Am 2. Juni 2012 waren mehr als 25.000 Menschen in Hamburg gegen den „Tag der Deutschen Zukunft“ auf der Straße. Während das politische Establishment Hamburgs auf dem Rathausmarkt „Farbe“ bekannte, verhinderten in Wandsbek viele tausend Antifaschist_innen die geplante Route des Naziaufmarschs. Nur Dank der gewalttätigen Verstärkung ihrer Demonstration durch die Hamburger Polizei gelang es rund 500 Nazis knappe 1,5 Kilometer zu laufen. Wie in Barmbek 2008 erlebten die Nazis in Hamburg wieder einmal eine politische Niederlage.
Mobilisierung:
Vor über einem Jahr begann die antifaschistische
Mobilisierung gegen den neonazistischen „Tag der deutschen Zukunft“
(TDDZ), einem alljährlich in Norddeutschland stattfindenden
Naziaufmarsch unter dem rassistischen Motto: „Unser Signal gegen
Überfremdung“. Für 2012 hatten sich die Organisator_innen von NPD und
Freien Kameradschaften die Hansestadt als Austragungsort ausgesucht –
Mehr als 4 Jahre nach der „Schlacht von Barmbek“ wagten sich die Nazis
wieder an die Elbe. Direkt nach Bekanntwerden dieser Pläne begann die
antifaschistische Mobilisierung. Spätestens seit dem Frühjahr 2012 gab
es wöchentlich Aktionen und Mobilisierungsveranstaltungen die im Mai
ihren Höhepunkt fanden. Auf dem Schulterblatt im Schanzenviertel fand
ein Konzert unter dem Motto „AufMucken gegen Nazis“ mit 3000
Besucher_innen statt, in Wilhelmsburg gab es sechs Tage vor dem
Naziaufmarsch ein antirassistisches Stadtteilfest und am Abend vor dem
Aufmarsch organisierte die Marathonabteilung des St. Pauli einen
Spendenlauf um die Alster zu Refinanzierung der Aktivitäten des
Hamburger Bündnis gegen Rechts (HBgR). Das HBgR rief seit März zu einer
großen Demo und Blockaden auf, autonome und antifaschistische Gruppen
schlossen sich zum Bündnis „notddz“ zusammen und kündigten die
Verhinderung des Aufmarschs an. Der vielfältigen Mobilisierung schlossen
sich mehr als 300 Gruppen und Organisationen und das 3a-Bündnis an. Wir
mobilisierten seit Anfang Mai als Teil des HBgR gemeinsam mit der
„Kurdischen Jugend Hamburg“ zum „Internationalistischen
Antifa-Jugendblock“.
Die Nazis wollten ursprünglich einen
achtstündigen Aufmarsch vom Gänsemarkt zum Berliner Tor, quer durch die
Hamburger Innenstadt durchsetzen. Nach einem Verbot der Route durch die
Versammlungsbehörde wollten sie ihre Demo nach Altona verlegen, doch
auch diese Route wurde verboten. Erst wenige Tage vor dem 2. Juni
bekamen die Nazis vom Oberverwaltungsgericht eine 4km lange Route durch
Wandsbek genehmigt. Die antifaschistische Mobilisierung verlagerte sich
nach Wandsbek, auch der „internationalistische Antifa-Jugendblock“ wurde
dorthin verlegt. Gleichzeitig hielt das HBgR an seiner Demo in der
Innenstadt fest. Ein Zusammenschluss aus Senat, bürgerlichen,
konservativen und rechtsoffen-rassistischen Kräften von CDU über
Kirchen, Handelskammer und Prominenz bis hin zur regierenden SPD rief zu
einer symbolischen Kundgebung auf dem Hamburger Rathausmarkt unter dem
Motto „Hamburg bekennt Farbe“ auf.
Tagesverlauf 02.06:
Am
Morgen des 2. Juni versammelten sich 6000-7000 Menschen auf dem
Gerhart-Hauptmann-Platz um auf der Demo des „HBgR“ unter dem Motto
„Internationale Solidarität statt völkischer Wahn“ gegen den
Naziaufmarsch zu demonstrieren. Zeitgleich sammelten sich mehrere
tausend Menschen auf drei angemeldeten Kundgebungen in Wandsbek um den
Naziaufmarsch zu blockieren und zu verhindern. Innerhalb kürzester Zeit
schafften es tausende Menschen, an der Polizei vorbei, auf die
angemeldete Route der Nazis vorzudringen, etliche Sitzblockaden und
brennende Barrikaden blockierten die Route. Nachdem klar war, dass die
geplante Route nicht durchsetzbar ist, entschied sich die Hamburger
Polizei in Kooperation mit den Nazis für eine Alternativroute, von der
aufgrund massiven antifaschistischen Widerstands nur 1,5 km bis zur
S-Bahnstation Hasselbrook durchgeknüppelt werden konnten. Währenddessen
kam es immer wieder zu direkten Angriffen auf die Nazidemo und zu
Auseinandersetzungen mit den Bullen.
