Peter Sunde war das Gesicht der schwedischen Online-Tauschbörse Pirate Bay. Mit Flattr kämpft er heute für ein Netz mit freien Inhalten – und für eine andere Gesellschaft
Porträt | 08.04.2011 09:00 | Mikael Krogerus
Wie muss man sich Peter Sunde vorstellen? Vielleicht wie eine Art Gegenentwurf zu Julian Assange. Ähnlich begabt, ähnlicher Hintergrund, ähnliche Interessen, ähnlich mutig. Aber nicht so bekannt. Nicht so verrückt. Und auf einem anderen Weg. Peter Sunde ist das politisierte Computergenie mit dem grünen Gewissen. Und obwohl er erst 32 ist, ranken sich bereits Legenden um ihn.
An einem kalten Tag im März sitzt er mit szenetypisch dunklen Schatten unter den Augen in der letzten Reihe des Vortragssaals im Gottlieb-Duttweiler-Institut bei Zürich. Die Konferenz hier verhandelt das Thema Macht. Unter den Rednern sind große Namen, im Publikum wichtige Wirtschaftsentscheider.
Sunde sitzt neben anderen Protagonisten der Hacker-und-Leaker-Szene. Da ist Daniel Domscheidt-Berg, Transparenz-Aktivist und ehemaliger Wikileaks-Sprecher. Und da ist Christopher „moot“ Poole, der 24-jährige Gründer von 4chan, einem komplett anonymen Onlineforum, aus dessen Umfeld die Hackerangriffe gegen Visa und Mastercard kamen, nachdem die Firmen Spenden an Wikileaks gestoppt hatten.
Sunde wartet auf seinen Auftritt. Er ist ein gefragter Mann, seit er zum Sündenbock der US-Unterhaltungsindustrie wurde, weil er es ermöglichte, über die Suchmaschine Pirate Bay Filme gratis aus dem Netz zu laden. Beihilfe zur Raubkopie, acht Monate Haft, befand die schwedische Justiz 2009. Für Sunde war es aber nichts Illegales, es war etwas Politisches: Das Urheberrecht an sich sei unmoralisch, diktierte er Journalisten immer wieder. Denn es basiere auf der Annahme, dass jemand eine Idee habe und diese Idee danach ihm gehöre. Das sei Unfug! Denn jeder greife auf Ideen anderer zurück, das sei die Grundlage von Kunst. Das Urheberrecht diene bloß dazu, Geld zu verdienen.
Während der Kampf um illegale Downloads immer heißer wurde, war Sunde schon am nächsten Projekt, seinem Mikro-Bezahlsystem Flattr: eine Art Like-Button, bloß dass man mit jedem Klick auf den Flattr-Button ein bisschen Geld an den Schreiber des Beitrags überwies. 75.000 User nutzen es. Viel Geld fließt bisher nicht, aber freiwilliges Bezahlen ist dennoch ein Meilenstein in der Endlos-Diskussion um kostenpflichtige Inhalte im Internet.
Nicht nur Inhalte teilen!
Für Sunde ist Flattr aber noch etwas anderes. Es ist ein logisches, wenn auch experimentelles Weiterdenken von Pirate Bay. Man solle nicht nur Inhalte, sondern auch Geld teilen, sagt er. Nur wer seine Inhalte gratis anbietet, darf Geld mit Flattr verdienen. Pirate Bay war die Technologie, um Gratisinhalte zu vertreiben, Flattr ist die Methode, um damit Geld zu verdienen.
Als Pirate Bay verboten und Sunde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, führte das zu einem enormen Zulauf für die Piratenpartei in Schweden. Sunde sah das als politischen Erfolg, auch wenn er selbst nie die Piratenpartei wählen würde. Der überzeugte Veganer ist ein aktiver Unterstützer der Grünen. Seine Überzeugung verrät – wie bei so vielen Skandinaviern – ein fast sozialistisches Gesellschaftsverständnis. „Mit Kapitalismus kann ich definitiv nichts anfangen“, sagt er.
