Göppingen. Göppingen soll auch künftig eine weltoffene und tolerante "Stadt der Mitte" sein. Das machten Verwaltung und Gemeinderat am Donnerstag in einer "Aktuellen Stunde" zum Thema Extremismus deutlich.
Die von SPD und Grünen - und davor bereits von der Linken - im Gemeinderat beantragte "Aktuelle Stunde" zu rechtsextremen Aktivitäten in der Stadt hat am Donnerstag zweierlei deutlich gemacht: Zum einen betonten alle Redner den Charakter Göppingens als weltoffene und tolerante Stadt, in der es für Extremisten aller Art keinen Platz geben dürfe. Zum anderen belegten die Zahlen und Erfahrungen, über die Konrad Aichinger, der Leiter des Göppinger Polizeireviers, in der Sitzung berichtete: Die Hohenstaufenstadt ist ungeachtet der jüngsten Aktionen Rechtsextremer keine Hochburg von Neonazis. Die Polizei geht von einem harten Kern von acht bis zehn Personen aus, die der rechten Szene zuzuordnen sind und vom Staatsschutz beobachtet werden. Feste Strukturen gebe es nicht, auch kein "Vereinslokal" oder Ähnliches.
Die drei Aktionen, bei denen seit Ende Januar Mitglieder der rechtsextremen "Autonomen Nationalisten" sowie der NPD in Göppingen öffentlich in Erscheinung getreten waren, seien durch Neonazi-Touristen aus anderen Landkreisen und Regionen unterstützt worden, betonte Aichinger. Was die "politisch motivierte Kriminalität", wie es die Polizei nennt, von Rechts angeht, belege der Landkreis einen Platz im Mittelfeld. 19 Delikte wurden 2010 registriert. Dazu zählten vor allem das Bekleben von Schildern (Sachbeschädigung) sowie die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wie zum Beispiel Hakenkreuze. Gewaltstraftaten gab es auf rechter Seite weder 2010 noch 2011.
Nach Aichingers Worten messen Rechtsextreme den Erfolg ihrer Aktionen an den Reaktionen der Betroffenen, gegen die sich die Aktionen richten. Beobachtet werde auch auf Landesebene eine Verschiebung innerhalb der rechten Szene: weg von festen Parteistrukturen, hin zu loseren, aber gut vernetzten Zusammenschlüssen. Zu ihnen gehörten auch die "Autonomen Nationalisten" in Göppingen.
Doch wie geht man mit Rechtsextremismus um? Und wie geht man gegen ihn vor? Wichtig sei, wie auch eine Veranstaltung der Evangelischen Akademie Bad Boll im November 2011 gezeigt habe, eine "verstärkte Aufklärung und die Vermittlung demokratischer Wertvorstellungen", sagte Aichinger. Gerade junge Menschen müssten "immunisiert" werden, damit sie erst gar nicht für rechtsextreme Gedanken empfänglich würden. Gabriele Zull, die Erste Beigeordnete der Stadt, stellte unmissverständlich fest: "Wir verurteilen Extremismus und insbesondere Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit auf das Schärfste und wollen in unserer Stadt keinen Nährboden dafür entstehen lassen." Dazu "müssen wir junge Menschen sozial und emotional stärken", betonte Zull. Der Kampf gegen Extremismus müsse "nachhaltig, tiefgreifend und langfristig" sein und dürfe nicht erst geführt werden, wenn ein aktueller Anlass bestehe. Zull erinnerte an die vom Gemeinderat 2008 einstimmig verabschiedete Erklärung, in der sich die Stadt verpflichtet, "einen aktiven Beitrag zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie und zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu leisten".
Ulrike Haas, im Rathaus für die Jugendhilfeplanung zuständig, berichtete über den lokalen Aktionsplan, mit dem das vom Bundesfamilienministerium initiierte und finanziell geförderte Programm "Vielfalt tut gut" sowie dessen Nachfolgeprogramm "Toleranz fördern, Kompetenz stärken" in Göppingen umgesetzt werde. Seit 2007 habe es 54 Einzelprojekte von freien Trägern, Vereinen und Verbänden gegeben, an denen bis heute rund 13 000 Menschen teilgenommen haben. Diese kontinuierliche Arbeit habe die Zivilcourage in der Stadt nachhaltig gestärkt und dazu geführt, "dass rechtsextreme Gedanken in Göppingen schlechtere Chancen haben".
CDU, FDP/FW, Freie Wähler (VUB) und die Bürgerallianz (BAG) hatten vor der Sitzung beantragt, dass über "sämtliche extremistische Strömungen in Göppingen" berichtet wird. Polizeioberrat Aichinger erläuterte, dass es im linksextremen Bereich, zu denen die Polizei auch Teile der Antifa zählt, zwar keine festen und langfristig gewachsenen Strukturen gebe, dass es aber wie im rechtsextremen Bereich Beziehungen zu anderen Gruppen gebe. 2010 habe es im Kreis zwei Straftaten gegeben, die in der Statistik als "politisch motivierte Kriminalität von Links" aufführt werden. In einem Fall seien Polizisten beleidigt worden, in einem anderen die Fassade des Ordnungsamts in Geislingen besprüht worden.
Besonders hoch sei das Aggressionspotenzial auf beiden Seiten, wenn links- und rechtsextreme Gruppen aufeinandertreffen, so Aichinger. Gewaltdelikte habe es aber auch auf linker Seite in den vergangenen zwei Jahren im Landkreis nicht gegeben. Im Frühjahr und Herbst 2011 seien Vermummte aus der linksautonomen Szene mit Fackeln vor einer Wohnung in Göppingen aufgetaucht, um ein Mitglied der rechten Szene bei den Nachbarn zu outen. Aichinger: "Das war schon Ku-Klux-Klan-mäßig."
SPD-Fraktionschef Armin Roos sagte in der anschließenden Aussprache: "Wir begreifen Göppingen als weltoffene Stadt, die auch weiterhin Flagge zeigen muss." Die fraktions- und parteilose Stadträtin Barbara Schrade meinte: "Nur, wer gut informiert ist, kann richtig handeln." Christoph Weber, der Vorsitzende der Grünen-Fraktion, kritisierte mit Blick auf die zehn Morde der rechtsextremen NSU in den vergangenen Jahren in Deutschland: "Viele zu lange haben Politik und Gesellschaft weggeschaut." Auch in Göppingen, so Weber, habe es immer wieder rechtsextreme Aktivitäten gegeben.
OB Guido Till erklärte: "Ich verwahre mich gegen jede Form von Extremismus. Ich habe Göppingen vor sieben Jahren als eine tiefdemokratische Stadt kennengelernt, die fest auf der Grundlage des Grundgesetzes steht." Die CDU-Fraktion regte gestern in einer Pressemitteilung an, der Landkreis möge sich an dem Programm "Vielfalt tut" beteiligen.