Von den
Kundgebungen in Wandsbek aus starteten mehrere „Finger“ um auf die
Naziroute zu kommen. Dabei wurde die Kundgebung des Bündnis „notddz“ an
der Gluckstraße von einigen Hundertschaften frühzeitig gekesselt, rund
500 Genoss_innen wurden unter unwürdigen Bedingungen sechs Stunden lang
festgehalten. Die Menschen, die sich von der Kundgebung an der
Wandsbeker Chaussee auf den Weg machten, gelangten recht schnell auf die
Route und bildeten dort Blockaden. Wir, als „Internationalistischer
Antifa-Jugendblock“ beteiligten uns zunächst im Rahmen des HBgR an einem
Finger von der Kundgebung Wandsbeker Markt. Von Anfang an wurde der
Block massiv angegriffen und mittels Pfeffer, Schlagstock und
Wasserwerfer von der Route weggetrieben. Nach mehreren
Durchbruchversuchen und einer Festnahme wurden wir von drei
Wasserwerfern, der Pferdestaffel und einigen Hundertschaften
eingekesselt. Im Nachhinein sind wir uns sicher, dass es mehrmals
möglich gewesen wäre durchzubrechen, es jedoch an Geschlossenheit und
Entschlossenheit mangelte. Um wieder einen guten Ausgangspunkt zu haben,
wurde dann eine spontane Demonstration zurück zum ursprünglichen
Kundgebungsort angemeldet.
Die Demo mit ca. 350
Antifaschist_innen lief lautstark und Lieder, wie „Bella Ciao“ singend
zum Wandsbeker Markt. Kurz danach machte sich der Finger wieder auf den
Weg und gelangte nach mehreren Auseinandersetzungen auf die Hammer
Straße bis direkt vor den Auftaktskundgebungsort der Nazis. Nachdem
einige Steine und Flaschen in die Nazidemo flogen, wurde der Block
mehrmals von den Bullen zurückgetrieben.
Zeitgleich kam es überall
auf und rund um die Route der Nazis zu Blockaden mit einigen Tausend
Menschen, Barrikaden wurden errichtet und angezündet. Die Bullen hatten
die Lage nicht unter Kontrolle. Auch die Alternativroute konnte nur mit
extremer Gewalt, durch die Polizei, durchgesetzt werden und musste auf
Grund der Masse an Antifaschist_innen an der nächsten Bahnstation
abgebrochen werden. Auch danach kam es noch in den anliegenden Straßen
zu militanten Auseinandersetzungen mit den Bullen, die soeben den Nazis
den Weg freigeknüppelt hatten.
Fazit:
Wie ist der Tag
nun zu bewerten? Wir stellen fest, dass der Tag im Großen und Ganzen
einen Erfolg für uns und eine politische Niederlage für die Nazis
darstellt. Bis zu 10.000 Genoss_innen versuchten über den ganzen Tag,
die von 4400 Bullen geschützte Demo mit etwa 500 Nazis zu verhindern.
Die Bullen erwarteten im Voraus um die 1000 Nazis und angemeldet war der
Aufmarsch für 700.
Es muss klargestellt werden, dass entgegen der
Berichte aus der bürgerlichen Presse, die Spaltung in „friedliche“ und
„gewalttätige“ Demonstrant_innen fatal ist. Nur der gemeinsame
Widerstand, die vielen Sitzblockaden, brennenden Barrikaden und
militanten Angriffe auf Nazis und Bullen haben den Erfolg ermöglicht.
Gleichzeitig haben wir eine klare Kritik an den Veranstaltungen in der
Innenstadt. Auch wenn es positiv ist, dass 6000 Menschen auf der Demo
des HBgR und etwa 10.000 Menschen auf dem Rathausmarkt gegen Nazis
protestierten, spalteten diese Aktionen den Widerstand und sorgten in
der Öffentlichkeit für eine Selektion in die angeblich „demokratischen,
friedlichen“ Demonstrant_innen in der Innenstadt und den
„Extremist_innen“, egal ob Rechts oder Links, in Wandsbek. Zum Großteil
war die Veranstaltungen auf dem Rathausmarkt bloß eine heuchlerische
Alibiveranstaltung. Mit Würstchenbuden und dem Bekenntnis zur
bürgerlichen Demokratie gegen Extremismus wollte sich das Hamburger
Establishment unter der Führung von Brechmittel-Olaf Scholz selbst
feiern. Während die regierende SPD sich einen antifaschistischen
Anstrich gab, prügelten die Bullen, unter Zuständigkeit des
SPD-Innensenator Michael Neumann, mit dem klaren Ziel und somit
vermutlich auch dem Befehl, den Naziaufmarsch mit allen Mitteln
durchzusetzen, tausende antifaschistische Genoss_innen von der Route um
500 Nazis den Weg zu ebnen. Zwar mobilisierte die Demo des HBgR zu den
Blockaden, wurde aber in der Öffentlichkeit und den bürgerlichen Medien
als eine separate Veranstaltung aufgenommen und in direkten Zusammenhang
mit der Veranstaltung auf dem Rathausmarkt gestellt. Die Demo hätte
nach Wandsbek verlagert werden müssen.
Unter den gegebenen Umständen
ist es ein Erfolg, dass die ursprüngliche Route der Nazis komplett
verhindert, die Alternativroute verkleinert wurde und es mehrere direkte
Angriffe auf die Nazis gab. Desweiteren wurden anscheinend rund um
Hamburg viele anreisende Nazis von Genoss_innen abgefangen und
vertrieben. Trotzdem wäre bei entschlossenerem Auftreten viel mehr drin
gewesen und bei der Anzahl von Antifaschist_innen die komplette
Verhinderung möglich gewesen. Nun gilt es sich nicht auszuruhen, sondern
auf dem Erfolg aufzubauen. So haben z.B. Mobilisierungsveranstaltungen,
wie das Open-Air Konzert auf dem Schulterblatt und das „Fiesta de
Solidaridad“ viele Menschen aus den Vierteln angesprochen und für linke,
antifaschistische Politik offen gemacht.
Konsequenter Antifaschismus bleibt weiterhin eine Notwendigkeit und für uns eine Selbstverständlichkeit.
Egal ob Nazis oder Bozkurts – Kampf dem Faschismus in jedem Land!