M31: Interview mit dem Anarchistischen Netzwerk Südwest* in der Sonderausgabe der Gǎi Dào

Gaidao M31 Extra

Heute ist die Sonderausgabe der Gǎi Dào (pdf), der Zeitung des Forums deutschsprachiger Anarchist*innen (FdA) erschienen. Darin führte die Redaktion unter anderem ein Interview mit dem Anarchistischen Netzwerk Südwest* zum geplanten europaweiten Aktionstag gegen den Kapitalismus und den geplanten Protesten in Frankfurt am 31. März.

 

“Das ist schonmal ein wichtiger Schritt”


Interview mit dem Anarchistischen Netzwerk Südwest*

 

In den regionalen Vorbereitungs- und Mobilisierungsbündnissen zum M31-Aktionstag in Frankfurt am Main sticht besonders das Anarchistische Netzwerk Südwest* heraus. Ist es doch das einzige Bündnis, welches unabhängig und weit vor M31 gegründet wurde. Wir sprachen mit Vertreter*innen des Netzwerks über ihr Engagement im M31-Bündnis, ihre Erwartungen und natürlich auch über das Netzwerk an sich.

 

Erzählt doch kurz etwas über das Anarchistische Netzwerk Südwest. Wie und wann ist es entstanden und was grenzt das “Südwest” ein?*

Das Anarchistische Netzwerk Südwest wurde im Sommer 2010 “offiziell” gegründet und ist aus einer losen Vernetzung libertärer/ anarchistischer Gruppen im “Südwesten” heraus entstanden. Das “Südwest” beschreibt grob den südwestlichen Teil des deutschsprachigen Raumes, also Baden-Württemberg, das Saarland und Rheinland-Pfalz, es bestehen aber auch enge Kontakte in die Nordschweiz und nach Ostfrankreich.

 

Was waren bisher eure Betätigungsfelder bzw. Aktionen als Netzwerk?

Gestartet sind wir im Frühjahr 2010 mit einer Veranstaltungsreihe zum Thema Arbeit und zur Abschaffung der Lohnarbeit mit Vorträgen und Diskussionen in vielen verschiedenen Städten. Das Ganze lief damals allerdings noch nicht unter dem “Label” des
Netzwerkes, da es dieses zu diesem Zeitpunkt offiziell noch gar nicht gab.
Am 15. Oktober 2011 haben wir im Rahmen eines internationalen Aktionstages eine antikapitalistische, libertäre Demonstration unter dem Motto “Es ist keine Krise – es ist das System!” in Karlsruhe organisiert.
Als Weiterführung dieser Demo und der Krisen-Thematik findet gerade eine Veranstaltungsreihe unter dem selben Motto statt.

 

Wieso beteiligt ihr euch an M31? Was hat euch an diesem Konzept überzeugt?

Das Konzept von M31 hat uns aus mehreren Blickwinkeln überzeugt. Zum einen die inhaltliche Ausrichtung, also dass es wirklich um eine Kritik am kapitalistischen System als Ganzes geht. Die bisherigen Proteste, die sich inhaltlich auf die Krise bezogen haben, hatten leider immer einen gewissen Rahmen der Kritik und erschöpften sich oft in den Forderungen nach einer “Regulierung” oder “Reformation” des bisherigen Systems, nicht auf dessen Überwindung. Dennoch soll der Aktionstag nicht auf diese – zugegeben ziemlich abstrakte – Ebene beschränkt bleiben, sondern an aktuelle Kämpfe und Proteste vor Ort anknüpfen.
Beispielsweise wird die anarchosyndikalistische ZSP in Polen ihren Schwerpunkt auf Wohnungsnot und Gentrifizierung legen, weil das dort gerade akut ist. Die Demonstration in Frankfurt wird zwar zur Baustelle der europäischen Zentralbank (EZB) ziehen
und diese als politischen Akteur in der aktuellen Krise benennen und kritisieren, dennoch werden weitere Schwerpunkte gelegt, wie etwa die – durch den Bau – kommende Umstrukturierung des Frankfurter Ostends.
Auch die räumliche Nähe zur Großmarkthalle, in der zur NS-Zeit viele Deportationen von Jüd*innen und anderen Gegner*innen der Nationalsozialisten stattfanden, wird thematisiert.
Generell gefällt uns die Idee einer dauerhaften Vernetzung undogmatischer linksradikaler Gruppen und Gewerkschaften aus vielen Ländern, da ist in der Vergangenheit viel zu wenig passiert. Auf eine globale Krise muss die radikale Linke auch mit einer globalen Bewegung reagieren.

 

In welcher Form beteiligt ihr euch genau an der Mobilisierung und am Aktionstag selbst?

Wir organisieren die gemeinsame Anreise, also Busse und Zugtreffpunkte, aus dem “Südwesten” nach Frankfurt. Darüber hinaus wird es in vielen Städten auch Info- und Mobilisierungsveranstaltungen geben.
Für alle Infos und Termine rund um die M31-Mobilisierung aus dem “Südwesten” haben wir auch extra eine Sonderseite eingerichtet: m31.a-netz.org.

Am Aktionstag selbst beteiligen wir uns natürlich ersteinmal an der Demonstration in Frankfurt, allerdings haben wir natürlich auch die längerfristige Vernetzung im Blick.

