Stunde der Zampanos

Erstveröffentlicht: 
29.06.2011

Kommentar der Zeitung "Neues Deutschland" zu den Angrifen gegen Neonazis in Berlin und damit einhergehender Kritik an politischer Militanz.

 

Angriffe auf Neonazis: Linke sollten der Versuchung der »politischen« Militanz nicht erliegen

 

So schlicht und altbekannt es auch klingen mag: Gewalt richtet sich immer auch gegen den Gewalt Ausübenden – manchmal sofort, manchmal erst auf lange Sicht. Im eigenen Kiez ebenso wie auf internationaler Ebene folgt auf den kurzen Triumph sehr oft die Schwächung. Denn folgende Nebenwirkungen der Militanz konnte bislang noch kein Gewalt-Aktivist entschärfen: die (plötzlich scheinbar gerechtfertigte) Gegengewalt, eine viele Unterstützer abschreckende Radikalisierung und die propagandistische Ausschlachtung durch den politischen Gegner.

 

In revolutionären Situationen mag sich das anders darstellen. Diese Umbruchphasen seien hier aber ausgespart, da Lateinamerikanische Guerilleros, russische Anarchisten, arabische Djihadisten aber auch deutsche Kommunisten der Weimarer Republik für die heutige deutsche Realität keine Aussagekraft haben. Mindestens für das Nachkriegsdeutschland lässt sich feststellen: Es gab wohl keine militante Aktion, die man – gemessen am Kriterium der tatsächlichen Durchsetzung eines bestimmten Anliegens – als erfolgreich, nützlich oder auch nur als nicht schädlich einordnen könnte. Ganz im Gegenteil: So wie die RAF der Sargnagel einer breiten politischen Studentenbewegung war, so beendeten Schüsse schlagartig die Proteste etwa gegen die Startbahn West. Im Italien der 1970er und 80er Jahre, und beileibe nicht nur dort, wurden militante Aktionen oft geradezu inszeniert, um friedliche Bewegungen zu spalten, geharnischte »Gegenmaßnahmen« zu rechtfertigen oder um eine interessierte Seite zum Opfer zu stilisieren.

Die Autobrandstifter im Berlin der Jetztzeit haben sich in diesem Zusammenhang längst selbst disqualifiziert: Ein ungünstigeres Verhältnis zwischen dem praktisch nicht vorhandenen positiven politischen Effekt und der gelieferten Steilvorlage für rechte Scharfmacher kann man sich kaum denken – von juristischen und moralischen Fragen ganz abgesehen.

Nur auf den ersten Blick anders liegt die Sache bei den Angriffen auf Neonazis in den letzten Tagen in Berlin. »Wenn einer Prügel verdient hat, dann doch wohl ein rassistischer Rocker aus Neukölln«, mag eine erste, nachvollziehbare Reaktion darauf sein. Schnell jedoch sollte auch hier das Unbehagen überwiegen. Selbst wenn man eine wünschenswerte generelle Ächtung von Gewalt mal außen vor lässt – was wird von den Aktionen bleiben? Vor allem eine sehr komfortable Märtyrerposition für die geprügelten Extremisten.

So wurde etwa durch die Attacke in Neukölln ein unbedeutendes NPD-Würstchen schlagartig einer riesigen Öffentlichkeit bekannt gemacht. Das kleine Licht aus der Bezirksverordnetenversammlung wird sich daran noch freuen können, wenn seine Beule längst abgeschwollen ist. Die Stärkung, die er im Kreise seiner Saufkumpane erfährt, möchte man sich erst gar nicht ausmalen. So können sich die eigentlichen Brutalos und geistigen Brandstifter nun nicht nur mit unerträglicher Theatralik und in gewohnter geistiger Bescheidenheit in der ungewohnten Opferpose suhlen – die Neofaschisten erhalten ihre Wahlkampagne praktisch auf dem Silbertablett serviert. So gut, wie die Angriffe den Opfern ins Konzept passen, könnten Verschwörungstheoretiker gar vermuten, sie seien bestellt.

Nicht zuletzt werden die zurecht als unmenschliche Ideologen und stumpfe Schläger wahrgenommenen Nazis durch solche körperlichen Angriffe vollkommen unnötig (und ohne jeden politischen »Gewinn«) nicht nur erhöht und bekannt gemacht, sondern zudem vermenschlicht. Auch (oder gerade) Linken erscheint schließlich eine nächtliche Attacke in großer Überzahl, von hinten, vermummt und mit Knüppeln nicht gerade als Heldentat – wen auch immer sie trifft. Zudem richten sich bei solch »unfairen« Kampfbedingungen automatisch, teils unterbewusst, viele Sympathien auf das Opfer.

In welche Richtung auch immer man diese konkrete »Strategie« der Militanz weiterdenkt, man landet in der Sackgasse. Aufgrund der Subversivität ist ein transparentes Vorgehen bei solchen Angriffen unmöglich. Wer also fällt hier die Urteile, sucht auf welcher Grundlage die Opfer aus? Werden nun im Hinterzimmer Prügellisten verfasst, exekutiert von einer »linken« Bürgerwehr? Wie wird verhindert, dass nicht mal der Falsche vom Rad gerissen wird? Wer garantiert, dass nicht der freundliche V-Mann mit am WG-Tisch sitzt und aus oben beschriebenen, ganz eigenen Motiven die Militanz befeuert?

Scheinbar schlägt momentan in einigen linken Zirkeln die Stunde der Zampanos, die sich mit starken Sprüchen und auf Kurzsichtigkeit bauend vor allem selber produzieren wollen. Man muss jenen (unbewussten?) Provokateuren Beharrlichkeit und gute Argumente in den Weg stellen.