Gegen Deutschland, Arbeitswahn und Neonazis!
„We ain‘t gotta dream no more, man.“
Stringer Bell1
Am
1. Mai wollen Neonazis aus dem Spektrum der NPD sowie der Freien
Kameradschaften in Mainz aufmarschieren. Neben Mainz wollen Nazis am
„Tag der Arbeit“ auch in anderen Städten auf die Straße gehen. So sind
Demonstrationen in Hannover und Ulm angemeldet worden. Mainz stellt in
dieser Reihe einen wichtigen Aufmarschort für die NS-Szene aus dem
Südwesten Deutschlands dar. Neonazis versuchen seit einigen Jahren
verstärkt zum 1.Mai Demonstrationen in diversen Regionen Deutschlands
durchzuführen, um mit einer breiten Mobilisierung innerhalb und
außerhalb der Szene Präsenz zu zeigen.
Sie sehen sich dabei in der Tradition der nationalsozialistischen
Deutschen Arbeitsfront (DAF), welche seit 1933 den 1. Mai als zum
offiziellen Feiertag erhobenen „Tag der nationalen Arbeit“ beging. Die
DAF führte Massenaufmärsche durch und zelebrierte die als deutsch und
ehrlich begriffene „schaffende“ Arbeit als Gegenstück zum
halluzinierten „jüdischen, raffenden Kapital“.
Aber auch in der sogenannten politischen Mitte der Gesellschaft übt man
sich anlässlich des 1. Mai in der Teilnahme am ritualisierten
Spektakel: So kommt keine größere Stadt ohne obligatorische
Kundgebungen der Gewerkschaften aus, keine Metropole ohne linke
Manifestation. Daran, dass dort in der Regel sowohl der Staat in einem
immer gleichen Mantra zur Sicherung und Stärkung des deutschen
Wirtschaftsstandortes um Hilfe ersucht wird, als auch eine deutsche
Solidargemeinschaft gegen die Kälte der kapitalistischen Gesellschaft
beschworen wird, zeigt sich, dass auch der heutige 1. Mai der Linken
jenseits einer kommunistischen Kritik an Staat und Kapitalismus steht.
Dies ist nicht dem Niedergang der linken Bewegung geschuldet, sondern
ein kontinuierliches Moment in der Geschichte des 1. Mai.
„What happened before is what really happened.“
D‘Angelo
Was im 19. Jahrhundert als ein
Kampftag der Werktätigen entstand, wandelte sich schon kurz nach den
„Haymarket Riots“ in Chicago, bei welchen es am 1. Mai 1886 in Folge
der blutigen Niederschlagung eines Streiks zu mehrtägigen
Straßenschlachten zwischen Staatsmacht und ArbeiterInnen kam, zu einer
politischen Farce. Unter dem Deckmantel eines Festtages der
ArbeiterInnen betrieb man in Deutschland fleißig Parteipolitik. Egal ob
SozialdemokratInnen, KommunistInnen oder GewerkschafterInnen, der 1.
Mai wurde zu einer Werbeveranstaltung der jeweiligen Partei bzw.
Organisation, weit davon entfernt seinem amerikanischen Vorbild in
Taten auch nur nahe zu kommen. Während also die politische Linke am 1.
Mai nicht über ihre eigenen Gruppierungen hinaus kam, sollte ab 1933
die vehementeste Vertreterin von Staat und Nation, die
Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands, es schaffen, die
Massen am 1. Mai geeint auf die Straße zu bringen.
Nachdem 1933 ein beträchtlicher Teil der Opposition, insbesondere
KommunistInnen, SozialdemokratInnen und andere AntifaschistInnen durch
Mord oder Verschleppung in Gefängnisse und Konzentrationslager
beseitigt worden war, begannen die NationalsozialistInnen damit, die
deutsche Arbeiterschaft unter dem Banner der Volksgemeinschaft zu
einigen. So zogen am 1. Mai 1933 ArbeiterInnen, diverse
Gewerkschaftsverbände und NationalsozialistInnen durch Berlin und
begingen gemeinsam den ersten „Tag der nationalen Arbeit“. Als einen
Tag darauf die Gewerkschaften verboten wurden, war der Widerstand eher
marginal, zu sehr waren die linken ArbeiterInnen bereits durch
Verfolgung geschwächt und teils auch gar nicht gewillt, den
NationalsozialistInnen entgegenzutreten.
