Bundesweite Razzien gegen militante Reichsbürger-Gruppe

Erstveröffentlicht: 
25.01.2017

Mit Razzien in sechs Bundesländern ist die Bundeanwaltschaft gegen mutmaßliche Rechtsextremisten vorgegangen. Sie sollen Pläne für bewaffnete Angriffe auf Polizisten, Asylsuchende und Juden geschmiedet haben.

 

Bundesanwaltschaft und Polizei sind am Morgen gegen Rechtsextremisten vorgegangen, die mutmaßlich eine Terrorgruppe gebildet hatten. Gegen sechs Uhr am Morgen rückten die Ermittler in mehreren Bundesländern an. Sie durchsuchten Objekte in Niedersachsen, Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg. Es seien Sprengstoff und Waffen gefunden worden, hieß es in Sicherheitskreisen. Bei der Gruppe handele es sich um eine krude Mischung aus sogenannten Reichsbürgern und Anhängern altgermanischer Kulte. Der mutmaßliche Anführer, ein Rechtsextremist in Baden-Württemberg, bezeichne sich als "Neodruide", hieß es.

 

Insgesamt sind nach Angaben der Bundesanwaltschaft 12 Wohnungen und andere Räumlichkeiten durchsucht worden. Die Razzia richtete sich gegen sieben Beschuldigte. Unter Terrorverdacht stehen sechs von ihnen. Sie seien vorwiegend über soziale Medien miteinander vernetzt, hieß es.

 

Seit Frühjahr 2016 sollen sie Pläne für bewaffnete Angriffe auf Polizisten, Asylsuchende und Juden geschmiedet haben. Der siebten Reichsbürger soll der Gruppe geholfen haben, Waffen zu beschaffen. Erkenntnisse zu konkreten Anschlagsplanungen lagen der Bundesanwaltschaft am Mittwoch aber noch nicht vor. Bei der Razzia sollten vor allem die Vereinigungsstruktur aufgedeckt sowie Beweise "zu den angeblich geplanten Straftaten" und Waffen gesammelt werden. Die in etliche Kleinstgruppen zersplitterten "Reichsbürger" erkennen die Bundesrepublik nicht an und damit auch nicht staatliche Autoritäten wie die Polizei. Sie gehen davon aus, dass das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 noch existiert. Ein Teil der Szene vertritt nach Behördenangaben rechtsextremistische Positionen.

 

Haus in Berlin-Moabit durchsucht, ein Reichsbürger festgenommen

 

In Berlin durchsuchten Polizisten am Morgen in Berlin-Moabit ein Haus, dort wurden unter anderem elektronische Geräte sichergestellt. Ein Reichsbürger wurde festgenommen. Ein Spezialeinsatzkommando (SEK) der Polizei war vorsichtshalber dabei, weil die Szene spätestens seit den tödlichen Schüssen auf einen Polizisten im Oktober als besonders gefährlich gilt. In Georgensmünd (Bayern) hatte der Reichsbürger Wolfgang P. einen SEK-Mann getötet, als die Beamten in sein Haus eindrangen.

 

In Brandenburg durchsuchten Beamte die Wohnung eines Reichsbürgers in Rietz-Neuendorf (Oder-Spree) südöstlich von Berlin. Es seien keine Waffen gefunden worden, erfuhr der Tagesspiegel aus Ermittlerkreisen. Geführt werden die Ermittlungen vom Landeskriminalamt in Baden-Württemberg im Auftrag der Bundesanwaltschaft.

 

Am Dienstag waren die Landeskriminalämter der anderen betroffenen Bundesländer informiert und um Amtshilfe gebeten worden. An dem Einsatz seien etwa zweihundert Polizeibeamte der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt beteiligt gewesen.

 

Die Berliner Sicherheitsbehörden hatten gleich nach dem Vorfall in Georgensmünd alle bekannten Reichsbürger in der Stadt auf Waffenbesitz überprüft. Bei mehr als 100 Personen wurde die Polizei vorstellig. Fünf Reichsbürger hatten eine Waffenbesitzkarte. Das Verfahren zum Widerruf der Karten laufe, heißt es in Sicherheitskreisen. Einem Reichsbürger sei eine Waffe entzogen worden. Bei einem weiteren Reichsbürger sei der Antrag auf eine Waffenbesitzkarte abschlägig beschieden worden.

 

Sicherheitskreise warnen, etwa zehn Prozent der Reichsbürger bundesweit hätten eine Waffenbesitzkarte. Verfassungsschützer gehen inzwischen davon aus, dass die Szene mehrere tausend Personen umfasst, möglicherweise sogar über 10 000. Das Bundesamt für Verfassungsschutz war nach den Schüssen in Georgensmünd in die Beobachtung des heterogenen Spektrums eingestiegen. Mehrere Landesbehörden für Verfassungsschutz beobachten die Szene schon seit Jahren.

 

Andere Lage seit den Schüssen von Georgensmünd

 

Vorreiter dabei war die Verfassungsabteilung im brandenburgischen Innenministerium. Seit vier Jahren steht dort die Reichsbürgerbewegung bereits unter Beobachtung, wofür die Brandenburger von anderen Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern zunächst als alarmistisch belächelt wurde, die Reichsbürger galten als vor allem als skurril. Nach den tödlichen Schüssen von Georgensmünd hat sich das geändert.

 

Bislang sind die Reichsbürger damit aufgefallen, Straf- oder Steuerzahlungen zu verweigern, Behördenmitarbeiter zu bedrohen und Justizbedienstete mit Schadenersatzforderungen mittels Schuldtiteln aus Übersee zu überziehen. Sie erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches an. Aus ihrer Sicht ist die BRD eine GmbH, sie gründen eigene fiktive Staaten, schmeißen ihre Personalausweise weg und basteln sich eigene.

 

Beim Brandenburger Verfassungsschutz ist von einem neuen Extremismusphänomen die Rede. Es handle sich um ein Brückenspektrum zwischen Rechtsextremismus und Formen des Populismus, es sei revisionistisch und nationalistisch. Es gebe auch Kooperationen mit einschlägigen Verlagen, die auch der AfD nahestehen.

 

Gefährlich ist aus Sicht der Brandenburger Behörde, dass das Reichsbürger-Milieu für sich das Recht beansprucht, Gewalt anzuwenden und die politischen Eliten nicht über Wahlen abzulösen, sondern „in Form eines Putsches hinwegzufegen“. Besondere Sorgen bereiten dem Verfassungsschutz seit vergangenem Jahr eigene Projektionen für die nächsten Jahre. Es bestehe die Gefahr dass sich die gut vernetzten Reichsbürger die sogenannte Freeman-Bewegung und die rechtsextremistischen, bewaffneten Milizen in den USA zum Vorbild nehmen – und dann zum militanten Kampf gegen den Staat übergehen.