Ole und die Brandstifter

Ausgebrannte Autos im Hamburger Stadtteil Harvestehude. Bislang unbekannte Täter zerstören in der Stadt nicht nur teures Eigentum, sie bringen, wie erst vergangene Woche, auch Menschen in Lebensgefahr...
Erstveröffentlicht: 
10.05.2010

Kriminalität

 

Ole und die Brandstifter

Von Bruno Schrep

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An Randale, Bandenkriminalität und Autobrände hatte man sich beinahe gewöhnt in Hamburgs Szenevierteln. Doch nun trifft es auch Bürger und deren Luxuswagen in den gediegenen Wohnlagen - Alarmstufe Rot für den schwarz-grünen Senat.


Wer im feinen Hamburger Stadtteil Harvestehude wohnt, umgeben von alten Villen und gepflegten Parkanlagen, glaubte sich bis vor kurzem vor den Verwerfungen der Großstadt ziemlich sicher. Drei-Zimmer-Eigentumswohnungen werden hier schon mal für 890.000 Euro angeboten, in manchen Seitenstraßen parken mehr als ein halbes Dutzend Porsche am Straßenrand.

Geraubt, geprügelt, geschossen und gebrandschatzt wurde bislang immer anderswo: im brodelnden Schanzenviertel etwa, wo sich Autonome und jugendliche Gewalttäter regelmäßig Straßenschlachten mit der Polizei liefern wie jüngst um den 1. Mai, oder auf dem Kiez rund um die Reeperbahn, wo rivalisierende Banden um die Vorherrschaft im Drogen- und Sexgeschäft kämpfen und Betrunkene nächtens mit Messern aufeinander losgehen.

"Das war alles ganz weit weg", versichert Unternehmensberater Hans B., der unweit der Außenalster wohnt, "davon las man höchstens in der Zeitung." Doch nun ist das Unheil ganz nahe.

Als der Geschäftsmann kürzlich, alarmiert von einem Anruf, morgens auf die Straße rannte, war das schicke Audi-Cabrio seiner Frau nur noch ein rauchender Schrotthaufen. Auch von den Autos der Nachbarn waren kaum mehr als bizarr verbogene Metallteile, zerschmolzene Armaturen und zerborstene Scheiben übrig. In der abgelegenen Sackgasse sah es aus wie nach einem Bombenangriff.

Anwohner E. stand fassungslos vor den Trümmern seines Mercedes, fühlte sich persönlich angegriffen. Anwohnerin K. betrachtete weinend die verkohlten Reste ihres Beetle-Cabrios, das sie dereinst persönlich in Wolfsburg abgeholt hatte.

Die Brandstiftung von Harvestehude reiht sich ein in eine Serie unheimlicher Anschläge auf Privatautos, die seit Monaten die Hansestadt beunruhigt. Bislang unbekannte Täter zerstören nicht nur teures Eigentum, sie bringen, wie erst letzte Woche, auch Menschen in Lebensgefahr; wiederholt griffen die Flammen auf Carports und Häuser über. In der Stadt herrscht eine Art Ausnahmezustand.

Schwer verunsichert sind sie, die Bewohner gediegener Hamburger Wohnlagen wie Winterhude, Groß-Flottbek und Poppenbüttel, in Gegenden, in denen die Bürger vorwiegend konservativ denken und wählen. Sie fühlen sich im Stich gelassen. "Ich trage nicht unerheblich zum Fortgang unseres Gemeinwesens bei", sagt Unternehmensberater B., "ich hinterziehe keine Steuern, ich habe keine Konten in der Schweiz, ich mache alles ordentlich." Jetzt, wo er mitten in seiner Oase angegriffen wurde, erwartet er Schutz und Aufklärung.

Die CDU offenbart Hilflosigkeit in der inneren Sicherheit

Doch die Polizei tut sich schwer, die Attentäter zu fassen. Dramatische Hubschraubereinsätze blieben ebenso ergebnislos wie das Abriegeln ganzer Stadtteile. Und so gerät der Erste Bürgermeister in die Kritik: Ole von Beust (CDU).

Für viele Christdemokraten war es hart genug, Beusts Bündnis mit den Grünen zu akzeptieren. Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Verlängerung der Grundschulzeit auf sechs Jahre stößt in der Union auf breites Unverständnis. Auch Beusts Äußerungen über Wohlhabende, die "erbarmungslos ihren Reichtum zeigen" und "immer chrombeladenere Autos fahren", haben dem einst so populären Freiherrn mächtig geschadet.

