerstag zufolge soll der Chemnitzer Neonazi Thomas Starke, gegen den der Generalbundesanwalt als Unterstützer des NSU ermittelt, seit dem Jahr 2000 als »Vertrauensperson« für das Berliner Landes­kriminalamt (LKA) gearbeitet haben. Im Januar 2011, ein dreiviertel Jahr vor Auffliegen der Terrorzelle, sei die Quelle abgeschaltet worden, so die Webseite. Erst am 20. März 2012 informierte die Berliner Behörde den Generalbundesanwalt über den Kontakt. Der Ausschuß-Obmann der Grünen, Wolfgang Wieland, kritisierte am Freitag im RBB-Inforadio, daß diese »relevanten Informationen« dem Gremium erst am Donnerstag durch ein »hereingereichtes dreiseitiges Papier« zur Verfügung gestellt worden seien.


Thomas Starke gilt als Schlüsselfigur beim Abtauchen des NSU in den Untergrund. Bereits 1998 soll er dem späteren Terroristen Uwe Mundlos ein Kilogramm des Sprengstoffes TNT verschafft haben. Der NSU entzog sich nach dem Fund des Sprengstoffes in einer von Beate Zschäpe angemieteten Garage 1998 in Jena der Festnahme und tauchte ab – zunächst nach Chemnitz. Dort habe ihnen Starke, der rund um das Jahr 1997 mit Zschäpe liiert gewesen sein soll, die erste konspirative Bleibe vermittelt, berichten Verfassungsschutzpapiere. In einem als »VS – nur für den Dienstgebrauch« klassifizierten Dokument des sächsischen Landesamtes vom 18.11.2011, das jW vorliegt, wird Starke als »hervorzuhebende Persönlichkeit« beschrieben: »Seine Kontakte zu den Flüchtigen stellen Anhaltspunkte dar, daß Starke der Gruppierung zugehörig war«, heißt es dort. Zwei Jahre später soll er laut Spiegel online vom LKA als »V-Mann« geworben worden sein. Starke machte schon 2001 erste Angaben zum Verbleib der NSU-Terroristen. 2002 soll er schließlich den Hinweis gegeben haben, bei Jan Werner, ebenfalls einem hochrangigen Neonazi aus dem »Blood&Honour«-Umfeld, nachzuforschen. Werner war bereits von einem weiteren V-Mann als möglicher Waffenlieferant des NSU benannt worden.

 

Jan Werner könnte gewußt haben, wo sich die NSU-Mitglieder verbergen. Doch Nachforschungen waren vielleicht gar nicht nötig, denn auch Werner selbst, im Papier des sächsischen Landesamtes als »Führungspersönlichkeit« beschrieben, soll im Sold der Berliner Behörde gestanden haben: Laut einem Bericht der Berliner Zeitung (Onlineausgabe) vom Freitag arbeitete Werner zwischen 2001 und 2005 mit dem LKA zusammen. Sie zitiert ein Fax des LKA an das Bundeskriminalamt vom 22. August 2001 – darin seien die Wiesbadener Kriminalisten von ihren Berliner Kollegen gebeten worden, sie vor »Maßnahmen« gegen Werner zu informieren. Solche Absprachen seien üblich bei Anwerbung von Informanten, so die Zeitung. In einem Geheimdokument des Thüringer Verfassungsschutzes vom 30.11.2011, das jW vorliegt, wird Werner als Kontaktmann zum NSU beschrieben. Er »soll damals den Auftrag gehabt haben, ›die drei Skinheads mit Waffen zu versorgen‹«.

 

Eigentlich sollte sich der Ausschuß am Donnerstag mit einer der rätselhaftesten Taten, die dem NSU zugeschrieben werden, befassen. Am 22. April 2007 starb in Heilbronn am Rande der städtischen Festwiese die Streifenpolizistin Michèle Kiesewetter durch Schüsse in den Kopf, ihr Kollege wurde schwer verletzt. Am 7. November 2011, nach dem mutmaßlichen Selbstmord zweier NSU-Mitglieder, wurden die Dienstwaffen der beiden im Wohnmobil der Terroristen in Eisenach gefunden. Doch noch immer steht die Frage nach dem Motiv der Tat, die von den neun Morden an Migranten zwischen 2000 und 2006 abweicht, ungelöst im Raum. Der Patenonkel der ermordeten Beamtin, selbst Polizist und vor 2007 in der Abteilung Staatsschutz beschäftigt, ist früh von einem Zusammenhang zwischen der Tötung Kiesewetters und der Mordserie an Migranten ausgegangen. Er soll der frühere Partner einer Thüringer Beamtin sein, die später wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen an Neonazis suspendiert wurde, berichtete Axel Mögelin, Leiter der damaligen Sonderkommission, am Donnerstag den Ausschußmitgliedern. Mit eben jener ehemaligen Polizistin, die unterdessen mit einem Neonazi verheiratet ist, war Michèle Kiesewetter im Jahr 2003 gemeinsam in Ungarn im Urlaub. Der Heilbronner Mord ist immer noch nicht aufgeklärt.