Hinterbliebene drängen Polizei zur Aufklärung des G-20-Todesfalls

Erstveröffentlicht: 
08.04.2009

Brutale Attacke oder tragischer Unglücksfall? Scotland Yard muss sich für den Tod eines Zeitungsverkäufers bei den G-20-Protesten in London rechtfertigen. Ein Polizist hatte den Passanten zu Boden gestoßen, wie ein Video jetzt zeigt. Familie und Politiker sind empört - und fordern Antworten.

 

London - Scotland Yard in Erklärungsnöten: Nach der Veröffentlichung eines Amateurvideos von einem Zwischenfall bei den G-20-Protesten in London wird der Ruf nach Konsequenzen lauter. Auf dem Video ist der Zeitungsverkäufer Ian Tomlinson zu sehen, der mit den Händen in den Hosentaschen vor einer Reihe Polizisten entlanggeht. Einer der Beamten versetzt Tomlinson ohne erkennbaren Grund einen heftigen Stoß in den Rücken, so dass der Mann zu Boden fällt. Wenig später bricht der 47-Jährige zusammen und stirbt an einem Herzinfarkt.

 

==>Video<==

 

Das Video wurde vom "Guardian" am Dienstagabend auf seiner Homepage veröffentlicht. Scotland Yard hatte den Übergriff zuvor niemals erwähnt - in einer Stellungnahme hieß es während des G-20-Gipfels lediglich, die Polizei sei bei dem Versuch, Tomlinsons Leben nach seinem Kollaps zu retten, ihrerseits von Demonstranten attackiert worden.

 

Das Video wirft Fragen über das Vorgehen der Polizei bei den Demonstrationen am vergangenen Mittwoch im Londoner Bankenviertel auf - und darüber, ob der Tod des Mannes mit dem Angriff der Polizei zusammenhängt. Die Aufnahmen stammen der Zeitung zufolge von einem US-Geschäftsmann. Schon bevor das Video veröffentlicht wurde, hatten sich Zeugen gemeldet, die aussagten, die Polizei habe den Mann angegriffen.

 

Die Aufnahme wird nun wohl ein juristisches Nachspiel haben. Die britische Innenministerin Jacqui Smith sagte, es sei durchaus möglich, dass ein Ermittlungsverfahren auf die beteiligten Beamten zukäme. "Ich bin froh darüber, dass die unabhängige Polizei-Beschwerdestelle selbst um mehr Beweismaterial gebeten hat, um diese Untersuchung so ordentlich und schnell wie möglich abzuschließen", sagte sie der BBC. Wenn danach noch ein Verfahren nötig sei, "muss das auch angegangen werden".

 

Auch die oppositionellen Liberaldemokraten sind empört. Der Vorfall sei "ekelerregend", sagte Sprecher David Howarth. "Das Video zeigt ganz klar einen Angriff eines Polizisten auf einen Passanten, der den Beamten in keiner Weise provoziert hat." Der betreffende Polizist und seine Kollegen, die in der Nähe waren, sollten sich umgehend der Untersuchung stellen.

 

Angehörige: "Wir müssen einfach wissen, was da los war"

 

Nach Angaben der Familie hatte sich Tomlinson nicht an den Protesten beteiligt. In einer Stellungnahme fordern die Angehörigen weitere Zeugen nun auf, auszusagen. "Wir müssen einfach wissen, was da los war und ob das Ganze irgendetwas mit Ians Tod zu tun hat", schreibt die Familie. "Uns ist klar, dass einige Leute, die bei den Demonstrationen dabei waren, ungern mit der Polizei sprechen wollen." Es sei aber für die Hinterbliebenen ungemein wichtig, dass Zeugen ihre Informationen an die Untersuchungskommission weitergäben. "Jetzt, wo wir das Video gesehen haben, brauchen wir Antworten", sagte Tomlinsons Stiefsohn Paul King.

 

Der "Guardian" kündigte an, das Video und Aussagen mehrerer Augenzeugen an die unabhängige Polizeiaufsichtsbehörde zu übergeben, die die genauen Umstände des Todes derzeit untersucht. Die Kommission will sich nun mit dem neuen Material befassen.

 

Scotland Yard selbst schweigt bislang zu den Vorwürfen. Unter Hinweis auf die laufende Untersuchung lehnte ein Sprecher jede Stellungnahme ab. Peter Smyth vom Verband der Londoner Polizei sagte allerdings, während eines solch großen Protestes seien Konfrontationen "unvermeidbar".

 

Bei der Demonstration von Gipfelgegnern war es zu Krawallen und Ausschreitungen gekommen. Dabei wurden auch Polizisten verletzt. Während der Proteste wurden hundert Demonstranten festgenommen.

 

ffr/Reuters/AP/dpa