MASSENMORD IM NATO-LAND, Teil 2 - Zum Einzeltätertheorem

Norwegische Nazis auf dem Hess Gedenkmarsch in Wunsiedel 2004 - Bild von DRR

Man muß unterscheiden zwischen der individuellen oder möglicherweise mit einigen (wenigen) Mithelfern durchgeführten militärischen Aktion und andererseits dem kollektiv-politischen Anteil einer solchen Aktion,  der in eine kollektive, offen Gewalt propagierende und sie praktizierende Strömung eingebettet ist, die sich vielfältigen organisatorischen Ausdruck geschaffen hat.


Wenn es sich also bestätigen sollte, daß der Tatausführende ausschließlich Breivik gewesen ist (wogegen einige Anzeichen sprechen, die wir in der Folge anführen wollen), so hat die Tat dennoch auf alle Fälle insofern auch einen kollektiven Charakter, als zahlreiche Aspekte der rassistisch-nationalistischen Politik jahrelang in einem intensiven Diskussionsprozeß abgehandelt wurden und Verbindungen des Täters zu einer Reihe von nationalistischen, bzw. radikal rechten, ja auch eindeutig als neonazistisch zu nennenden Organisationen bestanden (die ebenfalls in einem weiteren Abschnitt ausführlich behandelt werden sollen), und somit die militärische Aktion als Konsequenz und Resultat der Aktivitäten dieser organisatorischen und kommunikativen Vernetzung zu verstehen ist: als Produkt eines kollektiven Prozesses.

Sollten sich die etwas vorschnell gefertigten Hypothesen etwa einer CIA-Warnungs-Aktion gegen die norwegische Regierung (in Analogie etwa zum sogenannten Massaker von Brabant (2)) oder die „Israel“-Spur (ein Mossad-gesteuertes Massaker als Antwort auf die Israelboykott-Politik der norwegischen Sozialdemokraten, im Sinne eines über die Grenzen nicht nur der besetzten Gebiete, sondern auch des „Nahen Ostens“ hinaus erweiterten zionistischen Krieges) eines Tages als wasserdicht erweisen, was nicht sehr wahrscheinlich scheint, würde sich Breivik also bloß als Marionette in der Hand von „höheren Mächten“ herausstellen, so dürfte man  dennoch das ideologische Gewicht des Norwegen-internen Rassismus/Nationalismus, das die militärische Aktion sozusagen geboren (wenn vielleicht nicht gezeugt) hat, nicht wegwischen. Im Gegenteil: da hätten CIA/Gladio-Terror und/oder Zionismus sich des „einheimischen“ Faschismus „bedient“, er stand ihren Zwecken also zur Verfügung, war das ideologische Transportmittel: eine Kombination besonderer Güte (3). Dadurch ist man aber der Pflicht, den einheimischen Faschismus zu analysieren, nicht entledigt.

Wir wollen uns darauf beschränken, in einem ersten Teil Indizien gegen das Einzeltätertheorem zu sammeln, daraufhin das Einzeltätertheorem durch eine differenzierte Sicht des Täterbegriffs ein wenig zu unterlaufen, indem wir die Organisationen/Weblisten, die an der Tat „mitwirkten“ und an denen er wiederum, als Mitglied, mitwirkte, näher analysieren und schließlich uns immer die Möglichkeit einer „Verwendung“ Breiviks, zusätzlich zu seinen subjektiven Intentionen, und durchaus nicht in Widerspruch zu ihnen, offenhalten, indem wir sämtliche Hinweise auf counterinsurgency und psychological warfare und Konspiration größeren Ausmaßes ernstnehmen. Ohne daß wir uns auf eine  monokausale Gladio-Einstimmung einlassen! (4)


                           Auffallende Stimmen vom Kriegsschauplatz

Schon sehr bald mußte man bei einigen Zeugenaussagen unmittelbar Betroffener stutzig werden. Einige Jugendliche berichteten VG Nett, sie seien überzeugt, es hätte auf der Insel mehr als einen Täter gegeben (5).

M. (im Original mit vollem Namen genannt): „Ich bin ganz sicher, daß auf der Insel von verschiedenen Orten aus gleichzeitig geschossen wurde (5).