Bei der Konferenz in Zürich herrscht jetzt ein bisschen Ausnahmezustand, wegen einer technischen Panne funktioniert das W-Lan nicht: Verzweifelt tippen Leute auf ihren Laptops herum. Es hat etwas Komisches – und etwas Trauriges. Die Momente ohne Netz erzählen viel über die Abhängigkeit unserer Welt. Sunde gibt sich unbeeindruckt, er klappt sein Macbook Air zu: „Ich bin sowieso nicht so gern online. E-Mails beantworte ich kaum noch.“
Vorne spricht Parag Khanna, der 33-jährige Posterboy der amerikanischen Politikwissenschaft. Sein Vortrag handelt davon, dass Grenzen keine Rolle mehr spielen. Die neuen Grenzen seien Öl-Piplines. Sunde blickt verwundert auf. Dann beugt er sich vor und sagt leise: „Das ist zynisch. Und niemand sagt was dagegen. Solche Menschen machen mir Angst. Mehr aber noch solche, die ihnen nicht widersprechen.“ Man muss ein bisschen darüber nachdenken, um zu verstehen, was er gerade gesagt hat. Es ist ein typischer Sunde-Satz: Es macht ihm Angst, dass er selbst nicht den Mut hat, aufzustehen, obwohl er weiß, dass er es eigentlich sollte.
Viele sagen, dass sie ihm mehr zutrauen würden. Nicht als Hacker oder Hobby-Aktivist, sondern als Politiker. Um zu verstehen, wie Sunde zu einer der wichtigsten Figuren der neuen Gegenöffentlichkeit wurde, muss man 32 Jahre zurückgehen.Am 13. September 1978 wird er in Uddevalla in Westschweden geboren. Sein Vater ist ein Schweißer aus Finnland, seine norwegische Mutter Personalberaterin. Sunde selbst hat die finnische und die norwegische Staatsbürgerschaft. Die Familie ist rastlos. Mit 18 ist er 19 Mal umgezogen. Das lehrt ihn die nicht unwichtige Fähigkeit, immer wieder neue Freunde zu finden.
Er beginnt mit einem Amiga 500
Als sich die Eltern trennen, zieht er mit der Mutter nach Norwegen. Hier entdeckt er im Alter von neun Jahren auf einem Amiga 500 seine Leidenschaft. Er lernt, den Kopierschutz von Computerspielen zu entfernen, und beginnt, Programme zu kopieren. Seine Mutter zieht mit ihm zurück nach Schweden. Er schmeißt das Gymnasium, widmet sich ganz seiner Leidenschaft. Und er kommt in Kontakt mit Hackergruppen. Nach einem Praktikum wird er in der IT-Abteilung der 25.000-Einwohner-Stadt Lidköping angestellt.
Es spricht sich herum, dass da ein junger Mann sei, der mehr am Computer könne, als einem lieb ist. Sunde wechselt in die Privatwirtschaft und programmiert die erste Web-Email Schwedens. Er trifft Leute, verdient viel – arbeitet noch mehr. Irgendwann wird das zu viel. Er zieht wieder nach Norwegen und beginnt bei Siemens, wo er Sicherheitslecks aufdeckt, die sich seine Chefs nicht mal vorstellen können. Er ist seiner Zeit um Jahre voraus.
Aber er leidet unter den Kollegen, die nur zum Geldverdienen zur Arbeit gehen. Er pendelt zwischen Norwegen und Schweden, wo seine Freundin lebt. Das psychische Unwohlsein und die ständige Überarbeitung fangen an, Tribut zu fordern. „Alles war zu viel. Ich fühlte mich weder zu Hause noch bei der Arbeit wohl“, erzählt er. Ungefähr in dieser Zeit lernt er Fredrik Neij kennen, einen der Gründer von Pirate Bay. Für Sunde ist die Piratenbewegung – zu der Zeit eine lose Gruppe aus Hackern, Studenten und kapitalismuskritischen Aktivisten, die gegen die Kriminalisierung des Datenkopierens agitieren – ein Ausweg.
