Hartung fordert

Erstveröffentlicht: 
26.06.2017
Wer ist der Mann, der im Namen der AfD täglich in Rundmails die Weltlage kommentiert? Ein Hausbesuch

 

In den Minuten, in denen dieser Text zu entstehen beginnt, trifft wieder einmal eine Mail von Thomas Hartung ein. Es ist Montag, 13.49 Uhr, und Hartungs Mail trägt den Betreff "PM Wünschelrute". Er schreibt über eine eher belanglose Studie, die er für "Kaffeesatzleserei" hält. PM, das steht für "Pressemitteilung". Die "PM Wünschelrute" ist nicht die einzige Nachricht von Thomas Hartung, nicht in diesem Monat, nicht in dieser Woche, nicht an diesem Tag. Die Betreffzeilen seiner Mails lauten "PM Tampon", "PM Neger" oder auch "PM Dildo Dulig". Mal geht es um eine EU-Bade- gewässerrichtlinie, mal um einen Antrag der CDU im Ortsbeirat Planig (Bad Kreuznach), mal erteilt Hartung "grünen Forderungen nach einer Wickeltischpflicht auf Herrentoiletten eine klare Absage", dann wieder wird dem türkischen Ministerpräsidenten Rassismus vorgeworfen. Kaum etwas davon landet je in der Zeitung. Kaum ein Journalist zitiert daraus. Aber Thomas Hartung schreibt, jeden Tag wieder, an Hunderte deutsche Redaktionen. Er ordnet die Lage der Republik ein, so wie er sie sieht.

 

Wer ist dieser Mann?

 

Erst einmal ein 55-jähriges Mitglied im Landesvorstand der AfD Sachsen. Thomas Hartung, so viel steht fest, sieht seine Aufgabe darin, dem Land zu erklären, wie die AfD über das Land denkt. Manche seiner Meldungen klingen harmlos, vernünftig. Andere sind nicht nur provokant, sondern auch geschmacklos. Zwischen diesen Polen bewegt sich Thomas Hartung, er ist ein Grenzgänger, auch im echten Leben.

 

Er sagt zu, als man ihn fragt, ob man einmal dabei sein dürfe, wenn seine berüchtigten Pressemitteilungen entstehen.

 

Heute: "PM Programmieren_Basisfähigkeit".

 

Man solle um sieben Uhr bei ihm sein, hatte Hartung gesagt, in seiner Zweiraumwohnung am Rande Dresdens. Denn er arbeite von zu Hause aus.

 

Hartung ist promovierter Germanist, in den Neunzigern arbeitete er als Journalist, von 2002 an bildete er sogar Journalisten aus. Er war immer politisch, regte sich über vieles auf, aber erst die AfD war es, die ihm eine Plattform gab. Bei der er seine Haltungen wiederfand. Die ihn an die Oberfläche des politischen Diskurses spülte. Nun arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Sachsens AfD-Fraktion, macht Pressearbeit für den Landesverband. Und verschickt seine Meldungen.

 

Männer wie Thomas Hartung gibt es einige in der AfD: Figuren, die in den Debatten der Republik kaum Bedeutung hatten, aber im Sog dieser Partei Bedeutung erlangten. Gefühlte oder echte. Figuren, die aber in Monaten wie diesen, in denen die AfD erst einmal nicht mehr täglich in den Zeitungen steht, plötzlich Angst haben, ihren mühsam erarbeiteten Einfluss schon wieder zu verlieren.

 

Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, als Hartung die Tür öffnet. Er hat ein Buddha-haftes Lächeln und bittet in sein Arbeitszimmer voller Bücher. Auf seinem Tisch liegen zwei Decken – eine zur Zierde und eine durchsichtige aus Plastik, zum Schutz der Zierdecke. Die Stühle tragen lachsfarbene Überzüge. Hier also entstehen sie: die Kommentare eines 55-Jährigen für Deutschland. Vor Hartung liegen mehrere Zeitungen: Süddeutsche, FAZ, Sächsische Zeitung, Dresdner Morgenpost, Bild. Seine Arbeit ist eine Art Scannen nach Anti-AfD. "Ich suche nach Meldungen, die im absoluten Widerspruch zum AfD-Programm stehen", sagt Hartung. Dann liest er. Ein paar Minuten später wird er sagen: "Hier haben wir doch schon was." Angela Merkel hat gesagt, dass Programmieren eine Basisfähigkeit sein müsse. Das findet Hartung abwegig.

 

Darüber möchte er gerne schreiben. 