Die drei Jugendlichen, mit denen VG sprach, berichten von einem zweiten Täter, der keine Uniform anhatte (5).

Der 23-jährige A. wurde dazu gefragt, ob er dazu Näheres sagen könne, und er beschrieb darauf diese Person, deren Erscheinungsbild deutlich von den bekannten Darstellungen Breiviks abwich, folgendermaßen: „Etwa 1 Meter 80 groß, dichtes schwarzes Haar und er sah nordisch (6) aus. Er hatte in der rechten Hand eine Pistole und auf dem Rücken ein Gewehr.“  (5)

A. sagt explizit: „Ich bin überzeugt, daß zwei verschiedene  Personen geschossen haben.“ (5)

Auch die Osloer Polizei bestätigt, ihr sei von mehreren Tätern berichtet worden: „Wir haben genau die gleichen Zeugenaussagen gehört, denen zufolge es einen weiteren Täter geben soll. Wir haben gestern abend auf Hochdruck gearbeitet, um uns Klarheit über die Lage zu verschaffen und wir sind weiter dran zu klären, ob es eine Nummer zwei gibt“, berichtet Polizeinspektor Einar Aas aus Oslo am 23. 7. (7)

Ein weiterer Täter wurde noch von  einem anderen Jugendlichen wahrgenommen, der von der Polizei aufgegriffen wurde, da er ein Messer bei sich hatte. Er sei sicher, daß am Freitag zwei Personen geschossen hätten. Er hätte ein Messer bei sich gehabt, da er Angst um sein Leben hatte, er sei Mitglied der AUF und er wollte sich so schnell wie möglich in Sicherheit bringen, berichtet er VG Nett (8)

Schließlich berichtet u. a. Dagens Nyheter, daß ein Täter mit Headset gesehen wurde, was auf Kommunikation, und dies wohl nicht mit sich selbst, hinweist: "Überlebende aus Utøya berichten, der Täter habe offensichtlich in ein Headset gesprochen, während er auf die verzweifelten Jugendlichen schoß, die Teilnehmer des AUF-Sommerlagers (9) waren (10). Auch Bergens Tidende berichtet, der Täter habe während des Massakers ins Headset gesprochen. "Das sollen mehrere Zeugen beobachtet haben." (8)
Von der "Polizei aller Polizeien" in Norwegen, der Delta-Truppe, ist Erstaunliches zu hören. Ihr Leiter Anders Snortheimsmoen berichtet gar von 2 bis 5 Tätern: "Bei uns kamen Meldungen über 2 bis 5 Personen mit Gewehren und Zielfernrohren ein, und daß sich auf der Insel möglicherweise Sprengstoff befindet." (11). Diese Spezialtruppe war es, von der schließlich, aber sehr spät, Anders Breivik gefaßt wurde. Nachdem die Situation aber noch nicht geklärt war, suchte die Einsatztruppe auf der Basis der Berichte über mehrere Täter die Insel weiter ab.
 Diese Antiterroreinheit, kurz Delta genannt,  ist in Oslo stationiert  und auf Sabotage, Terrorismus und Geiselnahmen spezialisiert, ist aber auch überall auf der Straße präsent. In den letzten 6 Jahren hat sie sich besonders um die Organisierte Kriminalität gekümmert. Ihre offizielle Bezeichnung ist Beredskapstroppen, Bereitschaftstruppe, oder könnte man sagen: "Schnelle Einsatztruppe"? Sehr schnell waren sie, wie allgemein kritisiert wird, nicht zur Stelle, als in Utøya die Hölle ausbrach (12).  Immerhin: eine Wahrnehmung von hoher Autorität.

Natürlich kann es auch sein, daß ein ganzer Stammbaum von Meldungen auf eine einzige Falschmeldung zurückgeht. Auffallend aber ist, daß diese Möglichkeit nicht einmal problematisiert wird, geschweige denn, daß die Mittätermeldungen fundiert auseinandergenommen oder widerlegt wurden.