„Pirate Bay machte Spaß“, erinnert er sich heute. „Aber es stand auch für etwas, an das ich wirklich glaubte – Meinungsfreiheit.“ Für Sunde, der sich bislang als eher unpolitisch verstand, ist die Heftigkeit, mit der Pirate Bay von amerikanischen Firmen angegriffen wurde, eine Art politische Initiation. „Ich nahm die Anklage sehr persönlich: Alles, was ich kann, kann ich, weil ich kopiert habe. Alles, was ich über Computer weiß, habe ich durch kopierte Sachen gelernt. Jetzt heißt es: Kopieren ist illegal? Das heißt, ich bin illegal!“ Es geht für ihn nun um mehr als ein paar Gratis-Filme.
Die Politisierung ist nachhaltig. Weil sein neues Piraten-Hobby seinen Chefs bei Siemens nicht passt, kündigt er. Und weil die beiden anderen Piraten nicht viel für Medien und Menschen übrig haben, wird Sunde mit seiner direkten, aber netten Art zum Gesicht und Sprecher von Pirate Bay. Jener Website, die die Sache mit der Meinungsfreiheit ernst meint: Als auf Pirate Bay die Autopsie-Aufnahmen zweier ermordeter Kinder und der dazugehörende Untersuchungsbericht der schwedischen Polizei auftauchen, sagt Sunde, es sei nicht die Aufgabe von Pirate Bay, das hochgeladene Material ethisch zu bewerten.
Zwei Kollegen von Pirate Bay gründen die Internet-Provider-Firma PRQ, um vor allem Inhalte zu hosten, die anderswo politisch verboten sind – so darf zum Beispiel die tschetschenische Opposition hier ihre Website aufschalten. Und als Wikileaks-Server ab 2007 in anderen Ländern abgeschaltet werden, findet die Organisation auf PRQ Unterschlupf.
Eine fast religiöse Berufung
Sunde und Assange. Obwohl die beiden charakterlich nicht unterschiedlicher sein können, haben sie einiges gemeinsam. Beide stammen aus entwurzelten Familien. Beide finden eine fast religiöse Berufung im Programmieren. Beide steigen zu wichtigen Figuren des Internets auf. Und beide haben ein gemeinsames Interesse: Politik. Die Frage von Wikileaks: Wie schafft man ein Gleichgewicht zwischen Regierung und Bürgern? Durch radikale Transparenz. Die Frage von Sunde: Wie schafft man größtmögliche Meinungsfreiheit? Durch ein radikales Neudenken des Urheberrechts.
Aber während Assange sich als Verkörperung von Wikileaks versteht, verwechselt Sunde sich selbst nie mit Pirate Bay. Seine Leidenschaft gilt der Idee, nicht seiner Selbstverwirklichung. Assange wird nie etwas anderes sein als Mr. Wikileaks. Sunde wechselt von Mr. Pirate Bay zu Mr. Flattr und bastelt schon am nächsten Projekt.
Der Pirate-Bay-Fall ist inzwischen vor dem Obersten Gerichtshof in Schweden angekommen. Es geht um juristische Spitzfindigkeiten. In der ersten Runde hatte sich die schwedische Justiz blamiert: Es stellte sich heraus, dass Richter Tomas Norström Mitglied des schwedischen Urheberrechtsverbandes war, der sich für ein verschärftes Gesetz einsetzte. Zudem wechselte der Chef-Ermittler der Polizei, Jim Keyzer, ein halbes Jahr vor Ende der Untersuchung zu Warner Bros., einem Lobbyisten der Kläger. „Das schwedische Rechtssystem ist viel korrupter, als ich es mir je ausgemalt hatte“, sagt Sunde. Er könne daher verstehen, dass Assange die Unbefangenheit eines schwedischen Gerichts anzweifelt. Trotzdem müsse er sich der Anklage stellen. Zum Wikileaks-Führer hält Sunde inzwischen Abstand. "Ich glaube, er leidet an einer Art Psychose. Diese ganze Aufmerksamkeit hat ihn fertiggemacht."
