Zwickauer Trio - Ein Ermittler auf der Spur der Nazimörder

Erstveröffentlicht: 
11.01.2012

Zwickauer Trio. Der Münchner Hauptkommissar Klaus Mähler hat schon vor Jahren die Täter der Mordanschläge in der rechten Szene verortet. Heute klagt er den Thüringer Verfassungsschutz an. Fehler hätten dazu geführt, dass die Ermittlungen im Sand verliefen. Von Veronika Frenzel

 

An einem Freitag im November kehrte das seltsame Gefühl ins Leben von Klaus Mähler zurück. Er nennt es „das Unbehagen”. Der pensionierte Polizeihauptkommissar spazierte gerade mit seiner Frau durch das oberbayerische Städtchen Murnau, als sein Telefon läutete. „Hast du's schon gehört?” Der frühere Leiter der Münchner Mordkommission war dran. „Bosporus ist gelöst. Mach dein Radio an.”

„Bosporus” war der Name der Sonderkommission, die die Mordserie an acht türkischen und einem griechischen Geschäftsmann, die man damals, ohne weiter nachzudenken, „Dönermorde” nannte, aufklären sollte. Mähler war von der Gründung im Sommer 2005 bis Mitte 2007 der stellvertretender Leiter des Ermittlerteams.

Er rannte zum Auto und schaltete den Nachrichtensender ein. Eine Sprecherin erklärte in nüchternem Ton, man hätte die Tatwaffe, mit der die „Dönermorde” verübt worden waren, gefunden - die Waffe, nach der Mähler so lange gesucht hatte. Zunächst war er erleichtert, als er die Nachricht hörte. Doch das blieb nicht lange so. Denn er begriff, dass er den Fall damals hätte lösen können - wenn er die richtigen Informationen gehabt hätte. Schon vor fünf Jahren glaubte er einem Profiler, der sagte, die Täter stammten aus der rechten Szene. Seitdem fragt er sich: „Wieso hatten wir diese Informationen nicht?”

Klaus Mähler stellt die Frage jetzt laut, in einem Café in der Münchner Innenstadt, dabei presst er die Handflächen gegen seine Schläfen. „Da gibt es zum Beispiel dieses Lied einer Neonaziband, in dem die Morde gefeiert werden”, sagt er, fassungslos. „Der Verfassungsschutz hätte so etwas doch wissen müssen.” Das Lied heißt „Dönerkiller”. Die Band Gigi und die braunen Stadtmusikanten, in rechtsextremen Kreisen sehr bekannt, singt darin von den neun Morden als zusammenhängende, ausländerfeindliche Taten - und macht sich darüber lustig, dass die Polizei nicht weiterkommt: „Neunmal hat er es jetzt schon getan”, die Ermittler „drehen durch, weil man ihn nicht findet. Er kommt, er tötet und verschwindet.” Entstanden ist das Lied erst 2010, da war Mähler schon in Pension. Aber als er die Ermittlungen zu der Mordserie im Juni 2005 übernahm, gab es Hinweise auf die Täter. Weniger konkrete als in dem Lied, aber Hinweise.

Zum Beispiel wusste der thüringische Verfassungsschutz schon damals, dass die gewalttätigen Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in Sachsen untergetaucht waren, dass sie Waffen besaßen und Überfälle planten. Doch die Ermittler der Soko Bosporus erfuhren davon nichts, als sie im Frühjahr 2006 begannen, den Täter im rechtsextremen Milieu zu suchen - obwohl alle Verfassungsschutzämter in die Ermittlungen eingeweiht waren. „Ich kann nicht glauben, dass irgendjemand diese Informationen bewusst verschwiegen hat.” Mähler hält jetzt die Hände vor seine Augen. „Wenn die Ermittlungen zu dem Ergebnis kommen, dann wäre ich . . .” Er sucht nach dem richtigen Wort. „. . . erschüttert”, sagt er schließlich.

Nachdem er zwei Jahre in der Soko ohne Erfolg nach den Mördern gesucht hatte, erkrankte Mähler an Krebs. Die Mordserie sei schuld daran, glaubt er. Das letzte Jahr in der Soko hätte ihn die Tatsache, dass er die Morde nicht aufklären konnte, gequält. Das Unbehagen, das jetzt wieder da ist, hatte ihn fast jeden Tag begleitet.

Im Juni 2005 wurde Mähler stellvertretender Leiter der neu gegründeten Soko Bosporus. Die Polizei stand unter großem Druck. Schon sieben Menschen waren damals mit derselben Pistole getötet worden, mit einer Ceska, Typ 83, Kaliber 7,65 Millimeter Browning, fünf von ihnen in Bayern. Zuletzt Ismail Yasar, Dönerbudenbesitzer, am 9. Juni in Nürnberg, und Theodoros Boulgarides, Mitinhaber eines Schlüsseldienstes, am 15. Juni in München.

Als Mähler den Fall übernahm, gab es keine heiße Spur, nur die Hypothese eines Münchner Profilers. Der Täter sollte demnach im Drogenmilieu zu finden sein oder mit Schutzgelderpressungen zu tun haben. Wegen dieser These kam Klaus Mähler in die Soko. Er war Dezernatsleiter für Organisierte Kriminalität in München. „Wir haben damals wirklich alles getan, was man hätte tun können”, sagt er, mit seiner Hand umklammert er jetzt die Zuckerdose auf dem Tisch, versucht ein Lächeln.