Eine Einzeltäter-Hypothese konnte nun auch in der Folge nicht konsolidiert werden. "Heute, am Tag 11, konzentrieren wir uns  nach wie vor in erster Linie darauf , daß wir uns darüber Klarheit verschaffen, ob der Beschuldigte, in was für eine Form auch immer, Mittäter hatte."  berichtet Polizeiankläger Christian Hatlo auf einer Pressekonferenz am 2. August. Und weiter, fair und offen und ohne auch im geringsten in die Nähe eines plakativen "lone" gelangen zu wollen: "Bis jetzt gibt es keine sachlichen Hinweise darauf, daß jemand als Mittäter Verantwortung trägt, aber es ist noch zu früh, um zu einem Endergebnis zu kommen." (13) Keine Beweise, aber auch kein Endergebnis! Wo ist der „einsame Wolf“?

Dies war am 2. August. Am 8. August berichtet NRK von der ebenfalls vorsichtigen Stellungnahme des neuen Chefermittlers John Roger Lund. Er leitete 6 Jahre lang die Abteilung für Organisierte Kriminalität bei der Polizei in Oslo Zentrum und steht seit Anfang August dem neuen, mehr als  hundert Polizisten umfassenden Ermittlungsausschuß zum Massaker in Utøya vor, dessen Arbeit, so berichtet er, sich mindestens über ein Jahr lang erstrecken wird. Zu einem möglichen Mittäter sagt er: "Worüber noch keine Klarheit herrscht, das ist, ob er Mithelfer hatte oder ob er sich von anderen inspirieren ließ. Darauf legen wir nach wie vor unser Hauptaugenmerk." Es gebe aber noch keine  Spur zu Mittätern. "So wie wir´s jetzt sehen, hatte Breivik niemanden bei sich." (14) Für ihn ist also die Frage, ob Mittäter oder nicht, völlig offen. Und eine sich über ein Jahr hinziehende Gruppenarbeit mit intensiver Auslandsbeteiligung ist komplexer als ein journalistischer Schnellschuß!

In einer ersten Phase werde das Material gesammelt und gesichtet, berichtet Lund. Das würde etwa drei Monate in Anspruch nehmen. Besondere Bedeutung komme dabei den Bloggern zu. "Es kann  sein, und zwar mit großer Wahrscheinlichkeit, daß wir mehrere von ihnen einvernehmen werden." Auf die erste Phase folgt die der Analyse und Auswertung (14).

Also Vorsicht, statt vorschnelles Hinausposaunen! Die Polizei ist, wie in vielen Fällen, seriöser als die Presse.

Noch am 16. 8., beim allwöchentlichen Pressebriefing, betont Hatlo die Notwendigkeit eines umsichtigen Vorgehens: "Wir werden uns intensiv mit den Details und Verbindungen zu eventuellen Mithelfern beschäftigen. Es ist noch zu früh für eine Schlußfolgerung, wir können nicht mit völliger Sicherheit sagen, daß er allein agiert hat." (15)


                                   Klobige Mißinformation

Das mag alles in den Wind geschrieben sein. Die Zeugenaussagen in VG Nett,  Bergens Tidende, Dagens Nyheter und zahlreichen hier nicht wiedergegebenen Lokalzeitungen sind alle vom 23. Juli. Das ist der damalige Stand; aber um journalistische Kleinarbeit kümmert sich die große Desinformationsmaschinerie nicht!
Kurz darauf, nur einige Tage später, wird,  als ob es vorliegende Berichte nie gegeben hätte, der plakative Pseudobegriff "einsamer Wolf" lanciert, Strafor allen voran! Der Artikel von Scott Stewart in Stratfor vom 28. 7. trägt den Titel "Norway: Lessons from a Successful Lone Wolf Attacker". Obwohl Stewart sich in diesem Beitrag auch ausführlich auf Breiviks Darstellung der Tempelritter und ihres ja kollektiven Projekts, an dem Breivik teilhat, bezieht (16), bleibt er bei einem "einsamen Wolf", widerspricht also seiner eigenen Arbeit, bzw. deren Titel, der ihm womöglich befohlen wurde.
      Die deutschsprachigen Medien kauen, wie immer, wieder, was ihnen vorgekaut wird.
Die  Bildzeitung titelt am 27. Juli: "Breivik handelte als einsamer Wolf" und es wird berichtet: "Dem britischen Sender BBC sagte die Chefin des Inlandsgeheimdienstes PST (17), Janne Kristiansen, am Mittwoch: „Breivik hat allein gehandelt. … Dies ist ein einsamer Wolf, der unter alle unsere Radarsysteme schlüpfen konnte.» Die Schweizer Tagesschau titelt am 28. 7.: "Geheimdienst: Breivik ist ein «einsamer Wolf" . Und die Wiener Zeitung weiß am 30. August: "Norwegen-Attentäter war ein "einsamer Wolf".

