Kristina Schröder und Linksextremismus: Ergebnisbericht des Bundesprogrammes "Initivative Demokratie Stärken"

Erstveröffentlicht: 
01.03.2012

(taz) Kristina Schröder und Linksextremismus: Kritik zum Einsehen

Das Familienministerium hält einen kritischen Bericht über sein Linksextremismusprogramm weiter zurück. Die taz macht ihn nun in voller Länge öffentlich.

 

 

Auszug aus den Evaluationsergebnissen im Programmbereich "Linksextremismus" (gesamte Studie als PDF):

[...] Im Rahmen der Analyse der politisch-sozialen Projektkontexte zeigte sich ein deutlicher Einfluss politischer Diskussionen um das Bundesprogramm sowie politischer Auseinandersetzungen um die Prävention von Rechtsextremismus und das Phänomen sowie den Begriff "Linksextremismus". Zudem wirkte sich die Einführung der "Demokratieerklärung" in unterschiedlicher Weise und Intensität auf die Projekte aus.

Mehrere Projekte sahen sich politischem und öffentlichen Druck ausgesetzt. Der Hauptvorwurf gegen die Projekte lautete, sie würden Linke Ideen bekämpfen und diskreditieren oder versuchen, die linke Szene auszuspionieren. Manchen wurde die Beteiligung an der "INITIATIVE DEMOKRATIE STÄRKEN" an sich vorgeworfen, da darin ein politisches Instrument zur mittel- und langfristigen Schwächung des "Kampfes gegen Rechts" gesehen wird. Durch diese Debatten war es einem Projekt beispielsweise nicht möglich, Kooperationen mit Projekten gegen Rechtsextremismus einzugehen, einem anderen wurden langjährige Zusammenarbeiten aufgekündigt. Die Einführung der "Demokratieerklärung" erschwert in der Wahrnehmung vieler Projekte aufgrund der ablehnenden Haltung mancher Kooperationspartner und der Unsicherheit, wie intensiv die Prüfung potenzielle Kooperationspartner und Referentinnen und Referenten ausfallen muss, die Arbeit.

Die Modellprojekte teilen die Einschätzung der Wissenschaftlichen Begleitung, dass die Forschung zum Thema "Linksextremismus" sehr lückenhaft ist. Als hinderlich wird von den Projekten vor allem der sehr geringe Forschungsstand zu "Linksextremismus" und die fehlende Klärung des Phänomens aus sozialwissenschaftlicher Perspektive genannt. Hilfreiche Hinweise für die Arbeit beziehen manche Projekte aus bestehender Forschung, die "Linksextremismus" nicht zum zentralen Gegenstand hat. [...]

Die Analyse der durch die Modellprojekte vorgenommenen lokalen Problembeschreibungen und Gegenstandsbestimmungen zeigt auf, dass die Hälfte der Projekte die Verwendung des Begriffs "Linksextremismus" weitesgehend ablehnt. Aus Aussagen der Projektumsetzenden geht hervor, dass der Begriff als nicht ausreichend gefüllt und die Extremismustheorie, auf der er beruhtm als wissenschaftlich zu umstritten angesehen wird. So würde die Bezeichnung "linksextrem", laut einiger Projekte, vorverurteilend gegenüber gesellschaftlicher und politischer Gruppen wirken, die von sicherheitspolitischen Akteuren unter das Phänomen subsumiert weren. Deswegen schaffe die Verwendung des Begriffs Misstrauen und versperre wichtige Zugänge zu potenziellen Kooperationspartnern und Zielgruppen. Als weiteres Problem wird gesehen, dass "Linksextremismus" ein Sammelbegriff sei, der viele, teilweise sehr unterschiedliche, Phänomene umfasse, deswegen pauschalisierend wirke und politisch sehr aufgeladen sei. Diese Faktoren minderten die Verwendbarkeit des Begriffs "Linksextremismus" in der Kommunikation nach außen und gegenüber den Zielgruppen. Ein zentraler Befund ist zugleich, dass Modellprojekte, die auf die Verwendung des Begriffs "Linksextremismus" weitestgehend verzichten, sehr unterschiedliche Problembeschreibungen vornehmen, diese im Verlauf der Projektarbeit teilweise revidierten oder erst gar nicht formulieren. [...]

Insbesondere im Programmbereich "Linksextremismus" wirkt auf der Ebene "Stimmigkeit zwischen Problembeschreibung und Aktivitäten" das Herausgreifen bestimmter Inhalte aus dem unscharf eingegrenzten und heterogenen Feld des "Linksextremismus" teilweise noch wenig konzeptionell vorbereitet. Hier wäre insbesondere eine Konzentration auf jugendrelevante Aspekte zielführend.

Im Hinblick auf die Stimmigkeit zwischen der Bestandaufnahme zu Forschung und pädagogischer Praxis sowie den angestrebten Aktivitäten ist im Programmbereich "Linksextremismus" eine allzu intensive bzw. unreflektiere Übertragung von Konzepten der Rechtsextremismusprävention kritisch zu hinterfragen. Parallelen z.B. zwischen Radikalisierungsprozessen, Ein- und Aussteigerkarrieren und Merkmalen der Zielgruppe sind nicht ausreichend belegt oder nach Einschätzung von Wissenschaftler/innen wenig vorhanden. [...]

 

Die taz kommentiert den Bericht und den Versuch diesen unter Verschluss zu halten folgendermaßen (gesamter Artikel):

[...] Eine seltsame Argumentation, heißt es doch im fraglichen Bericht des Deutschen Jugendinstituts selbst, dieser diene unter anderem "der interessierten Fach- und breiteren Öffentlichkeit, denen die Erkenntnisse der Wissenschaftlichen Begleitung zugänglich gemacht werden sollen". Hier hilft die taz gerne nach. 

Harscher kann Kritik von Wissenschaftlern eigentlich nicht ausfallen. Das Familienministerium behauptet nun dennoch, von einer negativen Bewertung des Programms in dem Bericht könne keine Rede sein - und wirft der taz vor, "sehr schlecht recherchiert" zu haben.

Gleichzeitig hält das Familienministerium (BMFSFJ) die DJI-Expertise aber weiter zurück und will in den kommenden Wochen nur eine Kurzfassung veröffentlichen - weshalb die taz den Bericht nun hier in voller Länge öffentlich macht und jeder selbst bewerten kann, wie kritisch die Evaluation der Wissenschaftler ausfällt.

Hinter den Kulissen herrscht schon jetzt Unruhe. So heißt es in einer E-Mail an alle Projekte, die Geld aus der Schröderschen "Initiative Demokratie Stärken" bekommen: "Wir bedauern, dass eine weder vom DJI noch vom BMFSFJ freigegebene Fassung an die Öffentlichkeit gelangt ist." Diese mediale Aufmerksamkeit könne angeblich für manche Projekte "nicht nur Unannehmlichkeiten mit sich bringen, sondern auch deren Erfolg gefährden".

 

Artikel http://www.taz.de/Kristina-Schroeder-und-Linksextremismus/!88765/

Bericht http://www.taz.de/fileadmin/static/pdf/2012-03-01_dji_ergebnisbericht_demokratie_staerken_sw.pdf