Der Fall der mutmaßlichen Mörder und Bankräuber Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt scheint scharfe Konturen zu haben. Es gibt viele Indizien. Manche Ermittler sind dennoch skeptisch. Gegen Holger G. wurde Haftbefehl erlassen.
Zwei tote Bankräuber, bei denen die Tatwaffen ungeklärter Morde gefunden werden, ein Bekennervideo, eine Gruppe von Rechtsextremisten, die jahrelang im Untergrund lebte – „Auf einmal ergeben die Puzzleteile ein Bild“, schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und gab damit einer von Behörden und Politikern mitgetragenen Überzeugung Ausdruck.
Aber was für ein Bild ergibt sich wirklich? Ein reales? Oder eines, das das wirkliche im Hintergrund überlagern soll? Es gibt zwei Personen, die Antwort auf diese Frage geben könnten: Zum einen den am Sonntag festgenommene Holger G., der die mutmaßlichen Bankräuber und Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unterstützt haben soll. G. wurde am Montag nach Karlsruhe gebracht und dem Ermittlungsrichter vorgeführt. Kurze Zeit später wurde, wegen des dringenden Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, Haftbefehl gegen den 37-Jährigen erlassen. Und Beate Zschäpe, die mit den zwei Männern zusammengelebt hat. Sie ist die Schlüsselfigur in der so unglaublich erscheinenden Geschichte. Sie könnte, würde sie reden, eine Reihe von Widersprüchen und Unstimmigkeiten aufklären.
Skepsis ob der vielen Spuren
Denn je genauer man die Ereignisse der letzten Tage betrachtet, desto mehr verschwimmt die scheinbar klare Kontur dieses Falls. Es beginnt mit dem angeblichen Selbstmord der beiden Bankräuber in ihrem Wohnmobil. Glaubt man den Ermittlern, hat das Duo zuvor mehr als ein Dutzend Banken ausgeraubt. Kaltblütig sollen sie Ausländer und Polizisten niedergeschossen haben. Als sich jedoch am vorvergangenen Freitag ein Streifenbeamter mit gezückter Waffe dem Wohnmobil in einer ruhigen Eisenacher Straße näherte, nahmen sich die beiden per Kopfschuss das Leben und zündeten vorher ihr Fahrzeug an. Darin fanden sich später eine Maschinenpistole, Pumpguns, mehrere Pistolen und eine Handgranate. Warum unternahmen die beiden keinen Fluchtversuch? Und warum nahmen sie die Dienstwaffe und die Handschellen der getöteten Heilbronner Polizistin mit zum Bankraub, anstatt sie in einem sicheren Versteck zu lassen?
Noch dubioser scheint die Explosion in Zwickau, die drei Stunden später die Wohnung vernichtete, in der die beiden mutmaßlichen Rechtsterroristen mit Beate Zschäpe gewohnt haben. Angeblich soll die Frau mit der Brandbombe versucht haben, Spuren zu vernichten. Dabei hätte Zschäpe nach dem Tod ihrer beiden Gefährten, die ja unter falscher Identität in Zwickau lebten, noch genug Zeit gehabt, die Waffen, das Propagandamaterial und vor allem die DVDs mit dem Bekennervideo aus der Wohnung zu schaffen. Es sei denn, die Ermittler sollten all das entdecken, was sie dann auch gefunden haben: die Waffe, die zu den Dönermorden passt, das Propagandamaterial und die Bekennervideos. Dabei hätten letztere ruhig durch das Feuer zerstört werden können – zwei Exemplare des Films waren bereits an eine Redaktion und ein Büro der Linken geschickt worden, an Adressaten also, die das Material auf jeden Fall an die Öffentlichkeit bringen würden.
