An die Holzfäller von Lichtenhagen:
Ihr habt es gut gemeint, als ihr die frisch gepflanzte Eiche in Rostock gefällt habt. Aber gut gemacht habt ihr das nicht.
Eine Ermahnung von Deniz Yücel
Liebe Kinder,
in der Nacht zum Mittwoch habt ihr die Eiche abgesägt, die am Wochenende in Rostock-Lichtenhagen im Beisein des eitlen Zonenpfaffen Joachim G. bei der Veranstaltung zum Gedenken an das Pogrom von 1992 gepflanzt worden war. Für eure Tat habt ihr euch den niedlichen Gruppennamen „Antifaschistischer Fuchsschwanz“ ausgedacht und werdet euch nun diebisch darüber freuen, dass die Denunzianten aus der Nachbarschaft euch nicht zur Strecke bringen konnten. Euer Erfolg sei euch gegönnt, und euer Kampf dient einer guten Sache.
„Diese Kämpfe sind in der modernen Welt“, so schrieb Hegel einmal, „nichts weiteres als die Lehrjahre, die Erziehung des Individuums an der vorhandenen Wirklichkeit, und erhalten dadurch ihren wahren Sinn. Denn das Ende solcher Lehrjahre besteht darin, daß sich das Subjekt die Hörner abläuft, mit seinem Wünschen und Meinen sich in die bestehenden Verhältnisse und die Vernünftigkeit derselben hineinbildet, in die Verkettung der Welt eintritt und in ihr sich einen angemessenen Standpunkt erwirbt. Mag einer sich auch noch soviel mit der Welt herumgezankt haben, umhergeschoben sein – zuletzt bekömmt er meistens doch sein Mädchen und irgendeine Stellung, heiratet und wird ein Philister, so gut wie die anderen auch.“
Noch aber seid ihr, liebe Kinder, mittendrin, und es ist euer Vorrecht, auf eure Irrtümer zu bestehen. Ihr werdet keinen Pfifferling auf Maßregelungen geben, erst recht auf welche im Fachblatt für abgelaufene Hörner. Und doch sei es euch gesagt: Ihr habt euren löblichen Absichten mehr geschadet als genutzt.
Dabei spricht für euch, dass ihr euch von der Wald-und-Wurzel-Linken abhebt, die sich von den Kämpfen gegen die Startbahn West in Frankfurt bis zu den Auseinandersetzungen um den Stuttgarter Hauptbahnhof so gern mit Gestrüpp aller Art verbrüdert; einer Linken, die, um es mit Marx zu sagen, ihre Freiheitsgeschichte in den teutonischen Urwäldern sucht und die mit Luther noch im Angesicht des bevorstehenden Weltuntergangs nichts sinnvolleres zu tun weiß, als einen Apfelbaum zu pflanzen.
Jeder Mann sollte im Leben einen Baum gefällt, ein Haus versoffen und einen Sohn abgetrieben haben, hat jemand mal im feministischen Trotz gesagt, und auch in dieser Hinsicht wart ihr, liebe Holzfällerkinder, brav. Zugleich habt ihr gezeigt, dass sehr wohl etwas die deutsche Eiche kratzen kann, nämlich das richtige Werkzeug. Und schließlich habt ihr ganz richtig erkannt, wie verlogen und selbstgefällig die Veranstaltung mit Gauck war und wie taktlos es ist, zu Ehren der Opfer rechtsextremer Gewalt eine Eiche zu pflanzen.
Von Schreib-Schreib-Machern des Grauens wie Ernst-Moritz Arndt („Das ganze Teutschland soll es sein“), Heinrich Hoffmann von Fallersleben („Einigkeit und Recht und Freiheit“) und Reinhard Mey („Ich hab’ in meinem Handschuhfach ein Butterbrot“) besungen, auf D-Mark-Münzen und Kriegerorden geprägt, ist die Eiche das baumgewordene Symbol für Deutschtümelei schlechthin; wer Hand an eine Eiche legt, kann kein schlechter Mensch sein. (Anders verhält es sich übrigens mit Ahornen, Linden und Eschen, die sich als Alleebäume in Ostdeutschland größere Verdienste um den praktischen Antifaschismus erworben haben als alle amtlichen Mahn- und Gedenkredner zusammen.)
Diese Eiche vor dem Sonnenblumenhaus aber hättet ihr, liebe Kinder, besser nicht angetastet. Denn so wie einst das Bild vom Ossi im Deutschlandtrikot und in vollgenässter Jogginghose, in der einen Hand die Bierdose haltend, die andere zum deutschen Gruß erhoben, in seiner ganzen Scheußlichkeit der Welt vor Augen führte, was dort zusammenwuchs, hätte dieser Baum gute Dienste verrichtet. Eine deutsche Eiche, die keinem anderen Zweck dient, als regelmäßig von deutschen Nachbarn und ihren deutschen Kötern angepinkelt zu werden – doch, das wäre angemessen gewesen.
Ihr hättet besser etwas anderes gemacht, um das Bild zu vervollkommnen: eine Reichskriegsflagge an der Baumkrone befestigt, gerne eine DDR-Fahne dazu. Und ein Schild „Spielen verboten – Eltern haften für ihre Kinder“ daneben angebracht – damit auch der Gutmütigste kapiert, was für eine gottlose Gegend dieses Mecklenburg im Allgemeinen und dieses Lichtenhagen im Besonderen nicht nur im August 1992 war, sondern noch heute ist.