Diese Formulierung sorgte für einige Aufregung. In seiner Rede im Dresdner Ballhaus Watzke, bei der das auf Joseph Goebbels verweisende Wortspiel „Tanzpalastrede“ durchaus angemessen erscheint, hatte Björn Höcke (AfD) lang und breit die deutsche Gedächtniskultur angegriffen. Von Schuldkult war die Rede und davon, dass die Deutschen immer noch ein völlig gestörtes Verhältnis zu ihrer Vergangenheit hätten. Bekanntlich gipfelte dieses Agitationsspektakel in einem Satz, der für viel Wirbel sorgte und – vielleicht geschickt, vielleicht zufällig – mit einem doppeldeutigen Genitiv arbeitet. Gut gespielt, Björn. Und dennoch ist die Aussage eindeutig geschichtsrevisionistisch und entspricht zeitgemäßer Nazipropaganda.
Das deutsche Volk, hatte Höcke an besagter Stelle mit aufopferungsvoller Inbrunst seinen willigen Zuhörern vermitteln wollen, sei das einzige „der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat“. Diese Passage ist hochgradig assoziativ, weil sie mit einer grammatischen Konstruktion arbeitet, die sich beinahe beständig einem halbwegs präzisen Sinn entzieht. Zwei Nomen, die mit dem Genitiv verbunden werden, kann vieles bedeuten. So kann „das Geschenk der Schwester“ bedeuten, dass die Schwester ein Geschenk hat, also jemanden beschenken will. Oder es meint jenen Gegenstand, den die Schwester bekommen hat.
Die Doppeldeutigkeit bei Höcke ist analog, jedenfalls solange man den Kontext außer Acht lässt. „Das Denkmal ist eine Schande für uns“ wäre die eine und „die Schande hat ein Denkmal bekommen“ die andere Lesart. Die Dudengrammatik kennt zwar noch einige weitere Deutungsvarianten für den Genitiv. Allerdings passt an dieser Stelle keine von ihnen. Auf diese grammatisch angelegte Doppeldeutigkeit zieht sich Höcke nun zurück. Das klassische Manöver also: Erst revisionistischen Nazimüll erzählen und dann behaupten, man sei missverstanden worden. Ob dieser Genitivtrick Absicht ist oder er sich im Nachgang als nützlich erweist, kann nur Höcke selbst beantworten.
Tatsächlich allerdings ist die Passage in Höckes Rede eindeutig. Um zu unterscheiden, wie der Genitiv zu deuten ist, braucht es – auch das weiß der Duden – den Kontext. Und dieser lässt keine Zweifel. Direkt im Anschluss an die prekäre Formulierung sagt Höcke: „Und anstatt unsere Schüler in den Schulen mit dieser Geschichte [gemeint sind die großen Dichter und Denker etc.] in Berührung zu bringen, wird die Geschichte, die deutsche Geschichte, mies und lächerlich gemacht.“ Mit dem Denkmal an den Holocaust wird also die deutsche Geschichte zur Lachnummer. Das meint nichts anderes, als dass das Denkmal selbst die Schande ist, weil es die Vergangenheit Deutschlands in den Dreck zieht. Der Kontext zwingt den oben beschriebenen Genitiv in eine von beiden Richtungen. Das „anstatt“ am Satzanfang verbindet die beiden Passagen; es gibt keinen Themenwechsel. Die Sache ist eindeutig.
Bleibt schließlich noch zu erwähnen, dass bereits das Wort Schande eine einigermaßen bizarre Kontur hat, jedenfalls wenn es um Nationen geht. Es kommt mit einer offenkundig religiösen Färbung daher und meint etwa die Entweihung eines Altars in der Kirche. Wer also spricht wie Höcke, pulverisiert jede Form von Aufklärung und macht die Nation zum gottgleichen Wesen. Mehr dazu im entsprechenden Eintrag im Wörterbuch des besorgten Bürgers.