Der grassierende Fremdhass in Ostdeutschland alarmiert die Kommunen. Die fordern ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen die Gefahr von rechts. Der Städtebund prüft zudem Maßnahmen gegen die rechtsextreme NPD.
Solche Entwicklungen werden von der Bundesregierung mit Sorge registriert. Die Ost-Beauftragte im Wirtschaftsministerium, Iris Gleicke (SPD), sieht durch rechte Umtriebe nicht nur den sozialen Frieden, sondern auch den Standort Ostdeutschland bedroht. Die Ost-Wirtschaft spürt die Folgen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bereits, und auch Ökonomen sind deshalb besorgt.
Die Kommunen sehen angesichts der Entwicklung dringenden Handlungsbedarf. „Wir müssen die schweigende Mehrheit mobilisieren und gemeinsam für die Aufrechterhaltung unserer Werte einstehen. Notwendig ist ein Bündnis für Toleranz der Mutigen gegen rechts“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, dem Handelsblatt. „Kommunen, Länder, Bund, Kirchen und Gewerkschaften müssen gemeinsame Strategien entwickeln, um die Zunahme von Hass und das Auseinanderdriften der Gesellschaft wirksam zu bekämpfen.“
Der Städte- und Gemeindebund sucht derzeit gemeinsam mit der Freiherr-vom-Stein-Akademie nach Möglichkeiten, gegen die rechtsextreme NPD vorzugehen. Ein Gutachten solle prüfen, „auf welchem rechtlichen Wege Parteien wie die NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung, aber auch von den Entgelten für kommunale Mandatsträger ausgeschlossen werden können“, sagte Landsberg.
Auch Gleicke hat ein Gutachten in Auftrag gegeben. Die SPD-Politikerin lässt das Ausmaß von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland untersuchen. „Es ist ein Irrsinn, dass Positionen in der Wirtschaft, in der Wissenschaft und im kulturellen Bereich nicht besetzt werden können, weil die Wunschkandidaten nicht nach Ostdeutschland ziehen wollen“, erklärte sie. Man müsse das so deutlich sagen, so Gleicke, weil moralische Appelle bei manchen Leuten ja offenbar nicht verfingen. „Denen muss man klar machen: Die Rechtsextremisten und Ausländerhasser versauen nicht nur unseren Ruf. Die sägen auch an dem Ast, auf dem wir alle sitzen.“
Den Zuschlag für die geplante Studie mit dem Arbeitstitel „Rechtsextreme Strukturen und Agitationsformen im ländlichen Raum Ostdeutschlands“ erhielt das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Die Experten sollen die Rolle von Bürgerwehren, sogenannten Reichsbürgern, völkischen Siedlern und völkisch-esoterischen Gruppierungen analysieren. Ein Augenmerk soll zudem auf die seit zwei Jahren verstärkt zu beobachtende rechte Protestkultur gelegt werden, die besonders mit der islamfeindlichen Pegida-Bewegung in Erscheinung tritt.
DIW sieht Mangel an Vielfalt und Toleranz im Osten
Die AfD dürfte in der Studie wohl ebenfalls eine Rolle spielen, auch wenn sie im Untersuchungsauftrag des Ministeriums nicht explizit erwähnt wird. Dort ist von „aktuellen Entwicklungen“ die Rede, die ebenfalls in den Blick genommen werden sollen. Etwa die „Mobilisierung von Rechtspopulisten, Rechtsextremen und Rechtsradikalen im Kontext der Aufnahme von Geflüchteten“, aber auch rechte Propaganda und Agitation in sozialen Netzwerken.
Gleicke will wissen, wie sich diese Entwicklungen auf die Etablierung rechter Strukturen im ländlichen Raum auswirken. Nach Auswertung der Erkenntnisse will die SPD-Politikerin Handlungsstrategien empfehlen. Der Schlussbericht der Untersuchung soll im März 2018 vorgelegt werden, ein erster Zwischenbericht wird schon im Mai erwartet.
Offenbar wirkt sich der zunehmende Fremdenhass im Osten schon negativ auf die Wirtschaft aus. „Aktuell sind uns einige Einzelbeispiele bekannt, bei denen Arbeitsplatzangebote in Sachsen mit Verweis auf das politische Umfeld ausgeschlagen wurden“, sagte der Vorstandssprecher des Vereins Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen, Andreas von Bismarck, dem Handelsblatt. Da viele potenzielle Interessenten bei einer Absage nicht offen sagten, dass diese auch maßgeblich durch das fremdenfeindliche Image begründet ist, sei die Dunkelziffer noch „deutlich größer“, sagte von Bismarck.
Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnte vor der Fremdenfeindlichkeit im Osten. Dort mangele es an Vielfalt und an Toleranz, um gut qualifizierte, motivierte und junge Menschen anzuziehen und ihnen eine gute Zukunft zu bieten. Diese Regionen müssten sich öffnen und „eine Willkommenskultur auch zu Menschen mit einer anderen Hautfarbe, einer anderen Religion und anderen Lebenskonzepten entwickeln“. Sonst werde Ostdeutschland „wirtschaftlich noch weiter abgehängt und den Exodus der jungen Menschen nicht stoppen können“.
Ähnlich äußerte sich Städtebund-Geschäftsführer Landsberg. Hass und Feindlichkeit seien immer schon schlechte Begleiter gewesen. „Die Geschichte zeigt, dass offene Gesellschaften wirtschaftlich erfolgreicher sind und den Wohlstand der Bürgerinnen und Bürger mehren“, so Landsberg. Er gab zu bedenken, dass Städte und Gemeinden deutschlandweit untereinander in Konkurrenz um junge, motivierte und qualifizierte Arbeitskräfte stünden. „Eine Atmosphäre der Fremdenfeindlichkeit ist für jede Kommune ein Standortnachteil, der sich negativ auf den sozialen Frieden und die wirtschaftliche Prosperität auswirkt.“