Die Behörde hat Angaben von über drei Millionen Menschen in Berlin gespeichert. Die FDP kritisiert diese "Datensammelwut".
Berlin. In der Datenbank der Berliner Polizei sind mehr als drei Millionen Menschen mit mindestens einem Eintrag gespeichert. Das teilte die Senatsinnenverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage des FDP-Abgeordneten Marcel Luthe mit. Aus der Antwort geht auch hervor, dass seit 1993 68 Dateien in das "Polizeiliche Landessystem zur Information, Kommunikation und Sachbearbeitung (Poliks)" aufgenommen wurden. Da sie personenbezogene Daten enthalten, muss die Innenverwaltung nach dem "Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (Asog)" jeweils eine Anordnung erlassen, deren Inhalt dem Datenschutzgesetz entsprechen muss.
Zu den 68 Dateien gehören zum Beispiel solche über Sexualstraftaten, Wirtschaftskriminalität und "Gruppierungen aus dem arabischen Sprachraum" ebenso wie Datensätze über Ordnungswidrigkeiten und die "Überwachung der Einhaltung von Sozialvorschriften im Straßenverkehr" oder die stadtweite Veranstaltungsdatenbank. Die beantwortete Anfrage ist noch nicht veröffentlicht, sie liegt der Berliner Morgenpost exklusiv vor.
FDP wirft Behörden "Datensammelwut" vor
Marcel Luthe kritisiert diesen Umgang mit Datenerhebung und -speicherung scharf. Er wirft der Innenverwaltung "Datensammelwut" vor. In "Poliks" würden nicht nur Angaben über diejenigen gespeichert, die mit dem Gesetz in Konflikt stehen. Bei mehr als drei Millionen Menschen seien rechnerisch fast alle erwachsenen Berliner betroffen. Diese riesigen Datenmengen würden aber offensichtlich nicht zur Bekämpfung von Straftaten beitragen, wie sich an dem kontinuierlichen Anstieg der Straftaten und der sinkenden Aufklärungsquote in Berlin zeige. "Wie auch bei der Diskussion über Videoüberwachung kommt es nicht darauf an, möglichst viele, sondern gezielt und richtige Daten zu erheben", sagte Luthe der Morgenpost. Die Methode "Holzhammer statt Skalpell" des Senats sorge dafür, dass Straftäter in einem großen, angesammelten Datenhaufen unentdeckt blieben. Das sei "sicherheitspolitisches Messietum".
Polizeisprecher Winfrid Wenzel wies die Kritik des FDP-Abgeordneten entschieden zurück. Sie sei "komplett fachfremd und inhaltsleer". Jede Polizei sei heute gefordert, Informationen elektronisch zu verarbeiten. Für die Ermittlungsarbeit sei es unerlässlich, viele Informationen zu haben und miteinander in Beziehung setzen zu können. Es biete "unendlich viele Vorteile" in der Berliner Polizei ohne Schnittstellenprobleme auf ein gemeinsames Kommunikationssystem zurückgreifen zu können, sagte Wenzel der Morgenpost. Das System sei handhabbar, weil jeder Bereich der Polizei in aller Regel nur einen Teil von "Poliks" nutze.
Datenschutz- und Innenexperten der rot-rot-grünen Regierungskoalition sehen indes durchaus Bedarf, die bisherige Praxis der Datenerhebung und -speicherung bei der Polizei auf den Prüfstand zu stellen.
Lux: "Datensammelei der Polizei überprüfen"
Auch Benedikt Lux, Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus für Inneres und Datenschutz, spricht sich dafür aus, die "Datensammelei" der Polizei zu überprüfen. Die meisten Bürger wüssten nicht, welche Daten über sie gespeichert seien, die Möglichkeiten des Rechtsschutzes seien begrenzt. Zu klären sei, welche Speicherung gerechtfertigt ist und was zu weit gehe, sagte Lux der Berliner Morgenpost. Das gelte auch für die Speicherfristen. Diese betragen laut Sicherheitsgesetz (ASOG) bei erwachsenen Tatverdächtigen zehn Jahre, in Fällen "von geringer Bedeutung" fünf Jahre. Danach wird geprüft, ob eine weitere Speicherung für notwendig gehalten wird. Ist das nicht der Fall, werden die Daten gelöscht.
