Jürgen Elsässer im Februar 1990. Der antideutsche Linksausleger fordert „die Zerstörung des deutschen Staates und seine […] Ersetzung durch einen Vielvölkerstaat sowie [die] Auflösung des deutschen Volkes in eine multikulturelle Gesellschaft.“ Dem aktuellen deutschnationalen Elsässer sind solche Sätze natürlich „mächtig peinlich“ . Schließlich befürchtet er heute, was er damals wünschte. Solche Widersprüche verleiten zu dem Schluss: Elsässer hat sich diametral gewandelt. Wer die Rechts-Links-Brille beiseite legt, wird allerdings erkennen, dass Elsässers Vita mehr Brücken als Brüche aufweist. Im Kern war er schon immer Nationalist.
Bollwerk Nationalstaat
Bereits als Antideutscher predigte Elsässer die „Einheitsfront der Nationalisten“. Sie sollte den ethnischen Sezessionismus der „Völkischen“ in Schach halten (Make Love not War, 2002). Der Zerfall Jugoslawiens in das, was er „Stämme“ nannte, galt ihm als Worst Case-Szenario. Doch mit dem Separatismus auf dem Balkan fand sich Elsässer schnell ab. Seine absolute Parteinahme für die Serben holte den Volksbegriff aus der Schmuddelecke und schraubte ihn mit dem „Nationalstaat“ zusammen. Dieser war für den zwischenzeitlichen Leninisten Elsässer nun ein Fels in der Brandung der Globalisierung. 2001 schrieb er in der Zeitschrift Konkret: „Antinationalisten könnten einwenden, die Zurückdrängung der Nationalstaaten sei doch etwas Positives, […] aber bis dato relativ homogene Nationalökonomien driften auseinander – und damit steht die Einheit der Nationalstaaten auf dem Spiel“ (Konkret, 7/2001). Der Schritt zur Propagierung der Nation als Bollwerk gegen die „Auflösung Deutschlands“ durch EU, USA, Flüchtlinge, Multikulti, Islam oder Rot-Grün war klein.
Feindbild Amerika
Aus der breiten Palette der Feindbilder ragt eines heraus: Amerika. Der szeneuntypisch schwach ausgeprägte Proamerikanismus des einstigen Antideutschen schlug problemlos in den radikalen Antiamerikanismus des Antiimperialisten und späteren Deutschnationalen um. 2002 schrieb Elsässer diesen Satz: „Der Dschihadismus – nicht als intellektuelle Pest, sondern als militärische Kraft – ist zunächst nicht mehr als ein artifizielles Monster, das die USA im Nahen und Mittleren Osten […] kreiert haben.“ (Make Love not War, 2002) Ganz ähnlich lauten heute die von ihm kolportierten Verschwörungstheorien, die dunklen Mächten in der US-Politik die Globalschuld an allen tatsächlichen oder vermeintlichen Bedrohungen geben. Im „alten“ Rechtsextremismus war zur Doktrin geronnen, die Juden seien die Hintermänner einer weltweiten Verschwörung, die nichts anderes zum Ziel habe als die Zerstörung jeglicher Ordnung, aller Traditionen und der Unabhängigkeit der Nationalstaaten. Ersetze „die Juden“ durch US-Establishment (beides wird ohnehin oft synonym verstanden) – und schon sind wir bei den „neuen“ Rechten.
„Völkisch“
In seiner provokanten Art zu formulieren, kokettiert Elsässer auffallend häufig mit dem Volksbegriff, bewusst haarscharf am Sprachgebrauch der Nationalsozialisten vorbei: „Wer ein Wort wie ,Volk‘ ausmerzt, verhindert eine Diskussion um die Weiterentwicklung der Demokratie“ (Gegen Finanzdiktatur, 2009). Nach einem für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft wenig schmeichelhaften Ergebnis notierte er in seinem Weblog: „Kein Volk ist schlechter als das andere. Aber absolut TÖDLICH ist das Vermischen: Wenn den Deutschen ihr Fleiß und ihre Kampfkraft ausgetrieben werden soll“ (Blogeintrag vom 17. Oktober 2012). Die NS-These der Schwächung eines Volkes durch „Vermischen“ scheint hier deutlich durch. Gemünzt auf die Zuwanderung nach Deutschland stellt Elsässer rhetorische Fragen: „Gilt das [Widerstandsrecht] nicht erst recht, wenn nicht nur die Demokratie, sondern sogar das Volk beseitigt und durch ein anderes ersetzt werden soll?“ (Compact, 10/2015). Die Deutschen sind, folgt man Elsässers Alarmismus, dabei auszusterben. Er kann also nur ethnisch definierte Deutsche meinen, andernfalls würde er in Zuwanderung und „Vermischen“ keine Gefahr sehen. Die Abgrenzung des Volksbegriffs vom rassistischen der Nationalsozialisten ist für Elsässer und seinem Co-Autoren Götz Kubitschek augenscheinlich nur strategisch bedingt: „Verengt sich der Protest auf deutsch-völkisch, wird er vom System zerquetscht, so berechtigt er auch sein mag“ (Compact Spezial Nr. 9).
Rechte APO
Derart ideologisch munitioniert, stellt sich Elsässer heute als Einpeitscher der AfD an die Spitze einer – noch imaginierten – rechtsextremistischen APO, die eben nicht „vom System zerquetscht“ wird. Dabei setzt er auf die Pegida-Bewegung und die Identitären, und nicht zuletzt die AfD. Voraussetzung: Die von Elsässer so genannten parlamentsorientieren „Pretzellianer“ unterliegen in den parteiinternen Auseinandersetzungen. Folgende Botschaft gibt Elsässer seinen Anhängern auf den Weg: „Ich bin nicht dafür, dass der Westen überall Maßstäbe setzt. Wir müssen unsere eigenen Maßstäbe setzen“, sagte er bei einer AfD-Veranstaltung im November 2015 in Gröbenzell bei München. „Wir“ – das ist für ihn nicht nur eine deutsche APO, sondern Putin, Orbán und Trump – „der Führer eines souveränen Volkes“. Wenn Le Pen und Wilders in ihren Ländern siegen, prophezeit Elsässer, „dann haben wir Achsenmächte“ – nicht seine einzige Anspielung auf eine unrühmliche Vergangenheit.