Nazi-Morde unter staatlicher Aufsicht

Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt

"Ich bin die, die sie suchen“. Mit diesen Worten stellte sich am 7. November 2011 die 36jährige Beate Zschäpe in Jena der Polizei. Nach über 13 Jahren beendete die Mitbegründerin der Neonazi-Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) ihr Leben in der Illegalität. Drei Tage zuvor waren ihre „Kameraden“ Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem Banküberfall in Eisenach in ihrem Wohnmobil erschossen aufgefunden worden. Und kurz darauf stand fest, dass das Trio für zehn Morde, vierzehn Banküberfälle und mindestens einen Sprengstoffanschlag verantwortlich ist.

 

„Dieser Vorgang ist objektiv betrachtet eine Niederlage für die Sicherheitsbehörden“, sagte Heinz Fromm, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz in der nichtöffentlichen Sitzung des Innenausschusses des Bundestages am 21. November 2011.[1] In der Tat, doch einen wirklichen Überblick über das Geschehen hat gegenwärtig kaum jemand – auch nicht die ermittelnden Behörden. Statt dessen bat Generalbundesanwalt Harald Range die Öffentlichkeit um Hilfe bei der Aufklärung der Mordserie: „Es ist durchaus denkbar, dass der Gruppe noch weitere Straftaten zuzurechnen sind.“[2] Und Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamts, fügte hinzu: „Wir werden noch weitere Beziehungen zur NPD entdecken“.

 

Tatsächlich befeuern die bislang bekannt gewordenen Fakten die neu aufflammende Debatte um ein Verbot der NPD und das Versagen des Verfassungsschutzes. Bereits kurz nach der Tat erwirkte Bundesanwalt Range einen Haftbefehl gegen Ralf Wohlleben aus Jena, von 2002 bis 2008 stellvertretender NPD-Vorsitzender in Thüringen. Dieser soll über einen Kurier den Untergetauchten eine Schusswaffe und Munition zukommen gelassen haben, weshalb ihm Beihilfe zu sechs Morden und einem versuchten Mord vorgeworfen wird. Ein höchst unangenehmer Vorgang für die NPD; ihr frisch gewählter neuer Bundesvorsitzenden Holger Apfel ist sichtlich um Distanz bemüht.

 

Doch auch Polizei und Verfassungsschutz haben offensichtlich auf ganzer Linie versagt, wie selbst Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) eingestehen musste:[3] Obwohl zwischen 2001 und 2007 acht türkische mittelständische Unternehmer sowie der griechische Mitinhaber eines Schlüsseldienstes in verschiedenen Städten hingerichtet wurden, ermittelte die Polizei vor allem in den Familien der Opfer. Ein naheliegender rechtsradikaler, rassistischer Tathintergrund wurde konsequent ignoriert. Im Jahr 2006 verstieg sich „Der Spiegel“ gar zu der These, die „schwer durchdringbare Parallelwelt der Türken schützt die Killer“.[4] Opfer und Angehörige wurden auf diese Weise zu Mittätern oder Mitwissern erklärt. Damit setzte sich fort, was in der Debatte um rassistische und rechte Gewalt in Deutschland seit Langem üblich ist: leugnen, abwiegeln und verdrängen. Seit 1989 zählen antirassistische Initiativen 182 Tote rechter und rassistischer Gewalt, die Bundesregierung beharrt dagegen weiter auf „bloß“ 47 Opfern.[5] Dieses strukturelle Verdrängen ist eine Ursache dafür, warum erst die Zufallsfunde in Eisenach die Ermittler zu den Tätern der neun unaufgeklärten rassistischen Morde führten. Ein verengter Blick verhinderte auch die Aufklärung des Mordes an der Heilbronner Polizistin.

 

Das Versagen der Behörden mit tödlichen Folgen begann vor mindestens 13 Jahren: Bereits Anfang 1998 durchsuchte die Polizei in Jena die Wohnungen von Böhnhardt und Zschäpe wegen des Verdachts auf Herstellung von Bomben und Bombenattrappen. Schon zwei Jahre zuvor hatte die Polizei an einer Autobahnbrücke bei Jena einen aufgehängten Puppentorso mit gelbem Davidstern und der Aufschrift „Jude“ gefunden, verbunden mit zwei Kabeln und einer Bombenattrappe. Im September 1997 wurde dann auf dem Jenaer Theaterplatz ein rot bemalter Koffer mit einem schwarzen Hakenkreuz gefunden, in dem sich ein Metallrohr mit etwa zehn Gramm TNT befand. Und Weihnachten desselben Jahres entdeckten Spaziergänger auf dem Nordfriedhof der Stadt erneut einen Koffer mit Hakenkreuz.

