Gollwitz’ besorgte Bürger

Erstveröffentlicht: 
08.06.2017

Kaum ein Thema hat die »Jungle World« so sehr begleitet wie der Rechtsextremismus in seinen unterschiedlichsten Facetten. Die Kritik an völkischen Protesten, wie sie heute unter anderem von Pegida veranstaltet werden, war schon ein wichtiger Streitpunkt bei der Spaltung von der »Jungen Welt« 1997.

 

 

In der 20jährigen Geschichte der Jungle World galt der Berichterstattung über die extreme Rechte besonderes Augenmerk. Die Autoren der Zeitung verließen die eingeübten Rituale der Traditionslinken und kamen so der Realität oft näher als diese. Dass Nationalismus und Antisemitismus dem »Volk« eben nicht wesensfremd sind, gehörte zu ihren Gründungseinsichten.

 

»Pressegeier über Gollwitz« lautete eine Schlagzeile in der Jungen Welt, an der sich die Spaltung der Linken in Freunde und Kritiker des Volkes ablesen ließ, die zur Gründung der Jungle World geführt hatte. 1997 war es in dem brandenburgischen Örtchen zu Protesten der Einheimischen gegen die Unterbringung jüdischer Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion gekommen. Während ein Teil der Linken um Verständnis für die Bevölkerung warb und in den Protestierenden hauptsächlich Opfer des Kahlschlags nach der Wende sah, thematisierten andere den offensichtlichen Fremdenhass und Antisemitismus.

 

Die ehemalige FDJ-Zeitung Junge Welt schoss sich auf die Berichterstattung westlich orientierter Medien ein. Diese, so hieß es, wollten mit der Diffamierung der Bevölkerung als Antisemiten lediglich »sozialen Widerstand« verhindern. Aufgrund solcher Positionen war kurz zuvor während eines Arbeitskampfs in der Jungen Welt die Jungle World gegründet worden. Fast zwei Jahrzehnte vor Pegida stritt die Linke also über den richtigen Umgang mit dem Alltagsrassismus der Abgehängten. Dabei ging es auch um unterschiedliche Einschätzungen der gesellschaftlichen Verhältnisse in der untergegangenen DDR.

 

 

Wer die Jungle World las und für sie schrieb, vermisste weder ein »sozialistisches Vaterland«, noch bejubelte er dessen Verschwinden im schwarz-rot-goldenen Fahnen- und Warenmeer. Undogmatische Linke hatten schon vor der Wende mit dem Autoritätsmarxismus im Osten nicht viel anfangen können, wussten aber auch, dass die Grundlagen der vergangenen Barbarei nicht mit dem Mauerfall verschwunden waren. Kapitalistische Wertschöpfung ist kein Ponyhof, anstelle des verheißenen Paradieses am »Ende der Geschichte« war entsprechend mit einer Renaissance von Nationalismus und Antisemitismus in einer ganz der Konkurrenz verschriebenen Welt zu rechnen. Dabei fiel der Blick auf den Faschismus nicht so eindimensional aus, wie ihn zuvor diverse Parteilinien festgelegt hatten. Der Faschismus war nicht einfach nur eine »terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals«. Der vielbeschworene »kleine Mann« trat darin keineswegs nur in der Rolle des Opfers auf.

 

+In den Jahren nach der sogenannten Wiedervereinigung fand antifaschistische Politik unter neuen Bedingungen statt. Die Wendepogrome von Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda und ähnliche Ereignisse sollten sich als Menetekel des kommenden Jahrzehnts erweisen. Die Jungle World beobachtete die sich zuspitzenden Verhältnisse von Beginn an kritisch. Dabei sah sie oft genauer hin als Behörden und Zivilgesellschaft.


Als 1997 Neonazis gegen eine Antifa-Demonstration in Saalfeld mobilisierten, konnte man in der Zeitung bereits den Namen Tino Brandt lesen. Der Neonazi koordinierte damals Aktivitäten und Medienarbeit in Thüringen. Jahre später, im Zuge der NSU-Affäre, wurde der Name bundesweit bekannt. Gute Kontakte der Redaktion zur Antifa hatten sich ausgezahlt, es erwies sich – wieder einmal – als Fehler, den offiziellen Stellen Glauben zu schenken. Die waren anders orientiert. Wie Korinna Klasen in der Jungle World schrieb, plauderte Helmut Roewer, der Leiter des Thüringer Verfassungsschutzes, bei einer Podiumsdiskussion derart entspannt über die »guten Seiten« des »Dritten Reiches«, dass er von einer ganzen Reihe anwesender Neonazis stürmischen Applaus erntete. In seinen Amtsmitteilungen berichtete er lieber über den DGB und kritische Journalisten, als sich um das veritable Nazi­problem vor seinen Augen zu kümmern.