Im August beginnt die Pressewelt, die platte Formel wieder etwas zu relativieren. Stellvertretend dazu die Wiener "Presse" mit dem Titel  "Einsamer Wolf mit erstaunlich vielen Kontakten" (18).

Die gefährlichsten Wölfe sind aber nach wie vor nicht die einsamen Wölfe und auch nicht die Grauen Wölfe, sondern, man braucht nicht lange zu raten: es ist das muslimische Lager. PST-Polizei-Bossin Kristiansen ist, und das nach all der bekannten anfänglichen Pflicht-Hetze gegen "Islamisten", überzeugt: "Die gefährlichsten Gruppen sind die islamischen Extremisten. Das hat sich in den 10 Jahren seit 9/11 nicht geändert." (19)

Die Erkenntnisse der Europol stehen der Frau Kristiansen offenbar nicht  zur Verfügung. Laut Europol gab es EU-weit 249 terroristische Handlungen. Davon waren bloß drei moslemischen Extremisten zuzurechnen (20)

Angesichts dieser Zahlen wirkt die Behauptung Kristiansens wie eine Pflichtübung – die sie mit der radikalen Rechten teilt.

                                        Abschließendes

Die Hinweise durch die von VG Nett befragten Jugendlichen, die der Polizei, die der Eliteeinheit dürfen nicht dazu führen, ein Mehrtätertheorem zu propagieren. Weder kann letzteres derzeit bestätigt werden, noch wird dadurch das Einzeltätertheorem bekräftigt

Die Hinweise der beiden polizeilichen und der genannten zivilen Informanten wurden in der norwegischen Presse keiner Würdigung unterzogen. Sie sind kein Anlaß für Hinterfragung., Relativierung der hinausposaunten Lone/Lonesom/Lonely-Wolf-Losung oder gar für weitere ausgedehntere Befragungen gewesen. Das kann sich ändern. Bisher wurde das Motiv überhaupt nicht wieder aufgenommen.

Das ist ein offensichtliches Manko der Mainstream-Presse, aber auch der alternativen.

Was aber noch mehr ins Gewicht fällt ist, daß die internationale gleichgeschaltete Presse diese auffallenden Hinweise nicht aufnimmt, geschweige denn weiterspinnt und statt dessen die Fiktion des „einsamen Wolfes“, Einzeltäters durch sämtliche Desinformationskanäle durchjagt/durchgejagt hat.

Einzeltäterschaft ist in bezug auf die Tatausführung bisher keineswegs zwingend, sie stimmt mit Sicherheit nicht, wenn man die organisatorischen und kommunikativen Bezüge Breiviks ins Auge faßt. In dieser Hinsicht, also in Hinsicht auf die Unterschlagung der genannten Zeugenschaften in der internationalern „Presse“, wie auch im Hinblick auf ausführliche Recherchen zur kollektiven ideologischen Mittäterschaft (in erster Linie der FrP (21) sowie des gesamten radikal rechten Netzwerks in Skandinavien) hat der Mainstream fahrlässig gehandelt und dazu beigetragen, daß das Problem dadurch, daß es auf eine individuelle Ebene reduziert wurde, verharmlost worden ist Es fehlt nur, dass es den Desinformatoren einfällt, die Bühne ganz mit dem schaurigen pathologischen Aspekt zu besetzen und es damit völlig zu entpolitisieren – wie es mit Franz Fuchs geschah.

Aussagen unterschiedlicher polizeilicher Kräfte betonen, daß kein definitives Resultat vorliege und langfristige Ermittlungen erforderlich seien. Auch diesem Standard wird der  heulende Mainstream nicht gerecht.