 

Auch die AfD ist eine Partei der Hierarchen


 

Aber ohne Rücksprache darf Thomas Hartung keine einzige Mail versenden. Auch die AfD ist eine Partei der Hierarchen. Um kurz vor neun bricht Hartung deshalb in den Landtag auf, um dort bei der "Presselage" mit ausgewählten Funktionären anwesend zu sein. Die Reporterin darf da nicht dabei sein, aber als er wiederkehrt von der Besprechung, lächelt er: Das Merkel-Thema ist durchgegangen, er kann loslegen. Zurück bei ihm zu Hause: Um exakt 14.07 Uhr klickt Hartung auf "senden". "PM Programmieren_Basisfähigkeit", deutschlandweit im Postfach der Journalisten. Sein größter Erfolg, sagt er, sei der "Dildo-Dulig" gewesen. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig hatte einen Vibratorenhersteller mit einem Innovationspreis ausgezeichnet. Darüber machte sich Hartung lustig, schrieb: "Wer die Entwicklung eines lautlosen Vibrators für innovativ hält (...)", den Rest kann man sich denken. Kaum eine Redaktion habe sich das Thema entgehen lassen, erzählt Hartung. "Kopulieren statt masturbieren, dann klappt’s auch mit der Demografie", sagte er. Er ist der Germanist, der gerne auch mal rustikaler formuliert.

 

An diesem Tag, bei Hartung zu Hause, ist die Pressearbeit vorbei. Das Problem, die Tragik seiner Mails, ist, dass sie immer seltener aufgegriffen werden. Seine Meldungen schaffen es höchstens in die Glosse der Sächsischen Zeitung . Darüber spricht man mit ihm, lange nach der Begegnung in seiner Wohnung. Hartung sagt, dass es ihn nicht anfechte, wenn die Meldungen kaum einer mehr aufgreife. Er sei gar nicht so böse, dass die AfD jetzt "die Bälle flach" halte. Er habe die Hoffnung, dass im Bundestagswahlkampf das Interesse wieder steigt.

 

Einer größeren Karriere stand er ohnehin selbst im Weg. Im Jahr 2014 wäre Thomas Hartung fast in den Landtag gekommen, er stand auf der Landesliste der AfD auf Platz zwei hinter Frauke Petry. Er war der starke Mann hinter der starken Frau, besuchte Petry daheim, schrieb mit ihr am Wahlprogramm. Eines Tages aber empörte er sich bei Facebook darüber, dass ein Mann mit Down-Syndrom in Spanien Lehrer ist: "Was sagt uns das: Sei nur blöd genug, reise in der Welt herum, die Dummen wenden sich schon ganz allein dir zu." Darauf folgte einer der ersten Shitstorms, die die junge AfD erlebte. In einer sechsstündigen Sitzung entschied der Landesvorstand: Hartung muss sich entschuldigen – und zurücktreten. Er verzichtete auf seinen Listenplatz.

 

Hartung blieb in der AfD. Weil er mit der Pegida-Bewegung sympathisierte, bot er dort seine Hilfe an: Er schrieb, im Verborgenen, Pressemitteilungen für die Protestgruppe. Als Autor gab er sich nicht zu erkennen. Er war nun der Grenzgänger, irgendwo zwischen AfD und Pegida.

 

Das war die Zeit, in der Cordula Ratajczak sich fragte, ob sie noch mit Thomas Hartung befreundet sein kann. Ratajczak, 52, ist Journalistin, sie lernte Thomas Hartung 1999 kennen, er war ihr Lehrer, brachte ihr das Fernsehmachen bei. "Wir haben uns gut verstanden", sagt Ratajczak, "man kann sich mit Thomas wunderbar unterhalten." Er habe sich damals schon über Sachsens Regierung beschwert, einen "permanenten Frust" gespürt. Sie selber ist Mitglied der Grünen, aber es freute sie, als Hartung der AfD beitrat: "Ich fand es gut, dass er aufhört zu resignieren; anfängt, Politik mitzumachen." Dann aber, im Dezember 2014, bekam Ratajczak einen Brief von Hartung, 30 Seiten lang. Sie nennt das heute "den Weihnachtsschock". Hartung erklärte ihr darin, dass und warum er bei Pegida mitläuft.

 

Menschen wie Hartung kann es zerreißen im Lauf ihrer Zeit bei der AfD: Ihre Parteimitgliedschaft belastet häufig ihr bürgerliches Leben. Und innerhalb der AfD werden sie auch immer wieder infrage gestellt. Die Bindung etwa zu Frauke Petry hat Hartung wohl weitgehend verloren, er sieht die AfD-Chefin nur selten, und Mails bekommt er eher von der Mutter Frauke Petrys, die auch AfD-Mitglied ist und Hartung regelmäßig Feedback zu seinen Texten gibt. Einen Platz auf der Bundestagsliste verwehrte ihm die AfD. Was, wenn die ganze schöne Aufmerksamkeit für ihn jetzt bald schon wieder vorbei ist?

 

Ein Treffen noch, im Frühsommer. Die Zeiten sind hart geworden für das Petry-Lager, und Hartung wird diesem weiter zugerechnet. "Verbittert bin ich nicht", sagt er, "nur verblüfft vom innerparteilichen Hass." Der Vorwurf, den Hartung anderen Parteien macht, "etabliert" und "machtversessen" zu sein, den hört er nun selber. "Es gibt Leute in der Partei", sagt er, "die gehen über Leichen, die spinnen Intrigen, hier sind Dinge im Gange, die ich nur verabscheuen kann." Wird er weitermachen in der AfD? Das hat er sich vor Wochen noch selber gefragt. Derzeit sieht es danach aus. Als dieser Text fertig ist, liegt eine neue "PM" von Thomas Hartung im Postfach.