Linke wollen den Politologen Jesse nicht an der Uni haben

Der Politologe Eckhard Jesse kommt zu einem Vortrag nach Freiburg - zum Ärger eines linken Bündnisses. Foto: Foto: Wolfgang Thieme dpa/lsn
Erstveröffentlicht: 
05.11.2010

Ärger wegen Vortrag

 


Linke wollen den Politologen Jesse nicht an der Uni haben

 

 

Zahlreiche linke Gruppen haben etwas gegen einen Vortrag des Politikwissenschaftlers Eckhard Jesse in der Universität. Sie fordern die Ausladung des 62-jährigen Extremismusforschers.

 

Jesse, der an der er Technischen Universität Chemnitz lehrt, soll am Mittwoch, 10 November, 20.15 Uhr in Hörsaal 1015 auf Einladung des Studium Generale und der Katholischen Akademie der Erzdiözese zum Thema "Politischer Extremismus – was ist harter, was ist weicher Extremismus?" sprechen.

Jesses Gegner werfen den Veranstaltern vor, "einen ungeheuerlichen Akt von Geschichtsrevisionismus" zuzulassen: Der Rahmen einer Veranstaltung zum Gedenken an Verfolgte des Naziregimes werde dazu missbraucht, gegen die Partei Die Linke zu hetzen und diese mit der NPD "in ein und dieselbe extremistische Ecke" zu stellen. Zudem sei Jesse auch als Person untragbar, weil er für die Zeitschrift "Mut" arbeite und sich antisemitisch äußere.

Vorstoss von elf linken Gruppierungen


Jesses Vortrag ist Teil einer Vortragsreihe zum Ausstellungsprojekt "Deportation nach Gurs 1940. Das Schicksal der Badener jüdischen Glaubens in der Nazi-Zeit". Die Aufforderung zu Jesses Ausladung ist unterzeichnet von elf linken Gruppierungen, darunter der Linke-Kreisverband, die DGB-Hochschulgruppe, die Verdi-Jugend Südbaden und die Studierendenvertretung Usta der Pädagogischen Hochschule. Auch in der Vollversammlung der Studierenden der Universität am Donnerstagabend wurde mit großer Mehrheit ein Antrag contra Jesse verabschiedet.

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Der parteilose Jesse, nach eigener Aussage Anhänger Helmut Schmidts und Doktorvater vieler Sozialdemokraten, war vom Bundesverfassungsgericht ehemals als Gutacher im NPD-Verbotsverfahren vorgesehen und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft. Gegen die nun erhobenen Vorwürfe verwahrt er sich entschieden, auch wenn sie ihn nicht überraschen: "Ich bin ja Extremismusforscher." Dass er die NPD für antidemokratisch halte, daraus habe er nie einen Hehl gemacht. Zwar vergleiche er Links- und Rechtsextremismus, aber er setze sie nicht gleich: "Dieser Vergleich polarisiert natürlich." Zu Jesses Kritikern zählt auch der renommierte Journalist Heribert Prantl ("Süddeutsche Zeitung"), der seine Bestellung zum NPD-Gutachter kritisierte und ihm vorwarf, Rechtsextremismus zu bagatellisieren. Der einstige "Süddeutsche"-Autor Jesse klagt darüber, dass er heute nicht mehr für die renommierte überregionale Tageszeitung schreiben dürfe. Was die Zeitschrift "Mut" betreffe, so sei diese in der Tat von 1971 bis 1983 vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft worden, und das zurecht. Danach habe aber eine komplette Wandlung stattgefunden. Das Heft stehe heute für eine weltanschauliche Pluralität und habe namhafte Autoren, darunter zum Beispiel den Historiker Peter Steinbach, wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte deutscher Widerstand in Berlin, der Freiburger Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde oder der 2009 verstorbene Lord Ralf Dahrendorf.

Jesse selbst bezeichnet sich gegenüber der BZ als "offenen, liberalen Menschen" und will am Mittwoch in der Freiburger Universität auf jeden Fall über seine Extremismus-Theorien reden. Jens Awe vom Studium Generale ist überrascht über die Vehemenz des linken Protests, auch wenn er gewusst habe, dass Jesse ein rotes Tuch für linke Gruppen sei. Die Veranstaltung – so der Stand am Freitagnachmittag – will er auf jeden Fall stattfinden lassen, auch wenn er besorgt ist, weil es am Ende des Protestschreibens heißt: "Wir werden nicht zulassen, dass Jesse eine Bühne für seine rechts-konservativ motivierte Pseudowissenschaft erhält." Nur wenn das Rektorat entscheide, dass es zu riskant sei, werde der Vortrag abgesagt.

Das Rektorat indes will nicht intervenieren und geht davon aus, dass im Vorfeld geprüft wurde, dass sich der Vortragende auf der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewege, so Unisprecher Rudolf-Werner Dreier. Jens Awe findet, dass die Gegner, sollten sie den Vortrag mit anschließender Diskussion verhindern, genau das bestätigen würden, was man unter weichem Extremismus verstehe. "Das hielte ich für ein starkes Stück." Die Polizei will den Vortrag wenn nötig schützen, sagt Polizeipressesprecher Karl-Heinz Schmid: "Wir beobachten das Ganze."

 

Eith und Wette gegen Ausladung


Jens Awe findet die Vorwürfe ungerechtfertigt. Auch der Freiburger Politologe Ulrich Eith hält eine Ausladung für nicht angemessen. Jesse greife sehr konservative Themen auf, sei aber kein Wissenschaftler, der außerhalb des demokratischen Spektrums agiere. "Ich kenne Eckhard Jesses wissenschaftliche Arbeiten und halte ihn für unverdächtig, rechtsextreme Positionen zu vertreten." Der Historiker Wolfram Wette, der im Dezember selbst einen Vortrag in der Reihe hält, nennt Jesse zwar "einen konservativen Hardliner" und begrüßt die Wachsamkeit der Studierenden, ihn auszuladen hält er gleichwohl für falsch. "Darüber zu reden ist das beste konfliktschlichtende Instrument." Das findet auch Monika Rappenecker, Studienleiterin an der Katholischen Akademie: "Ich halte Jesses Thesen für diskutabel und habe kein Problem damit zu sagen: ‘Lasst es uns diskutieren.’"