Anzeichen für den demagogischen Einsatz der Schuldumkehr finden wir übrigens, wie in einem folgenden Kapitel darzustellen sein wird, nicht nur bei der radikalen Rechten, die „die Immigration“ für die Tat letztendlich verantwortlich machen und erneut „den Islam“ als causa prima, als usprünglichen Verursacher, stigmatisieren möchte, sondern gelegentlich auch im Mainstream und bei nicht radikal rechten Politikern. Der gesteuerte und steuernde, der fremdbestimmte und fremdbestimmende  Mainstream kann jederzeit kippen. Dies nur als Hinweis auf einen weitere Perspektive.

Diese Zusammenstellung von Wahrnehmungen und Lügen soll, nicht ausschließlich, aber doch in erster Linie dazu dienen, die Desinformiererei, von der die ganze Welt beherrscht wird, den bestochenen Weltjournalismus, ein wenig zu illustrieren und ein politisches Sittenbild des sich des Faschismus bedienenden Imperialismus anzuskizzieren.



(1) Ich verwende hier „Theorem“ in dem emphatisch-polemischen Sinn, wie er bei der italienischen Linken gebräuchlich ist. Das „teorema Calogero“ war das politisch motivierte Konstrukt des Richters Calogero, mit dem er die Verantwortlichen und Militanten der Autonomia Operaia ausnahmslos unter die ihnen allen zugeschriebene Absicht, sie wollten einen bewaffneten Aufstand gegen den Staat führen, einordnete, unabhängig davon, was für eine individuelle Einstellung und Tatverantwortlichkeit der jeweilige Betroffene hatte. „Theorem“ wird hier also ganz spezifisch im Sinne einer pseudo-justiziellen ideologischen und politischen Stigmatisierung und Kriminalisierung verwendet, nicht im dem bekannten herkömmlichen Sinn eines Baubestandteiles einer Theorie. Theorem in diesem Sinn hat also etwas Voluntaristisches und Künstliches, gehört dem politischen Zweckdenken an, nicht dem ius. In ihm ist das Artifizielle, das auch in „Konstrukt“ vorhanden ist: ein zurechtkonstruiertes Täterbild.

Warum ich nicht gleich „Konstrukt“ gesagt habe? Weil in „Theorem“ das Pejorative, das Pseudos-Element ist, das genuiner Theoriebildung entgegensteht. Wenn ich also „Theorem“, in Erinnerung an die italienische Bewegung, verwende, so auch, um es als „schlechte“ Theorie zu brandmarken. Ich polemisiere gegen den Verrat an Theorie durch die Ableitungssilbe. Theorem heißt in diesem Sinn falsche Theorie, Un-Theorie. Wenn man will, ist es eine politische Lehnübersetzung.

Ein weltweites geheimdienstliches Konstrukt, oder Theorem, wäre der „einsame Wolf“, als der Breivik hochstilisiert wird, ohne daß man eine Einzeltäterhypothese absichern kann. Der im folgenden genannte norwegische parlamentarische Gladio-Bericht ist dagegen in seiner Klarheit und scharfen wie auch anschaulichen Rationalität und zeitgeschichtlichen Prägnanz das absolute Gegenteil eines Konstruktes, eines Zweck-Theorems, stellt Theorie im allerbesten Sinne dar.

(2) Durch wahllose Morde in Supermärkten sollte die belgische Regierung im Sinne der atlantischen Politik konditioniert und weiter nach rechts gezogen werden. Nachdem sich De Gaulle partiell von der NATO entfernt hatte, stand Belgien als zentraler politischer Standort zur Disposition, galt aber als „weich“ und politisch verwundbar.  Diese ziemlich realistische Hypothese zum Massaker von Brabant – eine unter mehreren  - vertritt unter anderem Roger Lallemand, der Leiter des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Gladio-Netzwerk, vgl. dazu bloß:  „Bende van Nijvel”,  wikipedia, holländisch, Abschnitt “Geheimen diensten / Gladio”).
Dazu auch: “Tueries de Brabant”, wikipédia, wo die Strategie, durch psychologische Kriegsführung ein autoritäres Regime zu befördern, hervorgehoben wird. Die französischsprachige belgische Tageszeitung Le Soir hat in diesem Sinne die Sache ausgezeichnet recherchiert und gedeutet. Lallemand war ein enger Freund von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Er verteidigte 1967 Régis Debray, als dieser in Bolivien verhaftet war («Roger Lallemand», wikipédia, französisch).
Das Massaker von Brabant  wäre ein klassischer Typus einer Gladio-Aktion, mit vielen italienischen Gladio-Aktionen zu vergleichen.

