Folterer erstmals seit 10 Jahren wieder verurteilt

Manual del torturador

Es geht spanisch zu in Spanien. Da werden baskische Anwälte angezeigt, weil sie auf einer Pressekonferenz die Aussagen ihrer Mandanten wiedergeben, dass sie von den Sicherheitskräften schwer gefoltert wurden. Das passierte Haizea Ziluaga und Alfonso Zenon, die neun Personen vertreten, die im Fischerort Ondarroa am 8. Februar verhaftet wurden. Das Ziel ist klar, sie sollen mundtot gemacht werden. Über Folter soll öffentlich nicht mehr gesprochen werden. Deshalb werden auch Bücher in Spanien zensiert, die sich mit Folter in einem Land mitten in der Europäischen Union auseinandersetzen.

 

Dass die Folter eine traurige Realität ist und weiterhin Urstände feiert, das wurde gerade am Donnerstag belegt. Ausnahmsweise hat nach zehn Jahren wieder ein Gericht vier Mitglieder der berüchtigten Guardia Civil wegen Folter zu Haftstrafen zwischen zweieinhalb und viereinhalb Jahren verurteilt, weil die Beweise gegen 4 der 15 Angeklagten erdrückend waren. Allerdings wurden die Angeklagten schon zuvor zu einer Haftstrafe von über 1000 Jahren verurteilt. Dabei geht aus dem Urteil hervor, dass man sich vor allem auf ihre Geständnisse stützt, die erfoltert wurden.

 

Doch eins nach dem anderen. Die Folterpraxis ist eine traurige Kontinuität. Sie wurde früher von der faschistischen Diktatur angewendet und heute von einer Regierung, deren Mitglieder noch selbst noch die Erfahrung der Folter machen durften. Peinlich für die Parteilinke in Spanien allgemein ist, dass das Antiterror-Gesetz sogar mit den Stimmen der Kommunisten (PCE) einst verabschiedet wurde. PCE und die sogenannten "Sozialisten" (PSOE) hatten schnell ihren Frieden mit der neuen Monarchie (vom Diktator restauriert) gemacht und 1978 mit der Ultrarechten das Gesetz verabschiedet.

 

Allen Folterberichten und Straflosigkeit der Peiniger zum Trotz ließen sich PSOE und die PCE auch nicht davon abhalten, die Antiterrorgesetze 1980 sogar zum organischen Gesetz (einem Grundgesetz ähnlich) zu erheben. Sie äußerten angesichts der Folterberichte lediglich die Hoffnung, dass sich das, was sie einzelnes Fehlverhalten nannten, bald ändern werde. Geändert hat sich nichts, wie die jährlichen Menschenrechtsberichte zeigen. Es sind diese Gesetze, die es bis heute erlauben, eine Person für bis zu 13 Tage zu inhaftieren, bevor sie einem Haftrichter vorgeführt oder frei gelassen wird. In der Zeit ist sie völlig abgeschirmt, erhält keinen Kontakt ihrer Familie, ihrem Anwalt oder einem Arzt des Vertrauens, was nach Angaben der Menschenrechtsorganisationen "gewöhnlich zur Misshandlung von Gefangenen beiträgt.“

 

Wie die Folter ist es auch eine Kontinuität, egal welche Regierung gerade in Madrid regiert, dass stets abgestritten wird, dass in dieser berüchtigten Kontaktsperre (Incomunicado-Haft) Menschen gefoltert werden (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/12/12359/1.html), die nach dem Antiterror-Gesetz verhaftet werden. Spanien weigert sich stets, die Folter anzuerkennen und gegen sie vorzugehen. Das geschah zum Beispiel, als Theo van Boven, UNO-Sonderberichterstatter für Menschenrechte, das Land 2004 vor der UNO-Vollversammlung 2004 anklagte. Er hatte zuvor Spanien besucht und war mit Folteropfern zusammen getroffen. Er stellte in seinem Bericht fest, dass in Spanien "mehr als sporadisch auf Praktiken wie Folter, Misshandlungen, grausame oder unmenschliche Behandlung zurückgegriffen wird." Da Spanien derlei nicht anerkennt, werden auch die Forderungen der UNO, von Amnesty International und anderen bis heute zurückgewiesen, der Folter vorzubeugen. Bis heute fordert Van Bovens Nachfolger Martin Scheinin immer wieder die Abschaffung der Kontaktsperre und bis dahin die lückenlose Aufzeichnung per Video, während ein Verhafteter isoliert ist.