Wenn die CDU nun in einem ihrer Kompetenzfelder - der inneren Sicherheit - Hilflosigkeit offenbart, ist das ein Debakel: SPD-Oppositionsführer Olaf Scholz hat Beust, vor kurzem noch undenkbar, bei Umfragen überholt.

Ole von Beust hat deshalb eine Fahndungsoffensive starten lassen: 200 Zivilbeamte machen mittlerweile des nachts Jagd auf die Brandstifter, zu Fuß, in Einsatzwagen, auf Fahrrädern. Die Belohnung, die bei Ergreifung der Täter an Hinweisgeber gezahlt wird, wurde von 2500 auf 20.000 Euro aufgestockt.

Die Ermittler gehen davon aus, dass die neue Brandserie wenig zu tun hat mit den 185 Autobränden, die Hamburg im vergangenen Jahr zählte. Bei ihnen handelte es sich in vielen Fällen um jugendlichen Vandalismus, spontan begangen im Suff, ungezielt und planlos.

Ein 30-Jähriger, Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, der am Wochenende im Hamburger Stadtteil Langenhorn festgenommen wurde, nachdem dort ein Carport in Flammen aufging, hat nach Polizeiangaben nichts mit den Anschlägen zu tun, mit denen Unbekannte das gesamte Stadtgebiet überziehen. Feuer legten auch eifersüchtige Liebhaber und Versicherungsbetrüger, und rund zwei Dutzend Brandstiftungen gingen auf das Konto von Autoknackern, die ihre Spuren vernichten wollten. 31 Attacken ließen sich anhand von Selbstbezichtigungen oder Tatmerkmalen eindeutig Linksextremen zuordnen. Als etwa im November 2009 in Harvestehude der Mercedes CLS 600 des prominenten Werbers Jean-Remy von Matt in Flammen aufging, begründeten militante Öko-Aktivisten den Anschlag mit Matts Werbekampagne für den Energiekonzern RWE.

Bekennerschreiben - Fehlanzeige, Spuren - gleich null, Aussagen - diffus

Umso rätselhafter mutet nun die Serie an, die am 15. März im Villenviertel von Winterhude begann. Bis zur vergangenen Woche wurden an zwölf verschiedenen Tatorten 56 Autos zerstört. Bekennerschreiben: Fehlanzeige. Spuren: gleich null. Zeugenaussagen: diffus. Mal sahen Anwohner einen Mann weglaufen, mal soll ein weißer Golf davongebraust sein.

Ob die Brandstifter zu Fuß unterwegs oder motorisiert sind, ist ebenso ungewiss wie ihr Geschlecht, ihr Alter, ihre Nationalität. Sicher sind die Ermittler nur, dass stets mehrere Täter am Werk sind, womöglich in unterschiedlichen Gruppierungen, die immer nach dem gleichen Muster vorgehen.

Sie platzieren gewöhnliche Grillanzünder auf Vorder- und Hinterreifen. Vorteil aus Sicht der Attentäter: Bis es richtig brennt, vergehen 15 bis 20 Minuten, reichlich Zeit zur Flucht.

"Das Leben hier ist längst nicht so sicher, wie ich immer glaubte"

Angriffsziel sind meist mehrere, meist dicht beieinanderstehende Fahrzeuge in verkehrsberuhigten Zonen. Zugeschlagen wird fast immer zwischen drei und sechs Uhr morgens, wenn alles schläft. "Das Leben hier ist längst nicht so sicher, wie ich immer glaubte", gesteht Joachim S., Eigenheimbesitzer in einer gepflegten Seitenstraße im Stadtteil Hummelsbüttel, dem Ziel eines lebensgefährlichen Anschlags. Der Familienvater war bis vor kurzem richtig stolz auf seine Adresse mitten im Grünen: "Ich fühlte mich privilegiert, in so einer Gegend zu wohnen." Seit sein VW-Bus und sein Saab-Oldtimer verbrannt und die Kinderfahrräder verglüht sind, ist Joachim S. ins Grübeln gekommen: "Ich beruhige mich nur damit, dass wir wohl nicht persönlich gemeint waren."

Dabei hätte es für die Familie weitaus schlimmer kommen können. Obwohl von der Alarmanlage des VW-Busses geweckt, konnte S. trotz verzweifelter Löschversuche mit einem Gartenschlauch nicht verhindern, dass die Flammen auf den hölzernen Carport übergriffen, schnell zehn Meter hoch schlugen. Als die Feuerwehr anrückte, kokelte bereits das Dach des Einfamilienhauses, mehrere Fensterscheiben waren durch die Hitze geborsten.

