Syrisches Militärgefängnis Sednaja: Todeslager "Mercedes-Stern"

Blick auf Sednaja
Erstveröffentlicht: 
07.02.2017

Ein neuer Amnesty-Bericht schildert, wie das Assad-Regime Tausende Syrer foltert und in Blitzverfahren zum Tode verurteilt. Offenbar soll ein Teil des Volkes gezielt vernichtet werden.

 

Am ersten Weihnachtsfeiertag 2016 machte Baschar al-Assad einen Familienausflug. Gemeinsam mit Ehefrau Asma und den drei Kindern Hafiz, Zein und Karim besuchte der Diktator das Kloster Unserer Lieben Frau von Sednaja, in dem sich Nonnen um rund 50 Kriegswaisen kümmern. Der Staatschef ließ sich von Kamerateams begleiten, die Assad als wohltätigen Landesvater inszenierten.

 

Wie wenig dieses Bild mit der Realität in Syrien zu tun hat, zeigt sich nur rund drei Kilometer vom Kloster entfernt. Im Militärgefängnis von Sednaja sind zwischen September 2011 und Dezember 2015 rund 13.000 Syrer hingerichtet worden. Das sei eine vorsichtige Schätzung, schreibt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in einem aktuellen Bericht über die Zustände in dem Gefängnis, das rund 30 Kilometer von Damaskus entfernt liegt. Tatsächlich dürfte die Zahl der Toten noch höher liegen. Für den Bericht hat Amnesty mit früheren Häftlingen, ehemaligen Gefängniswärtern, Ex-Richtern, Ärzten, Rechtsanwälten und Angehörigen von Gefängnisinsassen gesprochen.

 

Die Menschenrechtler bezeichnen Sednaja als "Schlachthaus für Menschen". Das syrische Regime betreibe in dem Gefängnis eine Politik der "Ausrottung". Laut dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs "umfasst 'Ausrottung' die vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen - unter anderem das Vorenthalten des Zugangs zu Nahrungsmitteln und Medikamenten -, die geeignet sind, die Vernichtung eines Teiles der Bevölkerung herbeizuführen".

 

Das Martyrium der Häftlinge


Der Gefängniskomplex in Sednaja besteht aus zwei Gebäuden, in denen insgesamt zwischen 10.000 und 20.000 Männer einsitzen. Im sogenannten roten Gebäude sind überwiegend Zivilisten inhaftiert. Wärter und Häftlinge nennen den Bau wegen seiner charakteristischen Form "Mercedes-Stern". Im sogenannten weißen Gebäude sitzen hauptsächlich Angehörige des Militärs ein, die beim Regime in Ungnade gefallen sind. In dem L-förmigen Bau befindet sich auch der Exekutionsraum, in dem zwei bis drei Mal pro Woche zwischen 20 und 50 Häftlinge gehenkt werden.

 

Doch das Martyrium der Insassen beginnt lange vorher. Schon bei ihrer Ankunft in Sednaja werden sie verprügelt und ausgepeitscht. Die Wärter nennen das die "Willkommensfeier". Schwerste Misshandlungen sind an der Tagesordnung: Wärter zwingen Häftlinge dazu, sich gegenseitig zu vergewaltigen, sie verweigern ihnen Wasser und Essen, verwehren ihnen Medizin und bestrafen sie bei geringsten Verstößen gegen die Haftregeln. (Lesen Sie hier einen detaillierten Bericht über die Folterungen in Sednaja.)

 

Ziel der Misshandlungen ist es, die Gefangenen zu Geständnissen zu bewegen. Wenn der Häftling die Folter überlebt und ein Geständnis ablegt, wird er vor ein Militärgericht in Damaskus gebracht. Ein früherer Militärrichter schildert den typischen Ablauf der Prozesse so: "Das Militärtribunal ist nicht verpflichtet, dem syrischen Rechtssystem zu folgen. Es ist außerhalb der Regeln. Die Gefangenen sind nur ein oder zwei Minuten dort - dann werden sie weggeschickt. Der Richter fragt nach dem Namen des Häftlings und ob er das Verbrechen begangen hat. Egal ob er mit ja oder nein antwortet: Er wird verurteilt. Dieses Gericht hat nichts mit der Herrschaft des Rechts zu tun. Das ist kein Gericht." Pro Stunde werden so rund 45 Häftlinge abgeurteilt. Anwälte sind nicht zugelassen.

