Zum Urteil gegen das "Gefangenen Info"

Titelblatt des Gefangenen Info #355

Offene Gesinnungsjustiz - Am 19. April wurde die Zeitschrift vom Amtsgericht Berlin zu einer Geldstrafe von 800 Euro verurteilt. Dazu eine erste Einschätzung der Redaktion.

Nicht Verbote, Strafen und Zensur bestimmen unsere Politik, sondern die Notwendigkeiten revolutionärer Praxis.


Am 21. April 2010 fand vor dem Amtsgericht Tiergarten der Prozess wegen der Verleumdungsklage gegen das Gefangenen Info statt. Der presserechtliche Verantwortliche des Gefangenen Infos, Wolfgang Lettow, wurde zu einer Strafe von 80 Tagessätzen á 10 € bzw. einer Geldstrafe in Höhe von 800 € verurteilt. Wir sind in Berufung gegangen, wodurch der Prozess auf der nächsthöheren Instanz - dem Landgericht - fortgesetzt werden wird. Wir bedanken uns an dieser Stelle herzlichst bei allen solidarischen Leserinnen und Lesern, Genossinnen und Genossen, für die zahlreichen Spenden, die bei uns bisher eingegangen sind. Vor dem Prozess hat es Stimmen und Einschätzung gegeben, welche den Ausgang unseres Prozesses mit dem Ausgang des Prozesses gegen das Onlineportal „Scharf-Links“ verglichen. Es handelte sich um dasselbe Konstrukt, nur die Höhe des Strafbefehls varierte, da es sich bei „Scharf-Links“ um 12.000€ handelte und bei uns um 2.800€.

Ihre Mär von Rechtsstaatlichkeit


Da es sich bei diesem Prozess - wie alle anderen vorangegangenen Prozesse gegen das Gefangenen Info auch - um einen politischen Prozess handelte, bei dem uns der politische Sachverhalt in einer juristsichen Verpackung serviert wurde, spielten auch die „rechtlichen“ Aspekte eine eher nebensächliche Rolle. Wir mussten dem politischen Angriff politisch begegnen, anstatt uns auf ihrem Terrain - den Gerichten der Klassenjustiz - in juristischen Fragen zu verfangen und uns an ihnen abarbeiten zu wollen. Der Verlauf des Prozesses, die eindeutigen Bemerkungen der Staatsanwältin hinsichtlich unserer politischen Prozesserklärung und das vorläufige Resultat haben schließlich bewiesen, das von uns eine unterwürfige Entschuldigung erwartet wurde. Aber wofür sollen wir um Gnade winseln? Dafür, dass wir uns für jene einsetzen, die durch ihre „Terrorlisten und -Gesetze“ entrechtet werden? Oder dafür, dass wir Isolationshaft und Folter anprangern? Dafür, dass wir uns die Frechheit herausnehmen, nicht alles so hinzunehmen, sondern auch kritisch zu hinterfragen? Nun, den vorsitzenden Richter beim Amtsgericht Tiergarten habe der Rote Hilfe-Beitrag „Blind in Beugehaft“ (GI, Nr. 348) zumindest beim Lesen der Richter-Zitate „vom Stuhl gehauen“. Ehrlich!


Uns stellt sich die Frage, ob den Richter auch weitere Fakten über das staatliche Vorgehen in Stuttgart-Stammheim und Düsseldorf vom Stuhl zu hauen vermögen. Wenn sich ein Richter so sehr darüber erbosen kann, dass seine KollegInnen evtl. im Wortlaut nicht richtig wiedergegeben werden, wieso erbosen den selben Richter dann nicht die willkürlichen Maßnahmen bei den Staatsschutzprozessen, die Isolationshaft, die Anhörungen von Folterern aus der Türkei, etc.? Wir sprechen hierbei von elementarsten Grund- und Menschenrechten, die rechtlich ausgehebelt werden. All das sind nämlich Fakten. Denn im Umkehrschluss bedeutet es eindeutig, dass alle anderen im Gefangenen Info enthaltenen Informationen der Wahrheit entsprechen. Hier wird mit faschistischen Staatsapparaten zusammengearbeitet, Folter praktiziert, Menschenleben vernichtet, während sich ein Richter in seiner Ehre gekränkt fühlt, weil er falsch zitiert worden sei. Auch wenn wir unsere Quellen für vertrauenswürdig halten, stellt sich uns im Kern der Angelegenheit ebenso wenig die Frage, mit welchen Worten die Beugehaft gegen Nuri Eryüksel ausgesprochen wurde. Wir hinterfragen diese Prozesse und die oben geschilderten Umstände nämlich von Grund auf. Das Ausklammern des zugrunde liegenden, politischen Sachverhalts bedeutet lediglich, sich nicht mit dem ganzen Umfang der Angelegenheit auseinandersetzen zu wollen, was ein Erfassen der Lage unmöglich macht. Es wirkt wie ein Witz, sich über Zitate von Richtern streiten zu wollen, wenn uns doch klar ist, dass das staatliche Vorgehen gegen RevolutionärInnen und Linke Ausmaße annimmt, die nicht mehr hinnehmbar sind, sondern existenziellen Widerstand erfordern!