Der Untersuchungsausschuß, kurz “commissie-Gladio” (Gladio-Ausschuß) genannt: Enquête parlementaire sur l´existence en Belgique d´un réseau de renseignements clandestin international (auch auf holländisch: Parlementaire Onderzoekscommissie belast met het onderzoek van de recente onthullingen over het bestaan in België van een clandestien internationaal inlichtingennetwerk), 1991
http://www.senate.be/lexdocs/S0523/S05231297.pdf

Der Gladio-Ausschuß als solcher läßt eine unmittelbare CIA/Gladio-Verantwortung und  Urheberschaft offen. Der Gesamtbericht konnte oder wollte die Verantwortung nicht übernehmen, auch weil den Ermittlern entscheidende Unterlagen vorenthalten wurden.

Aber nun zu Norwegen. In Norwegen stellte die Gladio, übrigens in enger Zusammenarbeit mit der dortigen Sozialdemokratie, von den Vierziger- bis in die Achzigerjahre des vorigen Jahrhunderts ein umfassendes Spitzelsystem auf die Beine, mit dem sowohl die norwegischen Bürger ausgeforscht und kontrolliert wurden, insbesondere aber gegen die Kommunistische Partei wie die neueren linken Organisationen/Kräfte (Marxisten-Leninisten, bzw. Maoisten) vorgegangen wurde.

Siehe:  Lund-rapporten http://www.stortinget.no/no/Saker-og-publikasjoner/Publikasjoner/Dokumen... (norwegisch)

Zur Sozialdemokratie insbesondere der Abschnitt 15. im Lund-Bericht: Særlig om forbindelse mellom de hemmelige tjenester og partier, grupperinger eller
institusjoner (Näheres über Beziehungen der  Geheimdienste zu Parteien, politischen Gruppierungen und Institutionen)

Diese Aspekte erwähne ich hier in einer Fußnote, sie müßten in einem eigenen Beitrag näher ausgeführt werden. Wem Parallelen zwischen dem Massaker von Brabant und dem Massaker von Utøya auffallen und wer die Geschichte Norwegens auf dem Hintergrund des Lund-Berichts kennt, der wird leicht versucht, vorschnell auf eine Gladio-Aktion zu tippen.

In die Richtung weisen auch die kürzlich juristisch-politisch ad acta gelegten Surveillance Detection Units (SDA) , ein neueres, gegen die norwegische Bevölkerung gerichtetes Bespitzelungssystem in enger Zusammenarbeit zwischen der US-Botschaft und Spitzenkräften der norwegischen Polizei. Die SDA existieren überall auf der Welt; aber sie dienen nicht bloß der Sicherung von US-Objekten, wie bieder in den Beiträgen der norwegischen, deutschen, französischen und englischen Wikipedia-Artikel zu "Surveillance Detection Units" behauptet wird, sondern es werden auch Demonstrationen im "Gastland" observiert, mithin die politischen Aktivitäten der Bevölkerung bespitzelt – ein klarer Verstoß gegen die internationalen Gesetze, denen sich auch die Diplomatie zu beugen hätte. (Vgl.: Tamilsk demonstrant sjokkert over overvakning, TV2, 4. 11. 2010). Gegen die Bespitzelung norwegischer Staatsbürger  durch die US-Botschaft haben sich Konservative wie Linke in Norwegen ausgesprochen.

Der „Skandal“ um die SDA und die auffällige Einstellung des Verfahrens mag für „Lund-Geeichte“ eine noch größere Versuchung darstellen, aber die hier – um die Sicht ein wenig zu erweitern – angetippten Dimensionen müssen im Detail an anderer Stelle voraussetzungsfrei erörtert werden.