Von da an sollte, zumindest bis 1945, die Einheit der deutschen
Arbeiterschaft ungebrochen sein. In der Zelebrierung des 1. Mai als
„Tag der nationalen Arbeit“ kulminierte das antisemitische Weltbild in
einem Festakt, bei welchem, jenseits jeglicher ökonomiekritischen
Erkenntnis, die „reine, deutsche Arbeit“ als antikapitalistisches
Bollwerk inszeniert wurde. Bewaffnet mit Krupp’schen Stahlspaten und
anderem „ehrlichen“ Handwerkszeug paradierte man nun jährlich durch die
Straßen, um der Welt den Beelzebub des „natürlich“ durch „den Juden“
verschuldeten Kapitalismus auszutreiben. Dass aus solcherlei Wahn keine
Kritik der kapitalistischen Ökonomie erwachsen kann, ist klar. Er trug
darüber hinaus aber auch dazu bei, dass der deutsche Antisemitismus
seinen finalen Akt in dem von ganz normalen Deutschen ausgeführten und
begrüssten Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden fand.
Wer
nun aber meint, dass der 1. Mai der Linken, also der traditionelle Tag
der Arbeiter, mit emanzipatorischen Inhalten belegt ist, irrt. Nicht
erst die Kommunistische Partei Deutschlands glänzte in den zwanziger
und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts durch Verherrlichung von
Arbeit und falscher, teils sogar offen antisemitischer
Kapitalismuskritik. Vielmehr zeigt sich am Beispiel der Geschichte des
1. Mai die Unfähigkeit zu umfassender Kritik an Staat, Arbeit und
Nation durch die Linke.
Dies liegt zum einen daran, dass es der großen Mehrheit der Linken nie
möglich war, die Verhältnisse tiefgehend zu analysieren und sie etwa
immer wieder in Personalisierungen kapitalistischer Herrschaft verfiel.
Andererseits liegt es an dem historischen Kontext, in welchem sich im
19. Jahrhundert das deutsche Nationalbewusstsein entwickelte. So trugen
vor allem die deutschen Zünfte und HandwerkerInnen dazu bei, dass sich
der Begriff einer spezifisch „deutschen Arbeit“ kultivierte, welcher
zum festen Element deutscher Identitätsbildung werden sollte. Diese
„deutsche Arbeit“ fand ihr Gegenstück in der „jüdischen Nichtarbeit“,
war also von Anfang an ein antisemitisches Konstrukt. Die „jüdische
Nichtarbeit“ wurde zu einem Synonym für das mühelose Glück, das Glück,
welches ohne harte, körperliche Arbeit erreicht wird und seinen
Ursprung im Mythos des „raffenden“ Kapitals hat, mit welchem „die
Juden“ ohne eigene Arbeit zu Reichtum kommen würden. Da weder
SozialdemokratInnen noch KommunistInnen eine Kritik am Wesen dieses
Arbeitsbegriffs formulierten noch versucht wurde, mit ihm zu brechen,
hielt er auch Einzug in eben diese Bewegungen und fiel dort teilweise
auf fruchtbaren Boden. Dies bedeutet freilich nicht, dass das Ziel der
Linken jemals die Ermordung der europäischen Juden und Jüdinnen gewesen
ist, deutet aber darauf hin, warum auch ehemalige AnhängerInnen von KPD
und SPD später nicht bloß den deutschen Vernichtungskrieg
unterstützten, sondern sich auch aktiv an der Shoa beteiligten.
So
romantisch die Vorstellung eines Tages eigens für die
ArbeiterInnenklasse auch anmuten mag, so deutlich ist, dass solch ein
Tag niemals Teil oder gar Ersatz für eine Kritik des Kapitalismus sein
kann, die in letzter Konsequenz immer die Abschaffung eben dessen
beinhaltet. Vielmehr verbirgt sich hinter diesem Tag nur ein weiteres
festigendes Element der bestehenden Verhältnisse, was sich allein schon
an der immerwährenden positiven Bezugnahme auf den Staat als
vermeintlich notwendige Instanz zeigt.