 

Sonst kommt es nämlich oft zu den üblichen Erstickungsmethoden, Elektroschocks und Schlägen. Dazu kommen bisweilen auch Vergewaltigungen, vaginal oder anal mit Pistolenläufen, Knüppeln oder anderen Gegenständen. Dazu kommt auch psychologische Folter, wie Scheinerschießungen, Schlafentzug und zum Beispiel die Drohungen, auch die Freunde oder Familienangehörige zu verhaften, um sie der gleichen Tortur zu unterziehen. Das sind nur einige der Folterpraktiken, die zumeist in den ersten vier Tagen der Incomunicado-Haft angewendet wird (http://es.wikipedia.org/wiki/Legislación_antiterrorista_española#Incomunicaci.C3.B3n), die bis zu 13 Tage verlängert werden kann. Das geschient meist nicht, um die Folter fortzusetzen, sondern damit Wunden verheilen und Beweise verschwinden, bevor der Geschundene freigelassen oder im Gefängnis abgeliefert wird.

 

All diese Vorgänge hat Xabier Makazaga ausführlich in seinem Buch "Manual del torturador español" (Handbuch des spanischen Folterers) dargestellt, das im baskischen Verlag Txalaparta  erschienen ist. Wie die Regierung unter der konservativen Volkspartei (PP) die Folterberichte aus den Jahren 1996 bis 1999 der Madrider "Vereinigung gegen die Folter"  zensierte, gibt es nun auch gegen dieses Buch Zensurmaßnahmen. Führte ausgerechnet die PP einst als Argument den Datenschutz im Internet an, so hat die Nachfolgeregierung, die sich sozialistisch nennt, bisher auch eher subtil vor.

 

So wurde zunächst ein publizistischer Feldzug gegen das Buch gestartet, um es zum Beispiel aus den Bibliotheken zu verbannen. Anders als Makazaga aber schreibt, wurde der Stein nicht von der rechten Zeitung El Mundo ins Rollen gebracht. Schon vor El Mundo hatte die noch deutlich weiter rechts stehende Zeitung La Razón die Hatz eröffnet. Erneut wird das "Umfeld von Batasuna" (Hervorhebung im Original), der verbotenen baskischen Partei bemüht, welches das Buch angeblich verlegt habe. Dass sich Batasuna klar von der Gewalt der Untergrundorganisation ETA klar distanziert hat, wird nicht zur Kenntnis genommen und nun auch noch Txalaparta in den Topf geworfen. Mit derlei Hinweisen erübrigt sich in Spanien dann zumeist jede Erörterung darüber, ob, wie in diesem Fall, der Inhalt des Buchs richtig oder falsch ist. Schließlich, so wird stereotyp behauptet, gäbe es Folter nicht. Die ETA weise aber ihre Mitglieder an, Folter anzuzeigen, um Spanien zu diskreditieren.

 

Der Kampagne hatte sich derweil auch die größte Tageszeitung El País angeschlossen. Auch El País, die der sozialdemokratischen Regierung nahe steht, spricht wortgleich vom "Umfeld von Batasuna" und "angeblicher Folter". Sie berichtete über den Erfolg, dass die sozialdemokratische Bürgermeisterin der baskischen Stadt Basauri das Buch aus der Stadtbibliothek entfernt hat  und über den Druck auf andere, diesem Beispiel zu folgen. Man fragt sich, ob eine Zeitung, die gegen Folter vor der eigenen Haustür die Augen verschließt und Zensurmaßnahmen feiert, zum Beispiel ein geeigneter Ort ist, um die Wikileaks-Dokumente zu veröffentlichen.

 

Doch zurück zur Folter. Man fragt sich, wie es El País nach dem Urteil im Fall der baskischen Journalistenkollegen der Tageszeitung "Egunkaria" weiterhin fertig schafft, die Augen vor der Folter in Spanien zu verschließen. Denn sogar der Nationale Gerichtshof hat mit den Freisprüchen anerkannt, dass auch angesehne Journalisten von der Guardia Civil gefoltert wurden. Was aber passiert mit unbekannten Jugendlichen, wenn auch wir so behandelt werden, fragte sich der Chefredakteur der Zeitung nach seiner Freilassung. Das Geständnis von Martxelo Otamendi und seinen Kollegen musste sogar das Sondergericht verwerfen, die aus den Journalisten während der Kontaktsperre heraus geprügelt worden waren. Zudem stellte es fest, dass die geschilderten Folterungen "kompatibel mit den Gutachten von forensischen Ärzten sind, die bei der Aufnahme im Gefängnis erstellt wurden." In diesem Fall wurden die Folteranzeigen auch nicht als "Beweis" dafür gewertet, dass man es hier mit gefährlichen ETA-Mitgliedern zu tun habe, wie es in anderen Verfahren immer wieder geschieht.