Grundsätzlich muß gesagt werden: Hinweise auf die Möglichkeit einer derartigen „Verschwörung“ gibt es einige, aber keine Beweise.

(3) In Italien ist besonders genau aufgearbeitet worden, wie Neofaschisten und Gladio zusammenarbeiteten. Dies war etwa auf dem US-Stützpunkt Camp Darby bei Livorno der Fall.  La base americana di Camp Darby a Livorno: Terrorismo internazionale, armi nucleari, fascisti, addestramento assassini, Umanità Nova, Januar 2002. Umanità Nova ist die anarchistische Wochenzeitung Italiens. Eine Presseauswahl zu Camp Darby findet sich in: Camp Darby, mini-Dossiers: vicino a Pisa la grande base dell'esercito (http://www.libriperlapace.it/marino/livorno/campdarby.html#2).
 In zahlreichen Ländern hat die Gladio Faschisten in die Regie genommen, so etwa in Belgien.
(4) Es fällt übrigens auf, dass die Hauptpunkte in der Ideologie Breiviks, wie sie unter  anderem aus seinen Kommentaren in document.no hervorgehen, mit den Eckpunkten der imperialistischen Aufstandsbekämpfung konvergieren: 1. Krieg gegen Moslems, 2. Gegen die radikale Linke, wie gegen aktive Gewerkschaften (schon die klassische Gladio richtete sich programmgemäß gegen die damaligen starken Gewerkschaftsbewegungen in Italien und Frankreich, die, als damaliges Instrument des Proletariats, als gefährlich galten), 3. Propagierung eines Ultrazionismus. 5. Pseudoabkehr vom Nationalsozialismus, 6. völlige Außerachtlassung der Gefahr etwa der Grauen Wölfe, der MHP etc., 7. Misogynie.

Stattdessen sympathisiert er mit dem Iran – als wolle er der (nicht mehr in voller Kraft bestehenden) Achse Wien-Berlin-Teheran zuarbeiten. Ein scharfer Kritiker des Kemalismus/türkischen Faschismus scheint er ebensowenig zu sein. Wer die Gewaltgebilde wie die Türkei und den Iran als ideologische Partner ansieht, der prescht der europäischen Politik einigermaßen vor. Auch die radikale Rechte Ungarns hat explizite Iran-Sympathien. „Eurabia“, als Schreckgespenst eines arabisch unterwanderten Europa, wird hiermit zu einem Alibi für die faschistische Freundschaft mit den übelsten Diktaturen der Welt, dem Iran, der Türkei. Nur „der Islam“ ist gefährlich, diese Folterdiktaturen sind gut. Islamhaß dient der faschistischen Achse. Das ist Imperialismus. Damit trifft sich Breivik mit dem Weltimperialismus.

Die Ideologien Breiviks und seiner Freunde in der FrP (Fortschrittspartei), im SIAN („Stopp Islamiseringen av Norge”, Stoppt die Islamisierung Norwegens), in der Norwegian Defense League, im Nazi-Forum „Nordisk“, dessen Mitglied er war,  um nur einige Gebilde zu nennen, könnten Vorläufer einer künftigen europäischen Politik sein. Und hat die EU den Faschismus mit der Bombardierung Belgrads nicht schon repristiniert?

Angesichts dieser Dimensionen von einem „verrückten“ Einzeltäter und „einsamen Wolf“ zu sprechen ist politisch kriminell, und strategisch bewußt eingesetzt, ist übelste Desinformations-Kriegsführung.

Zu "Nordisk": Mikael Ekman: Terror suspect was member of nazi web forum, Expo, o. D.


(5) Jarle Brenner u. a.: Øyenvitne til VG: - Det første han gjorde var å skyte den søteste jenta han så, VG Nett, 23. 7. 2011. Von  VG Nett wird betont, daß für die Interviews die Zustimmung der Eltern eingeholt wurde.