 

M31 versteht sich nicht nur als einzelner Aktionstag, sondern auch als Vernetzung emanzipatorischer Kräfte in ganz Europa über den 31. März hinaus. Was erwartet ihr davon für die Zukunft?

Wie wir vorhin schon erwähnt haben, ist bei der Vernetzung progressiver Kräfte in Europa noch einiges zu tun. Obwohl fast jedes Land – natürlich in unterschiedlichem Maß – von der aktuellen Krise betroffen ist, hat sich noch keine handlungsfähige Gegenbewegung innerhalb der europäischen, radikalen Linken gebildet. Wir haben das Gefühl, dass bisher viel zu sehr im eigenen Sud gekocht wurde, also beispielsweise anarchosyndikalistische Gewerkschaften, föderalistisch-anarchistische Gruppen oder undogmatischkommunistische Bewegungen ihre jeweils eigenen Kämpfe und Aktionsfelder geführt und bearbeitet haben. M31 kann ein erster Versuch sein, die verschiedenen Akteure, Strömungen und Kämpfe zusammen zu führen. Und das nicht nur auf europäischer Ebene, sondern schon weit darunter. Denn wir stellen erfreut fest, dass in manchen Ländern verschiedene progressiven Strömungen am Aktionstag teilnehmen, die sich in der Vergangenheit eher distanziert gegenüber standen. Das ist schonmal ein wichtiger Schritt.

 

Die Krise zeigt sich in jedem Land in anderen Auswirkungen, genauso wie sich der Protest gegen Krise und Krisenverwaltung jeweils anders darstellen und zusammensetzt. In Deutschland jedoch existieren kaum permanente und breite Proteste gegen die zunehmende Verschärfung der Krise. Wieso denkt ihr ist das so und was könnt ihr als Netzwerk tun, um diese Lethargie aufzubrechen?

Die Frage, wieso besonders in Deutschland progressive Proteste gegen die Krise auf sich warten lassen, ist ziemlich komplex und der Versuch einer ausreichenden Antwort würde den Rahmen hier wohl sprengen.
Ein, aktuell wichtiger Punkt ist zweifelsohne, dass Deutschland aufgrund seiner politischen und wirtschaftlichen Position europa- und weltweit (noch) nicht so stark von unmittelbaren Folgen der Krise betroffen ist, als bspw. Griechenland oder Spanien. Es wurden bisher keine großangelegten Sparprogramme verabschiedet, die auf einen Schlag große Teile der Bevölkerung trafen. Natürlich finden wir hier den selben sozialen Kahlschlag, also Abbau von Sozial-, Gesundheits- oder Bildungsleistungen, Entlassungen, Ausbau von prekären Arbeitsverhältnissen usw. wie in vielen anderen Ländern auch. Jedoch trifft es hier immer einzelne Berufszweige oder soziale Schichten. Das fördert die Konkurrenz untereinander und erschwert einen gemeinsamen, solidarischen Kampf.

Auch historisch gibt es mit Sicherheit einige Faktoren die hier eine Rolle spielen, bspw. der Fakt, dass Deutschland noch nie eine “Revolution von unten” erlebt hat, also das politische, soziale und wirtschaftliche Verbesserungen meist von der Regierung (bspw. die Sozialversicherung unter Bismarck) oder von außen (“Demokratie” nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs) durchgesetzt wurden.

 

Was können wir für 2012 vom Anarchistischen Netzwerk erwarten?

Auf M31 bezogen wollen wir – wie schon gesagt – uns auch nach dem 31. März in der Vernetzung beteiligen. Wie diese Zusammenarbeit im Detail aussehen wird, werden wir nach dem Aktionstag diskutieren müssen, momentan steht dieser erstmal im Vordergrund. Auch unsere “Es ist keine Krise – es ist das System!”-Reihe, die momentan mit inhaltlichen Veranstaltungen läuft, wird mit Sicherheit in irgendeiner Form weitergehen, das planen und diskutieren wir gerade.

Daneben werden wir in den nächsten Monaten noch eine kleine Broschüre herausbringen, die sich an Personen ohne politische Vorkenntnisse richtet und gängige Klischees über den Anarchismus aufgreift und widerlegt. Da stecken wir gerade am Feinschliff und den letzten finanziellen Details. Es haben in den letzten Monaten auch erfreulich viele Gruppen Interesse am Anarchistischen Netzwerk und an der Mitarbeit in selbigem gezeigt. Das bedeutet natürlich auch einiges an interner
Arbeit und Diskussion. Abschließend können wir sagen, dass wir uns auf ein kämpferisches 2012 mit vielen, neuen Mitstreiter*innen freuen.

 

Was kann ich tun, wenn ich an Zusammen- bzw. Mitarbeit bei euch interessiert bin?

Das Anarchistische Netzwerk Südwest* versteht sich als offenes, aber kontinuierlich arbeitendes Netzwerk. Prinzipiell sind alle Gruppen, die unsere Ansichten und Standpunkte teilen und grob im “Südwesten” anzutreffen sind, herzlich eingeladen, mitzumachen und -arbeiten. Dazu könnt ihr einfach Kontakt zu einer der nächstgelegenen Gruppen aufnehmen. Wo ihr diese findet, könnt ihr am besten auf unserer Website unter a-netz.org nachsehen.