Daher gilt es am 1. Mai nicht, wie so oft von Linken gefordert, den Tag
gegen eine Vereinnahmung von Rechts zu schützen, sondern aufzuzeigen,
dass es keine kommunistische und emanzipatorische Kritik geben kann,
die sich an einen Tag klammert, als sei er der letzte Rettungsring im
tristen Meer des kapitalistischen Alltags.
„It’s all in the game, play it or be played.“
Omar
Es sollte bewusst sein, dass man im
„falschen Ganzen“ – und zu diesem gehört nun einmal auch der
durchexerzierte Protest gegen Neonaziaufmärsche – nicht in der Lage
ist, aus diesem mittels Beteiligung an den Spektakeln der bürgerlichen
Gesellschaft auszubrechen. Indem man auf die Demonstrationen jener
immer gleichen Elendsgestalten der Neonaziszene reagiert, macht man
sich bereits zum festen Bestandteil dieser Spektakel.
Durch die Teilnahme an Aktivitäten gegen einen Neonaziaufmarsch wird
keine tiefgreifende Kritik am Bestehenden geäußert und man sollte sich
daher nicht der Illusion hingeben, dass eine Intervention am 1. Mai ein
Schritt hin zur freien Assoziation der Individuen, gemeinhin
Kommunismus genannt, darstellen könne.
Trotzdem darf nicht ausgeblendet werden, dass Neonazis auch in
Westdeutschland eine reelle Bedrohung für Leib und Leben darstellen.
Dass diese von ihnen verkörperte Bedrohung durchaus keine abstrakte ist
zeigte sich in Mainz etwa am 1. Mai 2007, als Neonazis, welche gerade
von ihrer jährlichen 1. Mai-Demonstration zurückkehrten, am Südbahnhof
eine junge Frau brutal verprügelten und auf die Gleise warfen. Außerdem
ist es unbestreitbar, dass in diversen Regionen Deutschlands
neonazistisches Gedankengut hegemoniefähig ist und Neonazis das
Straßenbild maßgeblich bestimmen. Es ist sicher kein Zufall, dass die
so genannte „wehrhafte Demokratie“ der Bundesrepublik, die sich so
effektiv der „Bedrohungen“ durch KommunistInnen und Linke erwehren
konnte, dieses Problem nicht in den Griff bekommt.
Dass
der zivilgesellschaftliche Antifaschismus, welcher durchaus gegen
Neonazis aktiv ist, meist den alltäglichen Antisemitismus und Rassismus
ausblendet und versucht, eben diesen in den Neonazis abzuspalten, um
sich selbst rein zu waschen, gilt es dabei allerdings mit der selben
Vehemenz zu kritisieren wie das konkrete neonazistische Gedankengut.
Das ändert aber nichts daran, dass Neonazis sich durch ihren offen
positiven Bezug auf die deutsche Variante der kapitalistischen
Krisenlösung, also den Massenmord an den europäischen Jüdinnen und
Juden, in direkter Tradition der MörderInnen sehen und keinen Hehl
daraus machen, dass sie, wenn sie in der Lage dazu wären, es ihren
Vorfahren gleich tun würden.
Daher, und eben nicht um die Demokratie, die eigene Stadt oder gar den
Staat zu verteidigen, gebietet uns der von Adorno formulierte
Kategorische Imperativ, welcher besagt, dass die Welt so einzurichten
sei, dass Auschwitz nicht sich wiederhole, den selbst ernannten Erben
des Nationalsozialismus am ersten Mai, wie an jedem anderen Tag an dem
sie ihre menschenfeindliche Propaganda auf die Straße tragen auch, eine
antifaschistische Abreibung zu verpassen.
Gegen die ApologetInnen der deutschen Arbeit!
Den Neonaziaufmarsch in Mainz zum Desaster machen!
AK Antifa Mainz & casual communists im März 2009
Dieser Aufruf wird unterstützt von:
Antifa Bingen
Antifa Idar-Oberstein
Antifa Saar / Projekt AK
Antifaschistische Gruppe Bensheim
Antifaschistische Linke Groß-Gerau
Antifa [ko]
Antifa Offenbach
Antifa Wiesbaden
Autonome Linke Vorderpfalz
Autonome Antifa Spessart
Gruppe emanzipatorischer KommunistInnen Lahn Dill
Infoladen Capuma Bingen
Jugendantifa Frankfurt/M.
Linksjugend Bergstraße
Politbüro Schlachthof
Sinistra! antagonistische assoziation