1. Mai-Demo: Freispruch nach 14 Monaten

Erstveröffentlicht: 
01.07.2010

Ulm.  Die Berufungskammer des Landgerichts Ulm hob ein Urteil des Amtsgerichts auf, das einen 32-jährigen Demonstranten wegen Landfriedensbruch verurteilt hatte.

Die Stadt Ulm wird für einen 32-jährigen Studenten aus Freiburg für immer in schlechter Erinnerung bleiben. So jedenfalls äußerte sich der Mann diese Woche nach einer Gerichtsverhandlung, die für ihn zwar mit einem Freispruch endete, aber auch sehr belastend gewesen sei. Die Berufungskammer hat nach fast vierstündiger Verhandlung das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben, das den jungen Mann drei Monate zuvor wegen Landfriedensbruchs zu insgesamt 400 Euro Geldstrafe verurteilt hatte.

Hintergrund ist der juristisch durchgesetzte Aufmarsch von knapp 1000 Rechtsradikalen und die Gegendemonstration von rund 20.000 Menschen in der Ulmer Innenstadt am 1. Mai vergangenen Jahres. Vorbeugend hatte die Polizei damals an mehreren Stellen in der Stadt verdächtige Personen eingekesselt, die als schwarzer Block bezeichnet werden, ohne das dies näher definiert wäre.

Einer dieser Einkesselungen fand in der Sattlergasse statt, weit weg vom Demozug der Jungnationalen, und direkt am Weinhof, wo der DGB als Hauptveranstalter zu einer Auftaktkundgebung geladen hatte. Zwar wollte der Veranstaltungsleiter nicht, dass der schwarze Block dem Demozug vorausgehe, hatte aber nichts dagegen, dass sich diese Gruppe dem Ende der Kundgebung anschließe.

Doch teilnehmen konnte an der Gegendemonstration gegen Rechts vom so genannten Schwarzen Block niemand mehr. Die Polizei hielt die etwa 50 Personen mehrere Stunden lang fest, und beschnitt damit deren Recht auf die im Grundgesetz garantierte Versammlungsfreiheit, wie Verteidiger Thomas Oberhäuser sagte.

Anstatt aber über die Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes zu entscheiden – die Klage liegt seither unbearbeitet beim Verwaltungsgericht Sigmaringen – bekamen die eingekesselten Personen Strafbescheide. So auch der 32-jährige Student aus Freiburg, der sich keiner Schuld bewusst ist.

Tatsächlich lag dem Gericht ein von der Polizei angefertigtes Videoband als Beweis vor, auf dem nicht der kleinste Hinweis auf eine eventuelle Straftat zu erkennen sei, wie Richter Thomas Keckeisen sagte. Auch die vorgeworfene Vermummung vermochte der Richter nicht zu erkennen: „Seine Vermummung besteht aus einer Schildmütze und einer Sonnenbrille. So laufe ich auch herum.“ Er machte früh deutlich, dass er über die polizeilichen Ermittlungen nicht erfreut war und kritisierte zudem, dass die Polizei dem Gericht nicht alles Material vorgelegt habe. Keckeisen: „Da kann man schon in Zweifel geraten.“

Die hatte vor allem Verteidiger Oberhäuser, der ebenfalls darauf verwies, dass auf dem Beweisfilm eine friedliche Gruppe junger Menschen zu sehen sei, von der keinerlei Gewalt ausgegangen sei. Die Demokratie lebe vom Mitmachen, sagte er in seinem Plädoyer. Wenn Mitmachen aber wie in diesem konkreten Fall zu einer so ungerechtfertigten Anklage und Verurteilung führe, müsse man Angst um die Demokratie haben. Er forderte Freispruch, wie auch Staatsanwalt Kurt Bittelmeyer, der die besagten Filmaufnahmen zum ersten Mal in dem Verfahren gesehen hatte.