Kekse-Prozess in Lüneburg

Freiheit für die Kekse!

Am Mittwoch, dem 1. Dezember 2010, hat vor dem Lüneburger Amtsgericht ein Prozess gegen einen Containerer begonnen. Dem Aktivisten wird vorgeworfen, Kekse aus einer Mülltonne gestohlen zu haben. Vor Beginn des Prozesses und in der Verhandlung zeigten UnterstützerInnen des Angeklagten ihren Unmut über die Wegwerf-Gesellschaft und diesen absurden Prozess. Die Sitzung dauerte nur etwa eine Stunde und wurde auf unbestimmte Zeit vertagt. Im Anschluss an die Verhandlung wurde der Angeklagte. jedoch noch im Gerichtssaal festgenommen. Weil er ein Bußgeld wegen eines Verkehrsdeliktes nicht zahlen konnte, wurde er in Erzwingungshaft genommen.

 

Der Vorwurf, der Aktivist habe weggeworfene Kekse »gestohlen«, stammt aus dem vergangenen Sommer. Zunächst war das Verfahren sowohl gegen den Aktivisten wie auch gegen eine weitere Person, gegen den die Staatsanwaltschaft identische Vorwürfe erhoben hatte, wegen mangelndem öffentlichen Interesse eingestellt worden. Nach einer erneuten Prüfung wurde das Verfahren gegen den bekannten Anti-Atom-Aktivisten jedoch wieder aufgenommen, während gegenüber der anderen Person lediglich die Rechtsgrundlage der Einstellung geändert wurde. Die Anklage lautet auf Hausfriedensbruch, weil die Mülltonne sich auf dem Betriebsgelände der Konditorei Scholze befand.

 

UnterstützerInnen verteilten am Dienstag Flyer und aus Mülltonnen geholte Kuchen am Lüneburger Weihnachtsmarkt. Die Passanten lasen erstaunt laut vor: »Kekse! Kekse!«
Hanna Poddig, eine der UnterstützerInnen berichtet: »Viele wollten nicht glauben, dass Menschen aus solchen Gründen angeklagt werden und hielten unsere Flyer für Fakes, also für eine Fälschung.«. Mit diesen hatten die LüneburgerInnen zur Weihnachtszeit 2008 zu den Aktionstagen gegen Repression, Überwachung und Kontrollen schon ausführlich Bekanntschaft gemacht. Für ein öffentliches Interesse an der Verfolgung gab es laut Fußgängerbefragung keinerlei Anzeichen, die Reaktionen zeigten durchweg Unverständnis für das Vorgehen der Staatsanwaltschaft.

 

Das Amtsgericht hatte sich bis zum Prozess ansprechend und fast schon weihnachtlich vorbereitet, so waren auf dem Gerichtsgebäude die Sprüche "Lebenslang für Mülldiebe" und "Freiheit für die Kekse!" in weißer Farbe zu lesen.

 

Im Prozess beantragte der Angeklagte gleich zu Beginn der Verhandlung einen juristischen Beistand. Die Verteidigung sollte nicht wie üblich durch einen Anwalt gewährt werden, sondern durch eine gerichtserfahrene Lüneburger Polit-Aktivistin. Dem Antrag wurde stattgegeben.

 

Zur inhaltlichen Verhandlung kam es an diesem Tag nicht. Nachdem ein Teil des Publikums wegen Unmutsäußerungen ausgeschlossen worden war, wurde die Sitzung nach einer Stunde beendet und vertagt, da die zuständige Richterin zunächst über einen Antrag der Verteidigung auf Akteneinsicht entscheiden muss.

 

Noch während der Strafbefehl verlesen wurde entstanden die ersten Irritationen, ein Summgeräusch unbekannter Quelle führte zur Ermahnung des Publikums, unklar war jedoch wer eigentlich ermahnt wurde.

Anschließend stellte die frisch gebackene Verteidigung einen Antrag auf Akteneinsicht, hier folgte die erste Unterbrechung und die Richterin zog sich in der "fünfminutigen Pause" für zehn Minuten zurück um sich eine Meinung zum Antrag zu bilden. Nach Rückkehr erklärten Angeklagter und Verteidigung weiteres zu den Anträgenaus , so war dem mittellosen Aktivisten die Akteneinsicht zwar gewährt worden, Kopien konnte er sich jedoch nicht leisten, eine Auseinandersetzung mit Akten und Beistand war daher nicht möglich.