Überhaupt, das Video: Unklar ist bis jetzt, wann es entstand. Dokumentiert sind darauf die bis 2007 begangenen Morde – und offensichtlich auch der Bombenanschlag auf ein Kölner Lebensmittlegeschäft im Jahr 2001, bei dem eine 19-Jährige schwer verletzt wurde. Hat die Gruppe nach 2007 keine Anschläge mehr verübt? Oder ist das Video schon 2007 gedreht worden, um damit Ermittlungen im Notfall in eine bestimmte Richtung zu lenken? 2006 war die Mordserie an ausländischen Ladenbesitzern abrupt mit dem Tod eines türkischstämmigen Deutschen geendet, der ein Internetcafé in Kassel betrieb. Erstmals nahmen die Ermittler damals einen Verdächtigen fest, es war ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzamtes. In seiner Wohnung wurde Polizeiliteratur über Serienmorde sichergestellt. Aber die Ermittlungen brachten keine Beweise für die Täterschaft des Mannes. Die Polizei stand wieder ohne konkrete Spur da.
Dafür gibt es jetzt Spuren en masse, die scheinbar jede Frage beantworten. So manchen Ermittler aber stimmt gerade das skeptisch, wie zu hören ist. Man erinnert sich noch gut an das Jahr 1998, als die Thüringer Polizei Zschäpe und ihre beiden Freunde beinahe schon einmal erwischt hätte. Und zwar mit Hilfe des Verfassungsschutzes: Der hatte nämlich den Tipp gegeben für eine von Zschäpe angemietete Garage, in der die Fahnder auch prompt eine Bombenwerkstatt entdeckten. Warum aber die Behörden damals zwei Tage warteten mit einem Haftbefehl und es zwei weitere Wochen dauerte, bis mit Fotos nach den Rechtsextremisten gefahndet wurde, ist unklar. Eine Panne, heißt es. Dem Trio kam die Schlamperei zupass – es tauchte ab und angeblich 13 Jahre lang nicht wieder auf. Dabei waren die drei – zumindest in den ersten zwei Jahren – gar nicht richtig weg. Der Jenaer Neonazi Tino Brandt, V-Mann „Otto“ des Verfassungsschutzes, traf sich bis zum Jahr 2000 mehrmals mit ihnen und berichtete auch seinen Führungsoffizieren davon. Mögliche Zugriffe scheiterten angeblich immer in letzter Sekunde.
Kontakte zum Verfassungsschutz
Offenbar konnten sich die drei trotz Fahndung sicher sein, dass ihnen nichts passiert. Mundlos und Böhnhardt sollen schon ab 1999 regelmäßig Banken überfallen haben, heißt es jetzt – in Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und in Thüringen. Seit 2001 soll Beate Zschäpe schon in Zwickau gewohnt haben, und zwar allein. Trotz Fahndung. Aus diesem Jahr stammt auch der Vermerk eines LKA-Beamten, nach dem einer aus dem Trio, vermutlich die Frau, Kontakte zum Verfassungsschutz habe. Die Behörde ließ damals dienstlich erklären, das träfe nicht zu. Wer hat Recht?
Fest steht bislang, dass die drei ab 2008 zusammen in Zwickau wohnten. Für Zschäpe bedeutet dies, dass man ihr Mittäterschaft bestenfalls von diesem Zeitpunkt an nachweisen kann. Wenn sie schweigt, kann man sie vielleicht für ein paar Banküberfälle mitverantwortlich machen, aber nicht für die Mordserie, die ja angeblich 2007 geendet hat. Zschäpe ging daher also ein kalkulierbares Risiko ein, als sie sich am Dienstag letzter Woche der Polizei stellte. Bleibt die Frage nach ihrem Motiv: Will sie eine Kronzeugenregelung aushandeln, um mit einer moderaten Haftstrafe davonzukommen? Oder hofft sie auf ein Zeugenschutzprogramm, weil die NSU eben doch eine viel größere Organisation ist als es bislang scheint und sie vielleicht fürchten muss, wie ihre beiden Freunde zu enden?