(6)“Nordisch“ wird in den skandinavischen Sprachen, einfach als Synonym für „skandinavisch“ verwendet, ohne politischen Beigeschmack, siehe etwa „Nordischer Rat“, und hat im allgemeinen Sprachgebrauch nichts mit der Exklusivitätsbedeutung zu tun, wie sie von den Nazis praktiziert wurde. Im speziellen Sprachgebrauch der norwegischen (und schwedischen) Nationalisten/Faschisten jedoch erlangt „nordisk“ wiederum erneut die rassistische hetzerische Ausschließlichkeitsbedeutung und Signalfunktion. Der prägnante Wortsinn taucht auch bei der Benennung des in Schweden entstandenen neonazistischen Internetforums „Nordisk“ auf (siehe oben (4)).

(7) Gordon Andersen u. a.: Politiet undersøker vitneinfo om ny gjerningsmann, VG Nett, 23. 7. 2011

(8) Dazu u. a.: Jan Stian Vold u. a.: Minst 85 drept på Utøya, Bergens Tidende, 23. 7. 2011

      (9)  Arbeidernes Ungdomsfylking: Jugendorganisation der norwegischen Arbeiterpartei

(10) Bente Bjørndal:  Anders Behring Breivik siktet for terror, Dagens Nyheter, 23. 7. 2011

(11) Helge Carlsen  und Øyvind Bye Skille: Fikk melding om fem gjerningsmenn med rifler, NRK, 18. 8. 2011
(12) "Beredskapstroppen", wikipedia, norwegisch (bokmål), englisch und deutsch
Sie sind in etwa mit der GSG-9 zu vergleichen und kamen auch schon in der internationalen Kriegsführung zum Einsatz, so im Kosovo, wo sie eine lobenswerte Rettungsaktion durchführten: Sie holten Dutzende Menschen aus einem Gebäude heraus, in dem sich Serben und UN-Personal aufhielt und das von Kosovo-Albanern gestürmt werden sollte: wahrlich ein Musterbeispiel einer humanitären Kriegsaktion. (Thomas Berg (2006): «Vi er ikke ute etter å skape helter», Politiforum, nr. 1, 2006, http://www.phs.no/bibliotek/phsbibl/prosjekt/artikler/fulltekst/kosovo.pdf). Solches dient der Akzeptanz.
(13) Sigrid Helene Svendsen: Politiets logg viser at Breivik ringte dem fra Utøya, VG Nett,  2. 8. 2011
(14) Ingunn Andersen u. a.: Etterforskningen tar minst ett år, NRK, 5. 8. 2011

John Roger Lund ist nicht zu verwechseln mit Ketil Lund, dem Leiter der nach ihm in Fußnote (2) erwähnten Gladio-Untersuchungskommission.
(15) Harald Nygaard Kvam: Må avklare om Behring Breivik var alene, P4 Radio Hele Norge, 16. 8. 2011
(16) Die Strategie der Tempelritter (auch PCCTS abgekürzt, für Pauperes Commilitones Christi Templique Solomonici, ein wahrlich lächerliches sprachliches Getue) wird von Scott Stewart so zusammengefaßt:
"In phase one of the PCCTS plan, shock attacks were to be carried out by individuals operating as lone wolves or small cells of Breivik’s so-called Justiciar Knights, who are self-appointed guardians who decide to follow the PCCTS code outlined in Breivik’s manifesto and who are granted the authority to act as “a judge, jury and executioner until the free, indigenous peoples of Europe are no longer threatened by cultural genocide, subject to cultural Marxist/Islamic tyranny or territorial or existential threats through Islamic demographic warfare.” Also wenn es lauter lone wolves sind, dann sind sie ja nicht mehr lonesom. Was ist denn da los!
(17) norwegisch: Politiets sikkerhetstjeneste
(18) Hannes Gamillscheg: Breivik: „Einsamer Wolf“ mit erstaunlich vielen Kontakten, Die Presse, 2. 8. 2011
(19) William Boston: Norway Attacks: The Worrying Rise of the Lone Wolf Terrorist, Time Magazine, 28. 7. 2011
(20) vgl. u. a.: KrF krever svar fra Frp om muslimer i Rogaland, Dagbladet, 18. 8. 2011
(21) siehe: AuO: Massenmord im NATO-Land, Teil 1, u. a. in: Indymedia Austria