Die Richterin war der Meinung das Verteidigung und Rechtsbeistand nicht die selben Rechte hätten und es "unnötig sei darüber zu reden". Hierrauf folgte eine Intervention aus dem Publikum "Sie können doch normale Verfahrensrechte nicht für unnötig erklären" klang es durch den Saal. Eine weitere Person machte daraufhin ihren Widerspruch zum Vorgehen der Richterin deutlich, woraufhin die Richterin nach den Justizwachtmeistern rufen ließ. Ein vereinzelter Beamter betrat daraufhin tapsig den Saal, die Richterin fragt "Sind sie alleine?", er antwortete daraufhin "Nein, da kommt noch einer." woraufhin es zu einem leisen Gelächter im Publikum kommt und gewartet wird.

Eine der zu räumenden Personen fängt nun an Kuchen zu Essen und fragt in die Runde ob noch jemandE anderes containertes Gebäck essen will, die Richterin forderte die Einstellung des Kuchenverzehrs, der Kuchenesser erwiderte daraufhin "Sie haben die Verhandlung doch unterbrochen.", die Richterin "Nein die Verhandlung ist nicht unterbrochen.", der Kuchenesser "Gut so lange wir warten können wir ja noch eine Kaffeepause machen."

Nachdem genug Wachtmeister anwesend waren, begann die Räumung des kritischen Publikums, nach dem anziehen der Jacke forderten diese dazu auf sie doch rauszutragen. Eine Kritikerin bestand darauf von einer weiblichen Person hinausgetragen zu werden, woraufhin die Richterin mit den Worten "Jetzt haben wir ja eine Frau, jetzt können wir ja weiter machen." selbst Hand an die Kritikerin legte. Die Richterin ließ erst ab als ein weiterer Zuschauer ihren Übergriff dokumentieren wollte, sie kommentierte dies mit den Worten "der fliegt jetzt auch raus."

Nachdem die mittlerweile drei KritikerInnen im Flur abgelegt wurden, verständigten sich die Wachtmeister noch ob die Personen aus dem Gebäude entfernt werden sollen, sie wurden, nachdem noch ein "Flummi" in den Gerichtssaal sprang, rabiat durchs Gebäude gesschleift und mit Anzeigen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte bedroht. Hierbei flog eine durch die Justizangestellten mit voller Wucht aufgestoßene Pendeltür einer Unbeteiligten nur zentimeterknapp am Kopf vorbei.

 

Währenddessen wurde im Gerichtsaal der vermeintliche »Dieb« durch einen als Zeuge erschienenen Polizisten in Erzwingungshaft genommen. Die zuvor rausgeworfenen KritikerInnen begleiteten ,neben den miesgelaunten Beamten, den abgeführten Aktivisten, noch auf dem Weg zwischen Amtsgericht zum nahgelegenen Gefängnis.

 

Rechtsbeistand Cécile Lecomte erklärte nach der Verhandlung: »Der Angeklagte soll ein Bußgeld wegen eines banalen Verkehrsdeliktes zahlen, obwohl er längst seine Verhältnisse offengelegt und seine Zahlungsunfähigkeit dargelegt hat. Dem Gesetz nach darf Erzwingungshaft jedoch nur dann vollzogen werden, wenn der Betroffene zahlungsfähig ist. Im Weltbild von Richtern, die selbst zu den wohlhabenden Menschen gehören, ist ein Mensch, der sich u.a. aus Geldnot von weggeworfenen Lebensmittel ernährt, zahlungsfähig. Das ist doch ein Skandal!«

 

Die UnterstützerInnen wollen das Vorgehen der Staatsgewalt nicht ohne weiteres hinnehmen. Am Nachmittag informierten sie PassantInnen über das Geschehen, eine Passantin spendete die ersten zehn Euro um den Aktivisten »frei zu kaufen«. Über weitere Spenden und Solidaritätsgesten freuen sich der Aktivist und die UnterstützerInnen.

 

Spendenkonto:

Inhaber: H.Thoroe
Kontonr. 111 026 274
Blz: 217 500 00
Betreff: KekseKekse

 

Zum Containern:

 

Prozess gegen Anti-Atom-Aktivistin:

Zur Zeit laufen Prozesse gegen Cécile, die in diesem Fall den Rechtsbeistand stellte, wegen Anti-Atom-Protest am Atom-Zwischenlager Gorleben in Dannenberg. In diesem stellt Jörg der zur Zeit in Gießen für sechs Monate im Offenen Zug wegen der Teilnahme an einer Feldbefreiung in 2006 weggesperrt ist den Rechtsbeistand, möglich wurde dies dadurch das er vor Haftantritt als Rechtsbeistand zugelassen wurde und er seinen Hafturlaub zur Verteidigung von Cécile nutzt. Nicht möglich gemacht wurde ihm die Teilnahme als Referent auf einem Gentechnik-Vernetzungstreffen in Leipzig.

 

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