Skandale um V-Männer des Verfassungsschutzes
- Ulrich Schmücker
Als der RAF-Terrorist Schmücker 1974 in Berlin-Grunewald erschossen wird, ist er bereits Verbindungsmann des Berliner Verfassungsschutzes. Dort hatte er von Morddrohungen gegen ihn berichtet – vergeblich. In vier Mammut-Verfahren will die Justiz Licht in den dunklen Mordfall bringen. 1991 gibt sie auf –wegen staatlich sanktionierter Behinderung und Beweismanipulation.
- Celler Loch
Unbekannte sprengen 1978 ein Loch in die Mauer der Justizvollzugsanstalt Celle, um einen inhaftierten Terroristen zu befreien. Denkt man zuerst. 1986 wird jedoch bekannt, dass alles nur inszeniert war: Niedersachsens Verfassungsschutz wollte mit der Aktion einen V-Mann in die RAF einschleusen. Für den damaligen Abgeordneten Jürgen Trittin ein „Lockspitzelsystem“, mit dem „keine Straftaten verhindert oder aufgeklärt, sondern versucht wurde, Dritte zu Straftaten anzustiften“.
- Gruppe Otte
Die Bomben für zwei 1977 durchgeführte Anschläge baute Hans-Dieter Lepzien höchstpersönlich – „um das alles etwas realistischer zu machen“, wie der Kopf der „NSDAP-Aufbauorganisation“ später vor Gericht aussagt. Denn erst bei der Hauptverhandlung am Oberlandesgerichts Celle stellt sich 1981 heraus: Lepzien war im Auftrag des niedersächsischen Verfassungsschutzes in der rechten „Gruppe Otte“ unterwegs – und etwas „aus dem Ruder gelaufen“, wie dessen Chef sagt.
- Michael Wobbe
Michael Wobbe, Rechtsextremist aus Quakenbrück, baut 1993 als Sicherheitschef der „Nationalistischen Front“ in deren Namen Neonazi-Kameradschaften auf. Bezahlt wird er dafür vom Verfassungsschutz. Der Erfolg: Mehrere Jugendliche, die von Wobbe überhaupt erst angeworben, geschult und aufgehetzt wurden, meldet er nach getaner Arbeit den Behörden.
- Solingen
Mitte der 90er ist Bernd Schmitt aus Düsseldorf ein Promi der Naziszene, begleitet und schützt die Größen der deutschen Rechten. Beim Aufbau der „Nationalen Einsatzkommandos“, Schlägertrupps im Umfeld der heute verbotenen „Nationalistischen Front“, soll er aktiv mitgewirkt haben. Das weist er zurück. Nicht aber, dass er in seiner Kampfsportschule Jugendliche für die Szene rekrutierte und ausbildete – darunter laut Spiegel die Täter des Solinger Brandanschlags von 1993. Dennoch lobt ihn 1994 der SPD-Innenminister von NRW. Denn Schmitt hatte sich als V-Mann des Verfassungsschutz „große Verdienste erworben“, darunter angeblich die Verhinderung eines weiteren Anschlages.
- Michael Grube
Der NPD-Kader ist von 1997 bis 1999 „ohne förmlich verpflichtet zu werden“ für den Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern tätig. Dennoch kandidiert er 1998 für die NPD bei den Landtagswahlen und beteiligt sich 1999 an Planung und Durchführung eines Brandanschlages auf eine Pizzeria. Auch mit Namen vermeintlicher Linker aus der Region versorgt ihn die Behörde.
- NPD-Verbotsverfahren
Das NPD-Verbotsverfahren scheitert 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht – denn das Beweismaterial gegen die NPD stützt sich vor allem auf Zitate von V-Leuten des Verfassungsschutzes. Einer der 2002 enttarnten V-Männer: Tino Brandt, der es zum NPD-Landesvize in Thüringen gebracht hatte und bis 2001 Chef des Kameradschaftsnetzwerks „Thüringer Heimatschutz“ war – zu dem damals auch die drei NSU’ler Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gehörten.