Der Hype hinterlässt Spuren
Sunde weiß, wovon er spricht. Auf dem Höhepunkt der Pirate-Bay-Hysterie gibt er täglich mehrere Interviews. Hinzu kommen Drohbriefe, Anwaltsschreiben. Anfangs benutzt er ein Pseudonym ("Peter Kopit"), um sich zu schützen. Der damalige Hype hat bis heute Spuren hinterlassen, er ist schwer erreichbar. Er geht fast nie ans Telefon, beantwortet E-Mails nur sporadisch oder gar nicht. Das Gespräch für den Freitag kommt nur zustande, weil er beim Scrollen in den Mails über den finnischen Namen des Autors stolpert und daraufhin die Interview-Anfrage beantwortet.
Jetzt hat er aber keine Zeit mehr für Fragen. Er muss nach vorne, um über Flattr zu reden. Sunde erzählt, was das Micropaymentsystem ist und was daraus werden kann. Es ist eine gute Rede. Er verkauft nicht das Produkt, er wirbt um Verständnis dafür, dass wir uns frei machen sollten von den Preis-Vorgaben der großen Firmen und einfach den Menschen Geld geben sollten, die Dinge machen, die wir gut finden. Kompliziert sei es nicht, sagt er und grinst.
Später ist er der Einzige, der kritisiert, dass an einer Konferenz über Macht 95 Prozent aller Redner männlich waren. Er ist wohl auch der Einzige, dem es aufgefallen ist. Er packt seine kleine Tasche mit dem Laptop, lächelt freundlich und verschwindet in ein Taxi. Er muss zum Flughafen, in zwei Stunden fliegt er nach Kopenhagen.
Zurück bleiben ein voller Notizblock und ein Gedanke. Wenn man Peter Sunde in nur einem Satz beschreiben müsste, würde man schreiben: Er ist keiner, der sich selbst mit der Größe seiner Ideen verwechselt. Und damit ist er vielleicht wirklich ein Mann für das 21. Jahrhundert.
Mikael Krogerus hat sich für die Recherche zu diesem Text auch auf illegalen Tauschportalen herumgetrieben. Das würde er sonst natürlich nie machen.
Hintergrund
Peter Sunde begann seine Programmierer-Karriere damit, den Kopierschutz von Computerspielen zu knacken. Grund genug, eine Freitag-Top-Five der besten Spiele für den Amiga 500, den Spielecomputer schlechthin, zusammenzustellen:
Platz 5: Wings of Fury. Als US-Bomberpilot durfte man feindliche Flugzeuge, Bunker und Schiffe zerstören. Heute unbegreiflich, damals ein Hit.
Platz 4: Populous. Der Erstling von Spiele-Erfinder Peter Molyneux. Verhandelte einige der ganz großen Themen: gut-böse, Gott-Welt, ich-andere. Tolle Sache eigentlich, für uns damals aber viel zu anspruchsvoll.
Platz 3: Wing Commander. Das Lieblingsspiel meines Vaters. (Gibt es auch als Remake!)
Platz 2: Leisure Suit Larry. Der persiflierte Softsex-Film unter den Computerspielen. Mit postmodernem Held. Al Lowes Meisterstück.
Platz 1: The Secret of the Monkey Island. Legendärer Adventure-Klassiker mit Wannabe-Piraten Guybrush Threepwood. Neben Larry das einzige Spiel mit gutem Humor. Und der Sound! Wer das nicht kennt, hat kein Amiga 500 gespielt. mk
Peter Sunde nimmt auch am Medienkongress von Freitag und taz am 8. und 9. April in Berlin teil. Bei der Diskussion „Zahlen, bitte!“ stellt er seine Ideen vor, wie man Inhalte frei publizieren und trotzdem damit Geld verdienen kann. Samstag, 9. April, 17 Uhr, K1, Haus der Kulturen der Welt. Mit einem Klick auf den Button gelangen Sie zum Programm.