Die unbescholtenen Bürger würden nicht aktiv informiert, welche Daten überhaupt zu ihnen gespeichert werden, moniert Luthe. "So kommt es dann zu vermeintlich unerklärlichen Verwechslungen, Missverständnissen und Verdächtigungen, weil nach Gutdünken Annahmen über Bürger gespeichert werden." Auf diese Weise könnten Menschen schuldlos Betroffene von Polizeieinsätzen werden. "Die Prüffristen sind sehr lang und angesichts der Menge der erfassten Datensätze nicht realistisch", so der Liberale.
Die Löschung der Daten erfolge weitgehend automatisiert, erklärte dazu Polizeisprecher Winfrid Wenzel. Laut Innenverwaltung gibt es darüber hinaus in verschiedenen Bereichen der Polizei so genannte Datenpfleger, die die Einhaltung der Löschfristen überprüfen. Wenzel betonte, "Poliks" erfülle alle Datenschutzrichtlinien. Die Polizei müsse digital recherchieren können. "Poliks" sei gut zu handhaben und ermögliche den Beamten Zugang zu relevanten Informationen. Unter den drei Millionen Menschen, über die Daten gespeichert sind, seien auch Touristen, die in Berlin Opfer oder Zeuge einer Straftat wurden. sagte Wenzel.
Linke: Löschung von Daten nicht immer reibungslos
Niklas Schrader, Datenschutzexperte der Linken-Abgeordneten bezweifelt, dass die Löschung von Daten immer reibungslos funktioniert. Er hatte im Dezember 2016 eine parlamentarische Anfrage zur Speicherung personenbezogener Daten in der "Falldatei Rauschgift" gestellt. Ergebnis: bei einer Stichprobenkontrolle von 25 Fällen durch die Datenschutzbeauftragte wurden in 22 Fällen Mängel festgestellt. Je elfmal wurden die Daten dann vollständig beziehungsweise teilweise gelöscht. Man müsse die Datensätze in "Poliks" regelmäßig überprüfen, ob die Speicherung überhaupt erforderlich war und ob sie noch notwendig ist, so Schrader. Es sei aber notwendig, ein Datensystem für die gesamte Polizei zu haben.
Im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag ist bereits vorgesehen, die stadtweite Veranstaltungsdatenbank in "Poliks"'durch die Datenschutzbeauftragte überprüfen zu lassen. Zudem sollen die personengebundenen Hinweise "geisteskrank" "ansteckend" und "Drogenmissbrauch" in der Polizeidatenbank gestrichen werden. Sie wurden aufgenommen, um Polizisten zu schützen. Stattdessen will die Koalition, dass dort künftig Hinweise über Gewalttätigkeit von Personen notiert werden.
Sven Kohlmeier, Datenschutzexperte der SPD-Fraktion, betont, die Polizei benötige zur effektiven Arbeit eine Datenbank. Bei Erhebung und Speicherung müssten aber die Grundsätze der Zwecknotwendigkeit und Verhältnismäßigkeit beachtet werden. "Die Polizei muss technisch und personell in der Lage sein, die datenschutzrechtlichen Vorschriften anzuwenden." Auch Burkard Dregger, Sprecher der CDU-Fraktion für Datenschutz, will das "Poliks"-System nicht grundsätzlich in Frage stellen, die Praxis müsse aber überprüft werden. Dregger sprach sich dafür aus, im Abgeordnetenhaus wieder einen eigenständigen Datenschutzausschuss zu etablieren.
"Ich rate allen Bürgern, an die Polizei zu schreiben und den gesetzlich zustehenden Auszug der über sie gespeicherten Daten nach § 50 ASOG einzufordern", sagte Marcel Luthe der Morgenpost. Die Berliner Datenschutzbeauftragte äußerte sich am Freitag nicht zu seiner Anfrage, dort war deren Inhalt noch nicht bekannt.
Von Andreas Abel