Wir waren auf unsere Haltung bedacht, nicht auf den Ausgang des Prozesses


Auch wenn uns vor Prozessbeginn klar war, dass dieser Prozess in erster Linie einen finanziellen Schaden anrichten und unsere MitarbeiterInnen einschüchtern und abschrecken sollte, ging es uns nicht darum, unsere „Unschuld“ zu beweisen oder ohne eine Strafe davonzukommen. Viel wichtiger war für uns, vor dem Staatsschutzapparat nicht einzuknicken und unsere Erfahrungswerte zu erweitern.Deshalb haben wir eine politische Erklärung verfasst, die Sinn und Zweck der Klage und des damit verbundenen Prozesses erläuterte. In unserer Prozesserklärung hieß es eshalb: „(...) Die Gründe für die Anklageerhebung sind, wie bei dem Verfahren gegen das Internetportal „Scharf-Links“, die Verbreitung des Prozessberichts „Blind in Beugehaft“ in unserer Ausgabe Nr.348 vom Juli letzten Jahres. In dem inkriminierten Text wurde ein Verhandlungstag im §129b-Prozess gegen den Gefangenen Faruk Ereren, dem inzwischen die Auslieferung in die Türkei droht, beschrieben. Nuri Eryüksel hatte es abgelehnt, über die Strukturen der türkischen Exilorganisation Aussagen zu machen, weil er sich dabei selber belasten könnte. Das Gericht bestand aber auf seiner Zeugenaussage und erließ dann die Beugehaft, die noch im Gerichtssaal vollstreckt wurde. (...) Die Türkei ist ein wichtiger Partner für das expansive Nato-Bündnis. Die meisten Waffen werden übrigens von der BRD nach dort exportiert, was auch zeigt dass die BRD deswegen auch ein eigenes vitales Interesse hat, ihrer Bündnispartnerin
dort und hier den Rücken frei zu halten. Von 2000-2007 wehrten sich tausende türkische und kurdische Gefangene im Hungerstreiks gegen die Folter „made in Stammheim“.Über 120 tote Gefangene in diversen anatolischen Knästen kamen dabei ums Leben. Schon während des Hungerstreiks verlangte die Türkei von ihren Verbündeten das Verbot der Öffentlichkeitsarbeit in Europa. (...) Neben der redaktionellen Arbeit musste die Existenz und damit das Fortbestehen des Infos auch immer vor dem Gericht verteidigt werden, um damit das Leben vor allem der Gefangenen aus der RAF vor staatlichen Übergriffen hinter Gittern zu schützen. Heute sind es vor allem Eingesperrten aus türkischen und anderen migrantischen Zusammenhängen, die diesen Sonderhaftbedingungen und -gesetzen ausgesetzt sind. Es bedeutet immer Kampf auf allen diesen Ebenen, den Weggesperrten einen unzensierten Raum zu geben für ihre politischen Vorstellungen bis hin zur ihrer Freiheit! (...)“

Das Gefangenen Info braucht eure  Unterstützung und Solidarität


Im Sommer steht uns vor dem Landgericht der Berufungsprozess bevor. Wir werden unsere Publikation, die ein Sprachrohr für unsere eingesperrten Genossinnen und Genossen darstellt, weiterhin verteidigen und uns dafür einsetzen, dass sie bestehen bleibt. Und dafür benötigen wir eure Unterstützung.

Interview zum Prozessausgang als Podcast beim Webradio Radio Flora: www.radioflora.de

Redaktion des Gefangenen info

 

Dieser Artikel ist in der neuen Ausgabe 355 erschienen.

Weitere Themen u.a.:

- 2 Stellungnahmen von Ehemaligen aus der RAF zur aktuellen Diffammierungskampagnen und Verfahren

- Zu den Aktionstagen am 19.Juni

- Briefe aus den Knast