 

Dann kommt die syrische Bürokratie in Gang: Der Vorsitzende des Militärtribunals und ein Vertreter des Militärgeheimdienstes unterzeichnen das Urteil, das dann mit der Militärpost dem Großmufti von Syrien und entweder dem Verteidigungsminister oder dem Generalstabschef zugeschickt wird. Beide können das Todesurteil im Namen von Staatschef Assad abzeichnen und legen das Datum der Hinrichtung fest. Im Schnitt vergehen zwischen dem Urteil und der Exekution mindestens zwei Monate.

 

Beisetzung auf Militärgelände


Die Todeskandidaten werden während der gesamten Zeit über ihr Schicksal im Unklaren gelassen. Sie erfahren in dem Schnellprozess nicht, zu welcher Strafe sie verurteilt werden. Am Tag ihrer Hinrichtung sagen ihnen die Wärter, sie würden in ein anderes Gefängnis verlegt, das nicht unter der Kontrolle des Militärs steht. So werden die anderen Insassen in Sicherheit gewiegt.

 

Den Todeskandidaten wird erst klar, dass sie sterben werden, wenn sie in der Exekutionszelle nach ihrem letzten Willen gefragt werden. Dann legen ihnen die Henker die Schlinge des Stricks um den Hals.

 

In Lastwagen werden die Leichen dann in das Tischrin-Militärkrankenhaus nach Damaskus transportiert und von der Bürokratie registriert. Nach Angaben ehemaliger Gefängnisbeamter lässt das Regime die Toten auf Friedhöfen verscharren, die auf Armeegelände im Umland der syrischen Hauptstadt liegen.

 

Sednaja ist das bekannteste Foltergefängnis in Syrien - aber es ist nur eines von vielen Gefängnissen, in denen das Regime seine Bürger ohne Prozess einsperrt, misshandelt und tötet. Laut einem Amnesty-Bericht aus dem November 2015 hat das Regime seit Beginn des Aufstands gegen Assad mindestens 65.000 Menschen verschleppt.

 

3900 Hinweise beim BKA


Die Verbrechen der Regierung gegen das syrische Volk beschäftigen inzwischen auch deutsche Behörden. Eine 15-köpfige Ermittlergruppe aus dem Referat 24 des BKA-Staatsschutzes führt derzeit unter anderem ein Verfahren, in dem sie die Verbrechen des Assad-Regimes gegen syrische Oppositionelle aufklären will. Wichtiger Bestandteil dieser Arbeit sind die von der Staatsanwaltschaft Liechtenstein zur Verfügung gestellten sogenannten "Caesar"-Bilder. Die mehr als 28.000 Aufnahmen des ehemaligen syrischen Militärfotografen "Caesar" belegen nach Auffassung der Beamten Tötungen in gigantischem Ausmaß.

 

Hinzu kommen Hinweise von Flüchtlingen: Häufig berichten sie in Anhörungen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) von ihren Erlebnissen. Insgesamt liegen den deutschen Sicherheitsbehörden 3900 Hinweise auf Kriegsverbrechen in Syrien oder dem Irak vor.

 

Grundlage aller Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen ist das Völkerstrafgesetzbuch. Im Unterschied zu anderen Verfahren deutscher Behörden ist es bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht wesentlich, ob die Taten einen Bezug in die Bundesrepublik haben. Sie können ungeachtet dessen verfolgt werden - dafür sorgt das Weltrechtsprinzip. "Die deutschen Strafverfolgungsbehörden kommen der internationalen Verpflichtung zur Verfolgung von Völkerstraftaten nach", sagt BKA-Chef Holger Münch. Seine Behörde ermögliche "den Opfern, dass ihre Verfolgung strafrechtlich aufgearbeitet wird".

 

Und die Zahl der Opfer des Regimes in Syrien steigt mit jedem Tag. Ein ehemaliger Gefängnismitarbeiter aus Sednaja sagt: "Die Hinrichtungen werden nicht aufhören: Solange Leute im Gefängnis landen, wird es Folter geben. Solange es Folter gibt, wird es Geständnisse geben. Und solange es Geständnisse gibt, wird es Hinrichtungen geben."