Der Prozess geht in die Nachspielzeit

Erstveröffentlicht: 
29.06.2017

Der NSU-Prozess steht kurz vor den Plädoyers – und kommt trotzdem nicht voran. Ein Manöver von Beate Zschäpes Anwälten könnte das Verfahren erneut verlängern.

 

Der Satz des Vorsitzenden Richters klingt prophetisch, als sage er das baldige Ende des NSU-Prozesses voraus: „Die Hauptverhandlung befindet sich in der Endphase“, verlas Manfred Götzl am Donnerstag aus einer Gerichtsentscheidung. Wenn da nur nicht die vielfältigen Wünsche von Verteidigern und Nebenklägern wären. Mittlerweile, teilte Götzl mit, werde der Prozess „im Wesentlichen nur noch durch die Anträge der Verfahrensbeteiligten gesteuert“.

 

Subtil bestätigte Götzl, was schon klar scheint: Für das Gericht ist das seit über vier Jahren laufende Verfahren längst erledigt. Wöchentlich aber wollen Verteidiger neue Zeugen laden oder Dokumente verlesen lassen. Solche Anträge können die Richter annehmen oder ablehnen, nur gründlich beschäftigen müssen sie sich damit – sonst laufen sie Gefahr, dass das irgendwann gefällte Urteil zur Revision beim Bundesgerichtshof landet.

 

Und so passiert es Sitzung um Sitzung, dass das Ende der Beweisaufnahme scheinbar ganz kurz bevorsteht, dass folglich in Kürze die Plädoyers beginnen müssten. Aber so einfach ist es nicht. Während in Berlin bereits der zweite Untersuchungsausschuss seinen Abschlussbericht vorstellt, läuft die juristische Aufklärung noch immer.

 

Der letzte große Brocken davon zieht sich seit weit mehr als einem halben Jahr durch den Prozess: das Gutachten über Beate Zschäpe. Erstattet hat es der Psychiater Henning Saß. Weil seine äußerst negative Einschätzung den Boden für die Höchststrafe gegen die Angeklagte bereitet hat, gehen die Verteidiger der Hauptangeklagten mit allen Mitteln dagegen vor. Zuletzt erbaten sie sich eine Bedenkzeit von einem ganzen Monat, um den Sachverständigen einer kritischen Befragung zu unterziehen.

 

Die Zeit gab ihnen der Richter. Als Saß nun erneut im Zeugenstand Platz nahm, ging es schnell: Zschäpes Anwalt Wolfgang Heer erklärte knapp, es gebe keine Fragen mehr an den Psychiater.

 

Zeitschinderei war in diesem Fall wohl nicht im Spiel, schließlich ist der Fall ernst: Saß hat Zschäpe als voll schuldfähig für die Mittäterschaft bei den Morden, Bombenanschlägen und Banküberfällen eingestuft. Einem Gespräch mit ihm, der sogenannten Exploration, verweigerte sich die Angeklagte stets. Saß stützte sich darum auf die Akten, die zahlreichen Aussagen von Weggefährten und Nachbarn im Gericht und auf Zschäpes Verhalten in der Verhandlung.

 

Ihren Beteuerungen, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hätten sie nie in die rassistischen Taten eingeweiht, schenkte er erkennbar keinen Glauben. Ebenso der Behauptung, sie habe „entsetzt“ reagiert und sich strikt gegen die Morde ausgesprochen. Sah sich Zschäpe als emotionale Geisel der beiden Männer, zeichnete Saß das Bild einer selbstbewussten Frau, die sich keine Vorschriften machen ließ – und weiter zu Straftaten fähig ist. Damit legte er dem Gericht auch nahe, die Sicherungsverwahrung zu verhängen.

 

Als Teil ihrer Abwehrstrategie beauftragten die Zschäpe-Anwälte einen anderen Psychiater, den Bochumer Pedro Faustmann, die Expertise „methodenkritisch“ durchzusehen. Faustmann war denn auch der Meinung, etliche Fehler im Gutachten des seit Jahrzehnten erfahrenen Sachverständigen entdeckt zu haben. Gelassen widerlegte Saß die Kritik in einer Stellungnahme Punkt um Punkt.

 

Statt eine neue Konfrontation einzugehen, zogen die Verteidiger Saß‘ Fähigkeiten in Zweifel. Anwalt Heer sagte, der Sachverständige habe sich von der Methodenkritik offenbar „persönlich angegriffen“ gefühlt und darum „trotzig“ und oberflächlich dagegen verteidigt. Die Verteidiger behielten sich vor, in der kommenden Woche die Bestellung eines weiteren Gutachters zu beantragen.

 

Nicht auszuschließen, dass sich die Anwälte während ihrer Bedenkzeit im vergangenen Monat genau damit beschäftigten: einen möglichen neuen Sachverständigen zu suchen. Es wäre der mittlerweile fünfte Psychiater, der sich mit dem Seelenheil der Angeklagten befasst. Willfährige Experten, die Gutachten genau nach Kundenwunsch erstatten, gibt es reichlich – das hat sich im Laufe dieses Verfahrens gezeigt. Ebenso, dass die Beschäftigung mit Gutachtern eine zeitraubende Angelegenheit ist.

 

Die Richter allerdings interessieren sich nicht für weitere Stellungnahmen. Prüfen müssen sie die Möglichkeit trotzdem. Auch mit dem Prozessende vor Augen gibt es noch Beweisanträge, die durchkommen: So berichten in der kommenden Woche zwei Polizisten zu den Wohnverhältnissen des NSU-Trios in ihrer ersten Wohnung in Zwickau. Diskussionsstoff vor Gericht gibt es genug. Wann die Endphase endet, das weiß niemand so genau.