Die beiden Töchter, sechs und zehn Jahre alt, die alles miterlebten - die Angst der Eltern, das Feuer, den Rauch -, sind seit der Brandnacht völlig verstört. Auch ihre Mutter fährt immer wieder aus dem Schlaf hoch. Und fragt sich, ob dieses Gefühl totaler Geborgenheit, das bisher so prägend für das Leben in der kleinen Straße war, sich je wieder einzustellen vermag.

Die Furcht vor weiteren Attentaten wächst

"Unsere Idylle hat einen Knick bekommen", klagt auch Wolfgang W. vom Grundstück nebenan, dessen BMW-Kombi zerstört wurde. Noch Stunden nach dem Anschlag steht er mit Ehefrau und Sohn vor dem Wrack, kann kaum fassen, dass sein Carport nicht Feuer fing. Mit Nachbarn diskutiert er, wie solcher Terror künftig verhindert werden könne.

Sollen sich alle Anwohner Bewegungsmelder anschaffen, womöglich versteckte Kameras installieren? Die Straße bei Dunkelheit mit Scheinwerfern erhellen? Telefonketten einrichten?

Es ist eine Diskussion, die Ole von Beust und seine Senatskollegen fürchten, denn angesichts der unaufgeklärten Anschläge wächst in Hamburg die Furcht vor weiteren Attentaten. Sonst eher gelassene Bürger wie Unternehmensberater B. aus Harvestehude gucken nachts ständig aus dem Fenster, ob sich jemand an den parkenden Autos zu schaffen macht. In Hummelsbüttel überlegen die Anwohner jetzt, abwechselnd Streife zu laufen.

Wie aufgeheizt die Stimmung inzwischen ist, zeigen gruselige Rachephantasien. Ein Internetblogger verkündet unter vollem Namen sein Konzept für die Bestrafung eines Brandstifters: "Ich würde ihn in eins dieser Autos setzen, die er gerade angezündet hat." Ein Porsche-Besitzer, dessen neuer Sportwagen vergangene Woche verbrannte, würde die Täter am liebsten "häuten und durch die Stadt ziehen".

"Ich will die Täter jetzt haben"

Um dem Ruf nach Bürgerwehren zuvorzukommen, suchen Bürgermeister Beust und sein Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) ihr Heil in der Vorwärtsverteidigung. Nach einem Anschlag in Hummelsbüttel ging Polizeipräsident Werner Jantosch mit der Botschaft in die Öffentlichkeit: Wir tun was. Wir tun sogar ganz viel.

Die 100 neuen Ermittler sollen so lange jede Nacht ausschwärmen, bis die Feuerteufel gefasst sind. "Notfalls auch unter Vernachlässigung anderer Aufgaben", kündigte Jantosch an, für ihn zähle nur eines: "Ich will die Täter jetzt haben."

Ob den Sprüchen auch Ergebnisse folgen, scheint indes fraglich. Hamburgs Straßennetz ist rund 4000 Kilometer lang, zu bewachen sind rund 720.000 zugelassene Autos. Der Polizeiboss appellierte deshalb an Taxifahrer, Schichtarbeiter und selbst nächtliche Spaziergänger, sich doch bitte an der Jagd zu beteiligen.

Die Fahndungspraxis ist mühsam. Aus dem Zivilfahrzeug, mit dem sie in einer Nacht zum Mittwoch kreuz und quer durch den Stadtteil Bahrenfeld fahren, immer und immer wieder, mal schnell, mal ganz langsam, beobachten die beiden Bereitschaftspolizisten seit Stunden menschenleere Straßen; nur eine junge Frau, bepackt mir zwei Rucksäcken, ist noch unterwegs. "Sollen wir die kontrollieren?", fragt der Fahrer. "Gibt doch keinen Grund", erwidert der Kollege.

Der Einsatz gleicht der Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen. Zwischendurch steigt einer der Beamten aus, hat hinter Containern eine Bewegung wahrgenommen, nichts. Hinten in einer Sackgasse leuchtet was, nichts. "Dass uns hier Brandstifter über den Weg laufen, wäre schon großer Zufall", gesteht einer der Fahnder. "Aber vielleicht schrecken wir ja mit unserer Präsenz wenigstens ab."

