Der Bericht des psychiatrischen Sachverständigen markiert in Strafprozessen das Ende der Beweisaufnahme. Auch im NSU-Prozess, wo am Dienstag erstmals der Gutachter zu Wort kam. Seine Beobachtungen dürften der Angeklagten Beate Zschäpe nicht gefallen.
München. Nach wochenlangem juristischen Streit und mehreren Verschiebungen hat der psychiatrische Sachverständige im NSU-Prozess am Dienstag mit seiner Beurteilung von Beate Zschäpe begonnen. Henning Saß bescheinigte der Angeklagten Hinweise auf „egozentrische“ Verhaltensweisen. Sie neige dazu, Verantwortung abzuschieben und eigenes Verhalten zu verharmlosen. Gleichzeitig verfüge sie über ein „gesundes Selbstbewusstsein“.
Zschäpe ist im NSU-Prozess wegen Mittäterschaft an einer Serie von Morden und Sprengstoffanschlägen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ angeklagt. Das Motiv für fast alle Verbrechen soll Rassenhass gewesen sein. Das Gericht hatte Saß beauftragt, die Gefährlichkeit und Schuldfähigkeit Zschäpes zu beurteilen. Seine Befunde sollte er am Mittwoch vortragen; das Gericht unterbrach seinen Vortrag am Dienstagabend. In einem Entwurf, den Saß an das Gericht geschickt hatte, hieß es bereits, er halte Zschäpe für schuldfähig.
Saß schilderte zahlreiche Beobachtungen, aus denen er seine Bewertung ableitet. Zur Verfügung standen ihm seine Beobachtungen aus den meisten der bisher 336 Prozesstage, Zeugenaussagen, Zschäpes eigene Erklärungen sowie Akten. Zwar habe sich Zschäpe geweigert, mit ihm zu sprechen, dennoch verfüge er über viel Material, betonte Saß.
Daraus ersehe er etwa Zschäpes Fähigkeiten für das jahrelange konspirative Leben im Untergrund. Saß sagte, sie habe „erfolgreich Grundsätze eingehalten der Heimlichkeit, des Verbergens, des Täuschens“. Sie habe sich als „liebe, gute Nachbarin“ präsentiert, „die von ihrer Gesinnung nichts preisgegeben hat“.
Saß zitierte außerdem Zeugen, laut denen Zschäpe über ein „gesundes Selbstbewusstsein“ verfüge und ihre beiden mit ihr im Untergrund lebenden Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt „im Griff gehabt“ habe. Derartiges spreche für „Stärke und Selbstbewusstsein nach außen und gegenüber männlichen Partnern“. Ein anderer Zeuge habe davon gesprochen, Zschäpe habe sich wie eine „Ehefrau“ verhalten, „nur für zwei Männer“.
Der Streit um Saß' Gutachten war auch am Dienstag weitergegangen. In den vergangenen Wochen hatten Zschäpes Verteidiger mehrere Anträge gestellt und darin Verstöße etwa gegen Grundrechte der Angeklagten geltend gemacht. Das Gericht hatte alle Anträge abgelehnt. Die Anwälte scheiterten auch mit ihrer Forderung, Saß' Bericht als Tonaufnahme mitzuschneiden.