Prozess im Fall der getöteten Nadine E. aus Ludwigsburg
Von Tim Höhn 24. Januar 2017 - 08:22 Uhr
Im Prozess um den gewaltsamen Tod von Nadine E. sagt deren türkischer Schwiegervater aus.
Ludwigsburg - Es ist eine groteske Zeugenbefragung, was zum großen Teil am Zeugen liegt, zu einem kleinen Teil aber auch am Richter. Der Zeuge ist der Vater des Angeklagten, jenes Mannes also, der Nadine E. im Oktober 2015 in Ludwigsburg umgebracht haben soll. Im Zentrum der Verhandlung am Montag steht das mögliche Motiv. Der Zeuge ist Türke, spricht kein Deutsch, ist schwer krank und hat Erinnerungslücken, er weicht Fragen aus. Außerdem ist er heillos zerstritten mit seinem Sohn. In einer Aussage aber zeigt er sich vor dem Stuttgarter Landgericht konsistent: „Ich hätte meinem Sohn geholfen“, sagt der 68-Jährige. „Wäre er zu mir gekommen, hätte ich ihm das Geld gegeben.“
Der Vater wollte nicht, dass sein Sohn eine Ausländerin heiratet
Die Aussage ist wichtig. Nadine E. und der Angeklagte waren lange verheiratet gewesen. Auch als sie sich trennten, lebten sie weiter mit ihren zwei kleinen Kindern im gemeinsamen Haus in Ludwigsburg-Eglosheim. Was tun mit dem Haus? Er wollte dort wohnen bleiben, sie nicht, also musste er ihr ihren Anteil ausbezahlen. Weit mehr als 100 000 Euro – so etwas kann ein Mordmotiv sein. Wenn allerdings stimmt, was der Vater erzählt, hätte der Angeklagte das dringend benötigte Geld bekommen können. Der Vater hätte es nicht einmal zurückhaben wollen. Er besitze eine Wohnung in Ankara, die hätte er verkaufen können, berichtet der Vater, der nach eigener Aussage über weitere Immobilien verfügt. Sein Sohn hätte das Geld nehmen, Nadine E. ausbezahlen können.
Der Vorsitzende Richter ist skeptisch. Als der Vater klagt, sein Sohn habe sich nie um ihn gekümmert, hakt er nach: „Sie hätten ihm also kein Geld gegeben?“ Der Vater antwortet stoisch: „Ich hätte ihm das Geld gegeben, wenn er in Not ist.“ Viel ist die Rede von einer ominösen Familienversammlung, bei der über die Finanzspritze verhandelt worden sei. Danach aber, berichtet der Vater, habe sich sein Sohn nicht mehr bei ihm gemeldet, und deswegen habe er auch die Wohnung in Ankara nicht verkauft. „Also wollten Sie ihn nicht mehr unterstützen?“, fragt der Richter. „Hätte er mich gefragt, hätte ich ihn unterstützt“, sagt der Vater. So geht das hin und her. Die Befragung wirft in erster Linie ein Schlaglicht auf die Familienverhältnisse. 2001 hat der Angeklagte gegen den Willen seines ultrakonservativen Vaters Nadine E. geheiratet. Er habe sich eine Schwiegertochter gewünscht, die seiner Frau im Haushalt und beim Kochen hilft, erzählt der 68-Jährige. „Ich wollte nicht, dass er eine Ausländerin heiratet.“
Vor dem Standesamt spuckt er der Mutter ins Gesicht
Nadine E. war für ihn eine Ausländerin, denn sie war keine Türkin. Zur Hochzeit wurde der Vater nicht eingeladen, er ging trotzdem hin und spuckte vor dem Standesamt der Mutter von Nadine E. ins Gesicht. Nach dem Eklat bricht der Kontakt ab. „Die haben mir meinen Sohn weggenommen“, ruft er am Montag in den Saal. Er meint offensichtlich die Familie der Toten – der die Tochter aus dem Leben gerissen wurde.
Aber von wem? Fakt ist, dass Nadine E. verschwand und erst eine Woche später tot in einem Gebüsch an den Bahngleisen in Eglosheim gefunden wurde. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass ihr Mann sie am Abend des 12. Oktober 2015 zu Hause erstickt und die Leiche dann am Fundort abgelegt hat. Am Mittwoch wird das Landgericht eine Zeugin befragen, die Nadine E. noch zu einem späteren Zeitpunkt in einem Einkaufsmarkt gesehen haben will – was, wenn es zutrifft, die Anklage zum Einsturz bringen könnte.