Spott kommt von der SPD-Opposition

Spott kommt, nicht überraschend, von der SPD-Opposition. Die Hamburger Sozis, die einst das Sicherheitsbedürfnis ihrer Wähler derart unterschätzten, dass sie darüber die Macht im Rathaus verloren, werten Beusts Offensive als Augenwischerei ab. "Brachial-Rhetorik und Aktionismus ersetzen keine Fahndungserfolge", erklärt ihr Innenexperte Andreas Dressel. Die großspurigen Ankündigungen seien nichts weiter als das Eingeständnis von Erfolglosigkeit. Die wiederum hänge direkt mit dem Personalabbau durch die schwarz-grüne Regierung zusammen, die entgegen ihren Wahlversprechen immer weniger Polizisten auf die Straße schicke.

Wie der Feuerterror endlich beendet werden kann, weiß freilich auch der SPD-Mann nicht. Stattdessen wuchern täglich neue Spekulationen. Eine besagt, dass die Attacken aus dem Rotlichtmilieu kommen könnten; dass sich die Szene mit Feuer und Flamme gegen vermeintlich zunehmende Kontrollen von Bordellen und Spielhöllen zur Wehr setzt - was die Polizei dementiert.

Sie hat die Sonderkommission "Florian" gebildet. 15 Kripobeamte des Hamburger Landeskriminalamts (LKA) sollen Vorgehensweisen analysieren, Bewegungsbilder erstellen, Überwachungsvideos auswerten. Sich auf die Lauer legen, Hinweisen aus der Bevölkerung nachgehen. Ehemalige Brandstifter werden überprüft, Internetforen durchforstet.

Erste Festnahmen führten nicht zum Erfolg. Ein 29-Jähriger, der brennende Autos filmte, musste wieder freigelassen werden; der Mann hatte ein Alibi.

"Das sind keine Gelegenheitstäter, die mal aus Jux Autos anzünden und damit prahlen", glaubt der Hamburger LKA-Chef Reinhard Chedor, "da steckt minutiöse Planung dahinter." Die Tatorte seien sorgfältig ausgewählt, vermutlich sogar erst nach tagelanger Beobachtung, die Fluchtwege genau ausbaldowert. "Die überlassen nichts dem Zufall."

Hypothesen statt Antworten

Doch zur Schlüsselfrage, was die Brandstifter letztlich antreibt, hat die Kripo statt Antworten nur Hypothesen. Versuchen gestörte Jugendliche durch Begehung heimlicher Verbrechen ihre innere Leere zu überdröhnen, wie manche Polizeipsychologen vermuten? Suchen Pyromanen zwanghaft Nervenkitzel? Wollen militante Autogegner gegen die wachsende Motorisierung protestieren? Geht es fanatischen Rechtsradikalen darum, Angst und Schrecken zu verbreiten? Oder existiert doch eine bisher unbekannte Form linker Opposition?

Zunehmend beobachtet die Polizei jedenfalls auch Personen aus der Subkultur-Szene des Hamburger Schanzenviertels rund um die "Rote Flora". Das heruntergekommene ehemalige Operettentheater gilt bei den Beamten schon lange als Hauptquartier aggressiver Staatsfeinde, die auch mit Gewalt gegen städtische Projekte und Maßnahmen kämpfen: gegen die Umwandlung preisgünstiger Wohngebiete in teure Quartiere, gegen die Kürzung von Sozialleistungen.

Weil sich jedoch Militante aus den bekannten Autonomen-Zirkeln bislang zu ihren Anschlägen bekannten, hätte der Terror eine neue Qualität: Erstmals wären selbsternannte Klassenkämpfer am Werk, die unter dem Schutz der Anonymität gezielt Krieg in die bürgerlichen Stadtteile zu tragen versuchen. Mögliche Botschaft: Ihr könnt nirgends vor uns sicher sein, auch nicht vor eurer eigenen Tür.

Inspiriert und aufgeheizt werden solche Täter, glauben Ermittler, womöglich von Musikvideos aus der HipHop-Szene, auf denen Kampfhunde und brennende Autos zu sehen sind und die Sänger hasserfüllte Texte rappen: "Ich ficke diesen Dreckstaat, jetzt geht's los, jetzt gibt's Krieg."

In Harvestehude ist seit Beginn der Anschlagsserie die Nachfrage nach sicheren Pkw-Unterstellmöglichkeiten sprunghaft angestiegen, die Vermieter von Tiefgaragenplätzen führen lange Wartelisten.