 

Verdächtigt wurden schon damals Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, über deren enge Verbindung die Polizei bestens informiert war. Alle drei zählten zunächst zur „Kameradschaft Jena“ und dann zum „Thüringer Heimatschutz“ (THS). Bei der Durchsuchung einer von Zschäpe gemieteten Garage wurden die Beamten schließlich fündig: Vier Rohrbomben mit 1,4 Kilogramm TNT und Propagandamaterial wurden sichergestellt. Trotzdem wurden die drei Verdächtigen nicht festgenommen, ungehindert konnte sich Böhnhardt bei der Durchsuchung absetzen. Erst zwei Tage nach der Razzia, am 26. Januar 1998, erließ die Staatsanwaltschaft Gera schließlich Haftbefehle. Doch da waren Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe schon abgetaucht – für die nächsten 13 Jahre.

 

Solange führte scheinbar keine einzige Spur nach Zwickau. Die Tarnung war offensichtlich perfekt. Bis zuletzt galten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt als nette Nachbarn; seine radikale Gesinnung ließ das Trio nicht durchscheinen. Erst nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt fanden Polizisten neben einem ganzen Waffenarsenal – dabei auch die Waffe zum brutalen Mord an einer Polizistin in Heilbronn im Jahr 2007 – eine Liste mit 10 000 Namen und Adressen, darunter Politiker unterschiedlicher Parteien.

 

Bevor sich Zschäpe in Jena der Polizei stellte, soll sie eine Bekenner-DVD an verschiedene Adressen geschickt haben. Darin führt die bekannte Comic-Figur „Paulchen Panther“ zu den Schauplätzen der Morde und verhöhnt die Opfer. Zudem heißt es programmatisch: „Der Nationalsozialistische Untergrund ist ein Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz Taten statt Worte.“[6] Und: „Solange sich keine grundlegenden Änderungen in der Politik, Presse und Meinungsfreiheit vollziehen, werden die Aktivitäten weitergeführt.“ Heute steht fest: Ohne massive Hilfe aus der Szene hätte das Trio seine Morde und Anschläge weder durchführen, noch anschließend auf diese Weise inszenieren können. Offenbar konnte es sich stets auf seine alten Kontakte zum THS verlassen.

 

Rechte Seilschaften und Fahndung voller Pannen

 

Als der Neonazi-Anführer Tino Brandt aus Rudolstadt in den 1990er Jahren den THS zu einem der größten überregionalen Netzwerke militanter Kameradschaften aufbaute, wurden Böhnhardt und Mundlos stellvertretende Leiter der Jenaer Sektion. Bis zu 170 Neonazis waren im THS organisiert, der bundesweite Kontakte unterhielt und die Nähe zur NPD suchte. Doch obwohl im Oktober 1997 in einem Treffpunkt der Gruppe in Heilsberg das bis dahin größte Waffenlager von Neonazis in Thüringen gefunden wurde, sprach der Verfassungsschutz ein Jahr zuvor nur von einer „weitgehend strukturlose[n] Gruppierung“[7]. Dabei hätte er es besser wissen können: Der THS-Anführer Brandt war von 1994 bis zu seiner Enttarnung 2001 selbst V-Mann.

 

Trotz anfänglicher Dementis wird heute immer klarer, dass die Sicherheitsbehörden das Trio nach dessen Abtauchen immer wieder im Blick hatten und seinen Aufenthaltsort in Chemnitz, Zwickau und auch im europäischen Ausland zeitweise kannten. „Man kannte ihre Wohnungen, ihre Freunde, hatte Fotos, Handschriftenproben, DNA-Spuren, kurzum alles, was das Kriminalistenherz begehrt“, stellt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ fest und zieht daraus die Schlussfolgerung: „Dass die drei dennoch von der Bildfläche verschwinden konnten, verdanken sie, so der Verdacht, Helfern oder Tippgebern, eventuell sogar aus dem Umfeld der Sicherheitsbehörden.“[8]

 

Schon 1998 habe laut einem Bericht des MDR ein Zugriff durch ein Sondereinsatzkommando kurz bevorgestanden. Doch die Polizei sei zurückgepfiffen worden. Hausdurchsuchungen, Telefonüberwachungen, Zielfahnder, ein europäischer Haftbefehl, Aufrufe in den Medien und eine ausgesetzte Belohnung – alles sei erfolglos geblieben, resümiert Thüringens Justizminister Holger Poppenhäger (SPD).[9] Offenbar reiste das Trio in den 13 Jahren seines Untertauchens sogar mehrfach ins Ausland, darunter Belgien, Bulgarien, die Schweiz, Südafrika und Ungarn.