 

Das wurde nochmals deutlich, als sich die Behörden nach einem Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge in der Nacht des 20. April 2000 auf Linke als Täter konzentrierten. Antisemitismus sei ihm bei den Neonazis noch nicht aufgefallen, lautete die Begründung. In der Jungle World waren dagegen die völlig anderslautenden Erfahrungen des Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde nachzulesen. Kurz darauf wurden zwei bekannte Neonazis als Täter verhaftet. In ihrem Artikel über diese Farce wies Klasen bereits im Jahr 2000 auf einen Waffenfund bei Nazis vom »Thüringer Heimatschutz« hin und hob noch ein weiteres Ereignis hervor: »Nur wenig später tauchten Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, Mitglieder der Kameradschaft Jena, in den rechten Untergrund ab – obwohl sie von der Polizei observiert wurden. Bei einer Razzia in Jena waren TNT-Sprengstoff und andere Materialien zum Bombenbau gefunden worden.«  Tino Brandt, der Thüringer Heimatschutz und das Trio aus Jena, das waren die Zutaten, aus denen die NSU-Mordserie entstehen konnte. Roewer wiederum wurde zur Personifikation jener behördlichen Inkompetenz, wegen derer der NSU jahrelang unentdeckt bleiben konnte.

 

Das genaue Hinsehen verband die Berichterstattung der Jungle World mit antifaschistischen Magazinen, deren erfahrene Autoren ebenfalls Texte lieferten: Andreas Speit, Heike Kleffner, Alfred Schobert, Jean Cremet und viele andere. Vor allem beschränkte man sich nicht auf Neonazis, sondern hatte auch andere rechte Strömungen fest im Blick – von den Rechtspopulisten über die Neuen Rechten und Nationalkonservative bis hin zu den Reichsbürgern. Gleich nach ihrer Gründung konnte man in der Jungle World über das Institut für Staatspolitik lesen, bekam die Bibliothek des Konservatismus vorgestellt und wurde mit dem neurechten Flügelstreit zwischen Junger Freiheit und Sezession vertraut gemacht. Der internationale Blick reichte von Ungarn bis zur alternative right der USA und ließ auch den Islamismus als politischen Zwilling der Rechten nicht aus den Augen.

 

Antifaschismus in der Jungle World beschränkte sich nicht auf das Beobachten rechter Strukturen. Nach der Wende stand eine Standortbestimmung der vergrößerten Bundesrepublik an. Das westliche europäische Ausland blieb skeptisch und die europäischen Konfliktregionen waren für die Deutschen historisch belastetes Gebiet.

 

Geschichtspolitik spielte eine zentrale Rolle und begleitete Themen wie die Osterweiterung von EU und Nato, die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien und den ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken. Die Zeitung reflektierte das, zumal sich Deutschland anschickte, die Rolle des Geläuterten strategisch einzusetzen. Sie vergaß aber auch nicht die Fortexistenz der ganz alten Mythen. Deren Sprengkraft wurde deutlich, als das Hamburger Institut für Sozialforschung ab Mitte der neunziger Jahre seine Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht« ausrichtete. Die in zahlreichen deutschen Städten gezeigte Exposition über die Beteiligung regulärer Truppenverbände an Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges löste eine Debatte über ein verdrängten Thema aus.

 

Zudem entwickelten die Proteste gegen die Ausstellung eine immense Mobilisierungskraft, Angehörige der Frontjahrgänge, Nationalkonservative und Neonazis sahen das Andenken der deutschen Soldaten beschmutzt. Die 5 000 Menschen, die im März 1997 durch München marschierten, gehörten nicht nur der NPD, den Jungen Nationaldemokraten oder freien Kameradschaften an. Der Kampf um das saubere Geschichtsbild hatte zu einem Schulterschluss von Neonazis und Bürger­lichen geführt und ließ alte und junge Kameraden Schulter an Schulter protestieren. Einem völkisch empfindenden Volk ist eben nicht zu trauen, diese Erkenntnis hat die Berichterstattung der Jungle World von Beginn an ­geprägt.

 

Ein Gründungsmitglied jedoch sollte Jahre später eine komplette Kehrtwende vollziehen. Der ehemalige Leninist Jürgen Elsässer hatte sich nach dem Mauerfall enttäuscht vom Volk abgewandt und fand nach der Jahrtausendwende in rasantem Tempo zu diesem zurück. Schließlich sah man ihn auf der Pegida-Tribüne wieder. Als Herausgeber der rechten verschwörungsideologischen Postille Compact ließ er selbst die »Pressegeier« immer wieder aufsteigen: Ob beim Iran oder Björn Höcke, stets sah er die westliche »Lügenpresse« am Werk. Der Wiederholungszwang wurde schließlich zur Farce. 1997 war er Teilnehmer einer Podiumsdiskussion in Gollwitz scharf angegangen. Als sich 2015 in Sachsen-Anhalt ein ähnlich gelagerter Streit über ein Flüchtlingsheim abspielte, bot er nun selbst ein Podium zur Verteidigung der »Heimatschützer« auf. Als Titel wählte er: »Tröglitz unter Pressegeiern«.