Leipzig - Bei Hossan Gahwish läuft das Geschäft wieder. Die Fleischspieße drehen sich, in der Auslagen türmen sich frischer Salat und Gemüse zu Bergen. Über den Tresen gehen Döner und Falafel.
Von Alexander Schierholz
Ein Jahr ist es her, dass Gahwish, 49, seinen Imbiss im linksalternativen Leipziger Szeneviertel Connewitz für vier Wochen schließen musste. Neonazis hatten den Laden verwüstet. Sachschaden: 20 000 Euro.
Rückblick: Während am Abend des 11. Januar 2016 das fremdenfeindliche Legida-Bündnis in der Innenstadt demonstriert, randalieren in der Connewitzer Wolfgang-Heinze-Straße im Süden der Stadt mehr als 200 Angehörige der rechten Szene.
Sie zertrümmern die Schaufenster etlicher Läden, werfen Steine und Böller, zünden Autos an. Die Polizei rückt schnell an, sie kesselt 215 Verdächtige ein, Neonazis, Hooligans, Kampfsportler. Sie kommen aus Sachsen und anderen Bundesländern, darunter sieben aus Sachsen-Anhalt.
Ausschreitungen in Leipzig-Connewitz: Nach einem Jahr ist kein einziges von mehr als 200 Ermittlungsverfahren abgeschlossen.
Doch ein Jahr später treten die Ermittlungen wegen schweren Landfriedensbruchs auf der Stelle. Nicht ein einziges der 215 Verfahren ist abgeschlossen, wie Ronaldo Schulz, Sprecher der Leipziger Staatsanwaltschaft, einräumt. „Für eine Anklage müssen wir jedem einzelnen nachweisen, dass er an den Ausschreitungen beteiligt war“, sagt Schulz. Das sei aufwendig.
Nach MZ-Informationen werten die Ermittler sichergestellte Handys aus, um die Kommunikation der Täter nachvollziehen zu können. Zudem werden DNA-Spuren an Kleidung oder beschlagnahmten Wurfgeschossen wie Böllern oder Steinen gesichert.
Leipziger Politiker wie der Grünen-Landeschef Jürgen Kasek kritisieren die lange Verfahrensdauer scharf. Kasek, von Beruf Rechtsanwalt, räumt ein, dass die Ermittlungen nicht einfach sein.
Den Tätern müsse ein Handeln als einheitliche Gruppe nachgewiesen werden, um den Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs zu rechtfertigen. Dennoch entstehe der Eindruck, „dass es am nötigen Verfolgungseifer fehlt“. Der Staat müsse klarmachen, „dass er hier mit Hochdruck arbeitet“, so Kasek.
Plakate mit den Namen der Beschuldigten nach den Krawallen in Leipzig-Connewitz: Warnung vor Selbstjustiz
Manche glauben daran nicht mehr - und wollen die Sache lieber selbst in die Hand nehmen. Kurz vor dem Jahreswechsel tauchten in Connewitz Plakate auf mit den Namen der 215 Beschuldigten. Die Urheber kommen offenbar aus der linksextremen Szene - auf den Plakaten prangt ein Logo der Antifa.
Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz und die Linken-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel warnten in seltener Einmütigkeit vor „Selbstjustiz“. Nagel, die in Connewitz ihren Wahlkreis hat, sagt aber auch: „Je länger die Ermittlungen dauern, desto mehr sinkt bei vielen in Connewitz das Vertrauen in die Polizei.“ Wenn der Staat Stärke zeigen wolle, müsse er die Krawalle daher rasch aufklären.
Das gilt aus Sicht Nagels auch für die anderen Ausschreitungen, die Leipzig um den Jahreswechsel 2015/2016 in Atem hielten. Am 12. Dezember 2015 lieferten sich in der Südvorstadt gewaltbereite Linksradikale am Rande einer Neonazis-Demo Straßenschlachten mit der Polizei. Die Bilanz: 69 verletzte Beamten, zerborstene Schaufensterscheiben, zerstörtes Straßenpflaster. Der Sachschaden beläuft sich auf mehr als eine halbe Million Euro.
Nach den Krawallen leitete die Staatsanwaltschaft 166 Ermittlungsverfahren ein. Ein Jahr danach ist erst rund ein Drittel davon abgeschlossen; diese Fälle liegen nun bei der Staatsanwaltschaft, die über eine Anklage entscheiden muss. Etwa zwei Drittel der Verfahren richten sich gegen unbekannt. Erst drei Täter wurden verurteilt, jeweils zu Geldstrafen.
Viele der Randalierer waren damals vermummt, wie auch vier Wochen später in Connewitz. Doch anders als dort gelang es der Polizei in der Südvorstadt nicht, die Täter einzukesseln. Viele entkamen unerkannt. „Die waren in Sekundenschnelle an Ort und Stelle und ebenso schnell wieder weg“, beschreibt ein Ermittler die Schwierigkeiten, den Tätern auf die Spur zu kommen. „Das ist eine Guerilla-Taktik.“
Am Montag geht Legida wieder auf die Straße – vier Gegendemonstrationen sind angekündigt
Unterdessen bereitet sich Leipzig auf die nächsten Demonstrationen vor. Am Montag will das fremdenfeindliche Legida-Bündnis zu seinem Zweijährigen auf die Straße gehen. Vier Gegendemonstrationen mit mindestens 2 000 Teilnehmern sind angekündigt, deren Organisatoren ausdrücklich zu einem gewaltfreien Protest aufrufen. Legida rechnet mit 500 bis 1 000 Demonstranten, hatte zuletzt allerdings nur noch rund 150 Anhänger auf die Straße gebracht.
Auch Hossan Gahwish, der Dönerladen-Inhaber aus Connewitz, hofft, dass diesmal alles friedlich bleibt. Seit dem Überfall vor einem Jahr fahre die Polizei häufiger Streife, sagt er. Er findet das gut, „ich fühle mich sicherer“. Seit den Krawallen habe er sogar neue Kunden gewonnen, erzählt er. „Die Nazis wollten uns zerstören. Aber das haben sie nicht geschafft.“ (mz)