 

All das lässt auf gut funktionierende Verbindungen auch ins internationale rechtsradikale Milieu schließen: Denn über gute Kontakte in andere Länder verfügte die militante Neonazi-Szene schon immer, unter anderem über das internationale Neonazi-Netzwerk Blood & Honour, das auch in Thüringen aktiv war. Zwar wurde die deutsche Sektion im September 2000 verboten, doch die Kontakte bestehen fort.

 

Für deutsche Neonazis ist dies besonders deshalb hilfreich, weil im Ausland wesentlich leichter – und unter geringerem Verfolgungsdruck – Rechtsrock produziert, Konzerte veranstaltet oder auch Waffen besorgt werden können. Auch aus diesem Grund mangelt es deutschen Rechtsradikalen nicht an illegalen Waffen: Allein in den Jahren 2009 und 2010 fand die Polizei bei ihnen 15 Faustfeuerwaffen, 16 Langwaffen, 6 Kriegswaffen, 40 Spreng- und Brandvorrichtungen, mehr als 300 Hieb- und Stichwaffen sowie hunderte Schreckschusswaffen und Dosen mit Pfefferspray. Außerdem sind nicht wenige legale Waffen im Besitz der Rechten: Allein in Sachsen besitzen sie 150 gemeldete Schusswaffen, wie das Innenministerium jüngst mitteilte.

 

Dass es sich dabei nicht bloß um Spielzeug handelte, war ebenfalls bekannt: Bereits 2003 und 2007 warnten mittlerweile ausgestiegene V-Leute den Geheimdienst vor Terror-Plänen der rechten Szene in Thüringen. So kündigte 1998 der damalige Vorsitzende der NPD-Studentenorganisation „Nationaldemokratischer Hochschulbund“ auf einem von ihm für den THS angemeldeten Aufmarsch an, die Auseinandersetzung mit politischen Gegnern werde noch härter als „vor 1933 bei der SA“ geführt werden. Seine Rede vor den Aktivisten des THS endete laut einem Bericht in dem Neonazi-Blatt „Zentralorgan“ mit den Worten: „Ab sofort wird Bombe mit Bombe vergolten.“[10]

 

Die netten Nazis von nebenan?

 

Nachdem der V-Mann Brandt im Jahr 2001 aufflog, begann sich der THS aufzulösen. Seit einigen Jahren bemüht sich nun Thüringens Neonazi-Szene um kommunale Verankerung und um ein bürgernahes Auftreten: Statt einschlägiger Nazi-Kleidung werden Anzug und Krawatte getragen. Speziell die NPD distanziert sich öffentlich von Gewalt, ihre Abgeordneten geben sich stattdessen nun als Anwälte der „kleinen Leute“. Besonders in den Kommunen ist die Partei damit enorm erfolgreich: Zwar scheiterte sie 2009 mit 4,5 Prozent knapp bei den Landtagswahlen, jedoch gelang ihr der Einzug in mehrere Stadträte und Kreistage. NPD, DVU und eine lokale Abspaltung der NPD gewannen hier 25 Mandate. Musterbeispiele für die Verankerung vor Ort sind der Wartburgkreis und die Stadt Eisenach. Hier beherrschen gerade die jüngeren Abgeordneten mittlerweile das kommunalpolitische Handwerk. Ihre Positionen vertreten sie in kostenlosen Zeitungen, die sie massenhaft in Briefkästen verteilen. In ihren Anfragen und Anträgen dominieren wichtige lokale Themen wie Schulschließungen, Straßenausbau oder Kita-Gebühren. Die klassischen Themen der Neonazi-Szene rücken dagegen scheinbar in den Hintergrund.