 

Als Reaktion auf die Zensur gegen das Buch von Makazaga hatte sich der Verlag Txalaparta dazu entschieden, dass Buch auf seinen Webseiten zum freien Download  anzubieten, um es auch im Rest des Landes zur Verfügung zu stellen und um der Zensur zu begegnen. Es würde den aufmerksamen Beobachter nicht wundern, wenn der Verlag demnächst von der Guardia Civil gestürmt und geschlossen werden würde. Schließlich waren es auch die Paramilitärs, die das Vorgehen gegen Egunkaria diktiert hatten. Es wäre nicht der erste Fall. Und fast immer ging eine entsprechende "Umfeld"-Kampagne der Stürmung voraus. Da hilft es auch wenig, wenn schließlich nach 11 Jahren höchstrichterlich festgestellt wird, dass das "vorläufiges Verbot" schlicht "illegal" war.

 

Haben die Vorgänge um das Buch vielleicht auch etwas damit zu tun, dass am Donnerstag vier Guardia Civil Beamte wegen Folter vor einem baskischen Gericht in Donostia - San Sebastian zu Haftstrafen zwischen zweieinhalb und viereinhalb Jahren verurteilt wurden? Jedenfalls stellte dieses Gericht fest, dass Juan Jesús Casas García, José Manuel Escamilla Martín, Sergio García Andrade und Sergio Martínez Tomé die beiden mutmaßlichen ETA-Mitglieder Igor Portu und Mattin Sarasola gefoltert haben.

 

Leider passiert es selten, dass so starke Beweise für Folter vorliegen, wie im Fall dieser beiden jungen Leute aus der kleinen Stadt Lesaka im Norden von Navarra. So wurde Portu am Tag nach der Verhaftung mit schwersten Verletzungen auf die Intensivstation eines Krankenhauses eingeliefert. Die Zivilgarden hatten behauptet, die Verletzungen seien die Folge des Widerstands bei der Verhaftung in einer Straßenkontrolle gewesen. Doch ein Zeuge bestätigte ihre Aussagen, keine Gegenwehr geleistet zu haben. Zudem konnte die Guardia Civil die vielen Stunden nicht erklären, die zwischen Verhaftung bis zur Einlieferung ins Krankenhaus vergangen waren. Als die Verhafteten zur Hausdurchsuchung ihre Familien sehen konnten, waren sie ebenfalls noch nicht in einem solch bedauernswerten Zustand, wie er später im Krankenhaus attestiert wurde. Dass Portu eine gebrochene Rippe aufwies, welche die Lunge verletzt hatte, deckte sich mit den Schutzbehauptungen der Guardia Civil genauso wenig, wie die im Krankenhaus festgestellten Blutergüsse im Brustbereich, auf dem Rücken und am Auge.

 

Trotz der deutlichen Hinweise auf Folter, wurden aber genau diese beiden Personen für den Anschlag verantwortlich gemacht, mit dem die ETA den Friedensprozess 2006 gesprengt hatte. Sie wurden im Mai vom Nationalen Gerichtshof dafür zu jeweils mehr als 1000 Jahre Haft verurteilt. Die Forderungen der Verteidigung, zunächst die Entscheidung im Folterverfahren abzuwarten, wurden verworfen. Nun darf man gespannt sein, was nun mit dem Urteil gegen die beiden Folteropfer geschieht. Schließlich hatte das Madrider Sondergericht im Urteil ausdrücklich vermerkt, ihre Geständnisse hätten sie in der Incomunicado-Haft freiwillig unterschrieben. Sie seien “nicht das Ergebnis irgendeiner Art von Folter, physischer oder psychischer Misshandlung”, steht im Urteil. Die Selbstbezichtigungen waren sogar die Hauptbeweismittel, die zu den Verurteilungen führten. In einem normalen Land würde auch ein Innenminister zurücktreten, der sich vorbehaltlos hinter die Darstellungen der Guardia Civil gestellt hatte und damit Folter zu decken versuchte. Stattdessen wurde die Bürgermeisterin von Hernani dafür als ETA-Unterstützerin angeklagt, weil sie den Folteropfern verbal von einer Veranstaltung aus eine feste Umarmung in den Knast geschickt hatte. Man darf auch gespannt sein, ob die Folterer ebenfalls bald begnadigt werden, wie bisher meist üblich.

 

© Ralf Streck, den 30.12.2010