Dass Frauke Petry (AfD) ein Problem mit der aktuellen Asylgesetzgebung hat, ist bekannt. Dass man mit dieser Gesetzgebung auf sehr unterschiedliche Weise unzufrieden sein kann, auch. Die einen kritisieren, vom eigentlichen Recht auf Asyl, wie es die Genfer Flüchtlingskonventionen vorgeben, sei nicht mehr viel übrig. Nachdem über die Jahre mehr und mehr Einschränkungen das Gesetz ausgehöhlt haben, könne von einem solchen Recht keine Rede mehr sein. Die anderen, und da ist die AfD besonders laut, finden das aktuelle Gesetz viel zu schwach.
Oder besser: unnötig. Denn wenn es kein Recht auf Asyl gäbe, bräuchte es auch keine Asylgesetzgebung. Man kann es aber auch anders drehen und wie Frauke Petry fordern, das „Recht auf Asyl“ in ein „Gnadenrecht des Staates“ umzuwandeln. Zu dieser Aussage ließ sie sich bei einem Gespräch mit Katrin Göring-Eckardt (Grüne) in der Zeit hinreißen.
In beiden Fällen geht es offensichtlich um ein Recht, das innerhalb eines Gesetzes festgeschrieben sein soll. Das Recht auf Asyl könnte auch Asylrecht heißen. Oder, um die Parallele zu verdeutlichen: Asylrecht des Menschen. Hat ein Mensch das Recht auf Asyl, kann er Asyl beantragen. Muss er aber nicht. Das impliziert also eine Freiheit und eine Möglichkeit, die ihm bleibt. Hat ein Staat das Recht, Gnade walten zu lassen, heißt es ebenfalls: Kann er, muss er aber nicht. Wie genau dies im Detail aussehen soll, bleibt offen. Klar ist nur, dass mehr Willkür kaum möglich ist, als in dieser Formulierung steckt.
Doch die staatliche Unberechenbarkeit, die Petry hier verlangt, hat noch eine weitere Komponente, die tief blicken lässt. Gnade heißt, dass jemand für etwas bereits verurteilt wurde, die Strafe aber milder ausfällt. Etwa durch die Güte Gottes, von einem Staatsoberhaupt oder einem Gericht. Im Umkehrschluss heißt dies, dass alle Geflüchteten, die auf Asyl angewiesen sind, schuldig seien.
Was genau diese Schuld ausmacht, lässt sich mit dem Wissen um Petrys Ansichten erahnen: Sie werden beschuldigt, ihr Land verlassen zu haben, in Richtung Europa zu fliehen, gar nach Deutschland einreisen oder hier am Ende leben zu wollen. Egal, welcher Aspekt schwerer wiegt oder ob es doch alle zusammen sind, klar ist nur, dass es dem Staat (oder Königin Petry) obliegen soll, Asylsuchende zu begnadigen, Güte walten zu lassen oder nicht.
Immerhin ist – und das wird Petry freuen – Gnade ein germanisches Wort, belegt seit dem 8. Jahrhundert. Seit es im Christentum geläufig ist, steht es vor allem für die Güte Gottes, später bezeichnet es zudem Vergünstigungen, die Fürsten erteilen konnten. Mittlerweile bezieht es sich auch allgemein auf mildernde Umstände vor Gerichten oder in Parlamenten.
Und dann gibt es, neben verschiedenen anderen, ein gut passendes Kompositum: den Gnadenstoß. Menschen, die im Mittelalter zum Tode verurteilt wurden, mussten oft lange Qualen erleiden, bis sie tatsächlich starben. Besonders das Rädern galt als eine Form der Tortur, die aufgrund ihrer Grausamkeit häufig verkürzt wurde, etwa indem der Henker das Rad in die Herzgrube des Delinquenten stieß. Die eigentliche Strafe wurde dann am Leichnam ausgeführt. Denn Strafe musste dennoch sein.
Wenn Frauke Petry und ihre AfD am Drücker sitzen würden, ist dem Staat durchaus zuzutrauen, nicht nur nach Gutdünken Gnade zu gewähren, sondern auch über den Gnadenstoß für Geflüchtete zu entscheiden. Dieses neue Wortungetüm „Gnadenrecht“ jedenfalls entlarvt den Willküranspruch und unterläuft jede Form von gerichtsfester Sachlichkeit. Zudem zeigt es einmal mehr den menschenverachtenden Kern der Partei.