 

Doch das nach außen gepflegte Bild der „netten Nazis“ täuscht. 10 von 25 Thüringer Kommunalpolitiker wurden in 29 Fällen rechtskräftig verurteilt; die Delikte reichen von Volksverhetzung, Brandstiftung und Landfriedensbruch über Körperverletzungen und Raub bis hin zu Erpressung und illegalem Waffenbesitz. So wurde Patrick Wieschke, Landesgeschäftsführer der Partei und Mitglied im Bundesvorstand der NPD, 2002 wegen Anstiftung zu einem Sprengstoffanschlag auf einen türkischen Imbiss in Eisenach im Jahr 2000 zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt; mit seinem „Nationalen und sozialen Aktionsbündnis Westthüringen“ war er früher Teil des THS. Der Fall des langjährigen Aktivisten zeigt beispielhaft, wie sehr militante Neonazis inzwischen ihren Einfluss in der NPD ausgebaut haben.

 

So stammen auch zahlreiche weitere Funktionäre der Thüringer NPD aus dem THS: Im Jahr 1999 stellte die Organisation mindestens vier Kreisvorsitzende und vier Landesvorstandsmitglieder der NPD in Thüringen. Und damit nicht genug: Thüringen hat sich zu einem Rückzugsgebiet der bundesweiten Neonazi-Szene entwickelt. Seit Jahren treffen sich an verschiedenen Orten Thüringens zahlreiche Organisationen der radikalen Rechten. Begünstigt wird all dies durch niedrige Immobilienpreise, den kaum vorhandenen Protest aus der Bevölkerung und das Wegschauen der Zuständigen in Politik und Verwaltung.[11]

 

Fehlender Aufklärungswille: Die V-Leute in der Neonazi-Szene

 

Dass der Verfassungsschutz von alldem angeblich nichts wusste, verwundert umso mehr, weil dieser von Anfang an dabei war – und das keineswegs nur mit THS-Chef Brandt. Zwar liegen konkrete Angaben darüber, wie viele V-Leute und Informanten die Landesämter und das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Polizei und andere Geheimdienste in der Neonaziszene hatten und bis heute haben, nicht vor. Geheimdienst-Experte Rolf Gössner geht jedoch davon aus, dass in den „verschiedenen als verfassungsfeindlich eingestuften Szenen mehrere 1000 V-Leute agieren, besonders viele im rechtsextremen Milieu.“[12] Allein in der NPD sollen nach einem Bericht auf „Spiegel Online“ mehr als 130 V-Leute tätig sein.[13]

 

Der hohe Anteil von Spitzeln in der Führungsebene der Partei war denn auch der Grund, warum ein NPD-Verbotsverfahren im Jahr 2003 scheiterte. Bis zu 15 Prozent der Funktionäre in Landes- und Bundesvorständen der Partei sollen damals Informanten der Verfassungsschutzbehörden gewesen sein, darunter der frühere stellvertretende NPD-Landesvorsitzende von Nordrhein-Westfalen Wolfgang Frenz oder der ehemalige Chefredakteur der NPD-Zeitung „Deutsche Stimme“, Udo Holtmann. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts befanden, der Einfluss staatlich gesteuerter V-Leute in entscheidenden Positionen mache ein Parteiverbot unmöglich, denn der NPD fehle es möglicherweise an der erforderlichen Staatsferne. Auch wenn die Innenminister von Bund und Ländern nun erneut ein NPD-Verbotsverfahren anstreben, sind die Erfolgschancen angesichts der immer noch großen Zahl von V-Leuten in der Szene weiterhin zweifelhaft.

 

Unklar ist bis heute, wie viel Geld über die Gehälter der V-Leute in die rechte Szene fließt. Doch der aktuelle Fall zeigt in erschreckender Weise, wie mit Mitteln des Staates die Neonazi-Szene auskömmlich finanziert wird: Im Umfeld des THS und des NSU soll es mindestens sieben V-Leute gegeben haben. Allein THS-Chef Tino Brandt erhielt zwischen 1994 und 2001 nach eigenen Angaben 200 000 DM vom Thüringer Landesamt, die komplett in die politische Arbeit geflossen seien.[14] Auch der militante Neonazi Thomas Dienel war in den Jahren nach 1995 V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes und soll dafür 25 000 DM erhalten haben. Dienel hatte erst die Thüringer NPD mit aufgebaut und dann 1992 die „Deutsch Nationale Partei“ gegründet. Im selben Jahr berichtete „Spiegel TV“, dass Mitglieder seiner Partei in der Nähe von Erfurt Wehrsportübungen mit Waffen durchgeführt hätten. Thüringens ehemaliger Verfassungsschutz-Präsident Helmut Roewer (1994-2000) geht davon aus, dass in seiner Amtszeit insgesamt drei Mio. DM in die Szene geflossen seien.[15] Heute veröffentlicht Roewer Bücher im extrem rechten „Ares Verlag“.

