Zahl der Anzeigen gegen Sachsens Polizisten auf Rekordhoch

Erstveröffentlicht: 
13.06.2017

Wenn Zivilisten mit der Polizei aneinander geraten, resultieren daraus in Sachsen immer häufiger auch Anzeigen gegen die Beamten. Zu Verurteilungen oder öffentlichen Anklagen kommt es aber laut einer Kleinen Anfrage aus dem Landtag nur selten.

 

Dresden. Nie wurden mehr sächsische Polizisten wegen Körperverletzung im Dienst angezeigt als im vergangenen Jahr. Das geht aus einer Kleinen Anfrage des Landtagsabgeordneten Valentin Lippmann (Grüne) hervor. Der neuen Statistik zu Folge wurden von Anfang 2016 bis Mai dieses Jahres 425 Beamte beschuldigt, im Dienst unverhältnismäßig Gewalt angewendet zu haben. Zum Vergleich: Im vorangegangenen Zeitraum waren es nur 274 Fälle – ein Anstieg um 55 Prozent. Nur dreimal kam es dabei zu einer öffentlichen Anklage oder gar zu einer Verurteilung. Die überwältigende Mehrheit der Verfahren wurde eingestellt oder dauert an.

„Diese Zahlen hinterlassen den Eindruck, dass Polizisten häufiger über die Stränge schlagen und dabei kaum Strafverfolgung zu befürchten haben“, schlussfolgert Lippmann mit Blick auf die vor wenigen Tagen veröffentlichte Antwort der Landesregierung und zieht einen Vergleich zur zivilen Bevölkerung: „Statistisch gesehen enden hier 20 Prozent der Ermittlungen mit einer öffentlichen Anklage oder einem Strafbefehl. Bei der Polizei sind es im Bereich Körperverletzung nur 0,7 Prozent. Dieses Missverhältnis kann man keinem Menschen erklären.“

Lippmann fordert Maßnahmen von Innenminister Ulbig

Laut dem parlamentarischen Geschäftsführer der Grünen gibt es verschiedene Gründe für die niedrige Quote: „Wir brauchen in Sachsen endlich eine wirklich unabhängige Beschwerdestelle und eine personell gut ausgestattete interne Ermittlung. Das ist anspruchsvolle Arbeit, mit der man sich bei den Kollegen keine Freunde macht.“ Präventiv könne eine andere Maßnahme helfen: „Ein Teil der Verfahren wird eingestellt, weil der Tatverdächtige nicht identifiziert werden kann. Dieses Problem wäre mit einer eindeutigen Kennzeichnungspflicht deutlich kleiner. Aber bei diesem Thema hängt Sachsen weiter hinterher“, bemängelt Lippmann. Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) fordert er auf, „Maßnahmen zu ergreifen, um die sächsische Polizei zu einer bürgernahen, rechtsstaatlich handelnden Institution zu entwickeln“.

Während Lippmann schockiert auf die neueste Statistik reagiert, scheint in Ulbigs Ministerium weder die gestiegene Zahl der Anzeigen noch die niedrige Quote der öffentlichen Anklagen für Aufregung zu sorgen. „Wir haben vollstes Vertrauen in die Justiz“, sagte Sprecher Jan Meinel. Es komme auf die Qualität und nicht die Quantität der Beschuldigungen an. Anzeige könne schließlich jeder so oft erstatten, wie er will. Das allein sage nichts über den Gehalt aus. Über die Gründe für den aktuellen Trend ließe sich aus methodischen Gründen aktuell keine seriöse Aussage treffen.

Chef der Polizeigewerkschaft hält eindeutige Kennzeichnung für unnötig

Nicht kommentieren wollte Meinel die Grünen-Forderung nach einer eindeutigen Kennzeichnungspflicht für Polizisten – ein Vorschlag, der auch bei Hagen Husgen, Landesvorsitzender der sächsischen Polizeigewerkschaft, keinen Anklang findet. Die aktuelle Kennzeichnung hält er für absolut ausreichend: „Ich habe noch keinen Fall erlebt, bei dem das ein Problem gewesen ist.“ Warum nur 0,7 Prozent der Anzeigen gegen Polizisten tatsächlich vor Gericht landen, weiß auch Husgen nicht. Häufig sei die Beschuldigung eines Polizisten nur die Gegenmaßnahme eines Bürgers, der sich für die eigene Anzeige revanchieren will. Eines stehe für ihn hingegen fest: „Bei der Polizei wird nichts unter den Tisch gekehrt.“

Insgesamt gab es laut der Statistik im genannten Zeitraum 948 Anzeigen gegen sächsische Polizisten. Dabei handelte es sich mit 425 Fällen meist um Beschuldigungen wegen Körperverletzung, gefolgt von 102 Anzeigen wegen Nötigung sowie 89 Verfahren wegen Strafvereitelung im Amt. Elf Anzeigen mündeten schließlich in einer öffentlichen Anklage oder einem Strafbefehl. Die Landtagsfraktion der Grünen erfragt die Daten routinemäßig in regelmäßigen Abständen.

Von Anton Zirk