"Junge Union und CDU betreiben Flucht in die Vergangenheit"

Erstveröffentlicht: 
29.05.2010
INTERVIEW · CHRISTIAN KÜHN: "Junge Union und CDU betreiben Flucht in die Vergangenheit"

Jetzt hat auch der Landeschef der Grünen, Christian Kühn, die CDU-Kreisvorsitzende Nicole Razavi aufgefordert, sich klar von der rechtsgerichteten "Eislinger Erklärung" der Jungen Union zu distanzieren. Helge Thiele sprach mit dem Parteichef.

Herr Kühn, wie haben Sie auf die "Eislinger Erklärung" der Jungen Union im Kreis Göppingen reagiert?

 

CHRISTIAN KÜHN: Ich war zunächst entsetzt und empört. Auf ihrer Suche nach einem konservativeren Profil betreiben Junge Union und CDU im Kreis Göppingen aus meiner Sicht die Flucht in die Vergangenheit und verwischen dabei die Grenzen zwischen demokratischen Parteien und ultrarechten Gruppierungen.

 

Woran machen Sie das fest?

 

KÜHN: Das Papier der Jungen Union ist ausländerfeindlich, homophob, nationalistisch, frauenfeindlich und beschreibt ein reaktionäres Familien- und Gesellschaftsbild. Einige Begrifflichkeiten stoßen dabei besonders auf, zum Beispiel ,Überfremdung, "Homosexuellenlobby, ,Selbstgeißelung mit den Verbrechen des Dritten Reiches oder ,Ablehnung muslimischer Elemente in der Öffentlichkeit. So etwas hat für mich mit einem konservativen Profil nichts mehr zu tun. Junge Union und CDU verlassen damit auch den Grundkonsens der demokratischen Parteien in Baden-Württemberg. Äußerungen wie die der Jungen Union haben wir zuletzt in den 90er Jahren von den als rechtsextrem eingestuften ,Republikanern gehört.

 

Die CDU-Kreischefin lobt die Junge Union jedoch und sagt, es sei die Pflicht einer Jugendorganisation, die Mutterpartei zu provozieren . . .

 

KÜHN: Ich kann einer solchen Argumentation zunächst noch folgen. Aber ich kann es nicht mehr, wenn ich das Papier lese. Eine CDU-Kreisvorsitzende, Landtagsabgeordnete und enge Vertraute von Ministerpräsident Stefan Mappus muss klarstellen, dass die Mutterpartei diesen Weg nicht mitgehen will und sich von der Erklärung klar distanzieren.

 

Das hat Nicole Razavi nicht getan. Wo liegen Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?

 

KÜHN: Darüber kann ich als Grüner nur spekulieren. Vielleicht steckt in der ,Eislinger Erklärung doch eine Menge Gedankengut, das in der CDU hoffähig ist oder werden soll. Wenn dem nicht so ist, muss die Kreisvorsitzende der CDU das aber auch klar sagen.

 

Halten Sie die ,Eislinger Erklärung für einen Versuchsballon, der mit Rückendeckung von Stefan Mappus gestartet wurde? Quasi als Aufbruchsignal für eine Konservative Erneuerung der CDU? Razavi und Mappus zählen nicht zum Merkel-Flügel. . .

 

KÜHN: Klar ist: In der CDU tobt ein Richtungskampf zwischen denjenigen, die sich eine moderate konservative Partei wünschen und Kräften, die den Weg zurück in die Vergangenheit gehen wollen. Die CDU muss sich aber - gerade auch mit Blick auf die Landtagswahl - entscheiden, ob sie Baden-Württemberg in die 50er Jahre zurückführen möchte oder ob sie zu einem modernen Kurs bereit ist. Letzterer wird allerdings in der ,Eislinger Erklärung kritisiert. Was nicht sein kann, ist, dass die CDU modern und moderat blinkt, um dann doch rechts abzubiegen.

 

Warum haben Sie sich entschlossen, das Papier der Jungen Union auf Landesebene zu thematisieren? Das riecht stark nach Wahlkampf.

 

KÜHN: Vielleicht tut es das. Aber ich bin selbst in Göppingen aufgewachsen, verfolge die Politik im Landkreis nach wie vor. Da ist es mir ein besonderes Anliegen, im Land bekannt zu machen, was sich in der Kreis-CDU abspielt. Im übrigen hat Nicole Razavi durch ihre überschwängliche Verteidigung des Papiers das Thema selbst auf die Agenda der Landespolitik gesetzt. Und Nicole Razavi ist, wie gesagt, nicht irgendjemand in der Partei.

 

Wie werden die Grünen im Land reagieren, wenn sich Nicole Razavi weiterhin nicht von der ,Eislinger Erklärung distanziert?

 

KÜHN: Dann werden wir andere CDU-Kreisverbände in Baden-Württemberg dazu auffordern, sich von diesem Papier zu distanzieren, denn in diesem Fall hätte die CDU im Kreis Göppingen eine klare Weichenstellung vorgenommen. Das würden wir Grüne den Menschen in Baden-Württemberg klar sagen.