 

Bislang gibt es zwar keine handfesten Belege dafür, dass die Terroristen gar aus den Behörden gedeckt wurden, aber die hohe Dichte an Spitzeln in den Neonazi-Strukturen, das offenbar problemlose Leben der NSU im Untergrund sowie das konsequente Nicht-Handeln der Zuständigen legen den Verdacht nahe, dass der Staat noch weit stärker involviert sein könnte, als heute bekannt ist. Doch obwohl die Thüringer Landesregierung eine umfassende Aufklärung ankündigte und eine unabhängige Untersuchungskommission einsetzte, ist es inzwischen schon wieder weit ruhiger geworden. Nicht nur Journalisten äußern mittlerweile Zweifel am Willen der Landesregierung, mögliche Verbindungen zwischen Behörden und der rechten Szene aufzudecken, selbst der Thüringer CDU-Politiker und Vorsitzende der Parlamentarischen Kontrollkommission, Wolfgang Fiedler, erklärte, er werde durch die Regierung nicht ausreichend unterstützt.[16] Schlimmer noch ist die Situation allerdings in Sachsen: Das Land hat offenbar überhaupt kein Interesse an einer Aufklärung.

 

Anstatt personelle Konsequenzen zu ziehen oder die Arbeit des Verfassungsschutzes wirklich zu durchleuchten, werden (auf Bundesebene) neue oder verschärfte Sicherheitsgesetze angekündigt – und die Einrichtung einer Bund-Länder-Kommission, die hinter verschlossenen Türen tagen soll. Beides sind vollkommen untaugliche Maßnahmen, um auf staatliche Untätigkeit, Verschleierung oder gar Unterstützung zu reagieren. Denn das Problem liegt nicht in fehlenden Sicherheitsstrukturen, sondern in der bis heute fehlenden Sensibilität gegenüber dem Rechtsradikalismus als einem gewaltigen gesellschaftlichen Problem. In dieser Hinsicht tragen bis heute einige Journalisten, Antifa-Archive und einzelne engagierte Politiker mehr zur Aufklärung bei als alle Ministerien, Verfassungsschützer und Polizeibehörden zusammen.

 


 

[1] Protokoll der Innenausschusssitzung des Deutschen Bundestages vom 21.11.2011, www.zgtonline.de.

[2] Zitate aus der gemeinsamen Pressekonferenz von Generalbundesanwalt Harald Range und dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes Jörg Ziercke am 1.12.2011 in Karlsruhe.

[3] Vgl. Einige Behörden haben kläglich versagt, www.stern.de, 16.11.2011.

[4] Guido Kleinhubbert und Conny Neumann, Die Spur der Ceska, www.spiegel.de, 15.4.2006.

[5] Vgl. 182 Todesopfer durch rechte Gewalt in Deutschland, www.welt.de, 20.11.2011.

[6] Apabiz e.V., Transkript des NSU-Bekennervideos, www.apabiz.de.

[7] Thüringer Landtag, Antwort des Thüringer Innenministeriums auf die Große Anfrage der Fraktion der PDS „Rechtsextremismus in Thüringen“, DS 2/1075, 26.4.1996.

[8] „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ), 21.11.2011.

[9] Pressekonferenz des Thüringer Justizministers Holger Poppenhäger am 23.11.2011 im Thüringer Landtag, Erfurt.

[10] „... ab sofort wird Bombe mit Bombe vergolten“, Zentralorgan, 3/1998.

[11] Erst jüngst verkaufte das Land Thüringen die ehemalige Landwirtschaftsschule in Guthmannshausen an ein Mitglied des rechtsextremen Vereins „Gedächtnisstätte e.V.“; das Rittergut wird nun für rechte Veranstaltungen genutzt.

[12] Interview mit Rolf Gössner, Neonazis – vom Staat finanziert, in: „Abendzeitung“, 15.11.2011.

[13] Vgl. www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,803020,00.html.

[14] Vgl. www.mdr.de/fakt/rechtsterrorismus108-download.pdf.

[15] Millionen für die braunen V-Leute, in: „Freies Wort“, 15.11.2011.

[16] Vgl. „Ostthüringer Zeitung“, 24.11.2011.

 

   (aus: »Blätter« 1/2012, Seite 47-52)