Bei der ersten Lagebesprechung der Soko sagte Mähler zu den rund 50 Ermittlern: „Wenn einer von euch nachts aufwacht und eine Idee hat, wie es weitergehen könnte, kommt zu uns. Niemand wird sagen: ,Was soll der Schmarrn?'” Ein ungewöhnliches Vorgehen für Polizisten, die es gewohnt sind, Fälle mit Routine zu lösen.

Die Soko rollte alle sieben bis dahin verübten Morde neu auf. Ermittler aus München untersuchten die Taten, die in Nürnberg begangen worden waren, und andersherum. Die Morde wurden im Fernsehen, bei Aktenzeichen „XY ungelöst” gezeigt. Es gab eine Sonderausgabe des „Bundeskriminalblatts” über die Mordserie, die alle Polizisten in Deutschland bekamen, alle Innenpolitiker und alle Verfassungsschutzämter.

Mähler besuchte die Tatorte, rekonstruierte die Taten, ging jedem Hinweis nach. Dreimal fuhr er nach Holland. Ein Kollege besuchte die Herkunftsorte der sieben Opfer in der Türkei und in Griechenland. Vielleicht gab es Verbindungen aus der Zeit, als sie noch nicht in Deutschland lebten?

Die Ermittler suchten nach einem Motiv, das allen Morden gemeinsam sein könnte - und fanden keines. Im März 2006 stand für Mähler, der 20 Jahre lang im Dezernat Organisierte Kriminalität gearbeitet hatte, fest: mit organisierter Kriminalität hatten die Morde nichts zu tun. Mähler beauftragte ein zweites Mal einen Profiler in München, um den Fall zu analysieren. Sein Ergebnis: die Täter kamen aus der rechten Szene. Der Profiler gab den Ermittlern ein Dossier über den schwedischen Mörder John Ausonius. Zwischen August 1991 und Januar 1992 hatte der Mann elf Migranten in Stockholm angeschossen und einen von ihnen getötet. Sein Motiv: Ausländerhass.

Die Analyse bestätigte die Ahnungen von Mähler. Er beauftragte das bayerische Verfassungsschutzamt, alle Ämter um Hinweise zur Mordserie zu bitten. Das Ergebnis: nichts. „Es ist unglaublich, dass damals aus Thüringen keine Hinweise auf das Neonazitrio kamen”, sagt Mähler. „Schließlich passten sie perfekt zu unserer Ermittlungsthese, ein Ausländerhasser müsste der Täter sein.”

Kurz nachdem auch die neuen Ermittlungsansätze ins Leere gelaufen waren, passierten zwei weitere Morde. Am 4. April 2006 wurde der Kioskbesitzer Mehmet Kubasik in Dortmund getötet, zwei Tage später Halit Yozgat, Betreiber eines Internetcafés in Kassel. Wieder hinterließen die Täter keine Spuren.

Mähler gab deshalb im Sommer 2006 eine dritte Fallanalyse in Auftrag. Um auszuschließen, dass die Profiler von der Politik oder Polizei beeinflusst waren, wurde ein Team aus Baden-Württemberg beauftragt, aus einem Bundesland ohne Tatort . Das Ergebnis: die Täter könnten aus der organisierten Kriminalität kommen und einen rechtsradikalen Hintergrund haben.

Während Mähler seinen Kollegen diese dritte Analyse vorstellte, sah er die Enttäuschung in den Gesichtern. Die neue These brachte die Soko nicht weiter, bot keine neuen Ermittlungsansätze. Er wusste jetzt selbst nicht mehr, wie es weitergehen sollte. Zweimal hatten sie alle Mordfälle untersucht, es gab drei Fallanalysen, aus der Bevölkerung kamen keine neuen Hinweise. Die einzige Spur war die Waffe. Vom Hersteller hatten die Ermittler der Soko eine Liste mit den Seriennummern aller Ceskas Typ 83 mit Kaliber 7,65 Millimeter erhalten und versuchten den Weg jeder Waffe zu rekonstruieren, sehr oft erfolglos.

„Jeden Tag war es von da an schwieriger, ins Büro zu gehen”, sagt Mähler. „Irgendwann war uns klar: Entweder wir finden die Täter per Zufall, weil wir bei einer Kontrolle auf die Waffe stoßen, oder sie hinterlassen bei der nächsten Tat eine Spur. Eine andere Chance hatten wir nicht mehr.” Ein ganzes Jahr ging er nach der dritten Fallanalyse noch ins Büro, bis er im Sommer 2007 krank wurde.

Vergangenen November hat ihn die Mordserie im Ruhestand eingeholt - mit voller Wucht. Mit den früheren Kollegen der Soko Bosporus diskutiert Mähler jetzt fast täglich die Frage, wieso der thüringische Verfassungsschutz nicht über die abgetauchten Neonazis informierte, die so perfekt in das Täterprofil der zweiten Fallanalyse gepasst hätten. Er sagt dann: „Man braucht viel Erfahrung, um mit V-Leuten zu arbeiten. Ich denke, die Thüringer haben aus Unerfahrenheit Fehler gemacht.” Über andere Möglichkeiten wolle er gar nicht nachdenken.