Deutschlands Gerichte haben angesichts zunehmender fremdenfeindlicher Übergriffe andere Saiten aufgezogen. Das wissen auch die Nauener Brandstifter. Vor Gericht geben sie sich als fehlgeleitete Kumpel und Trinker, um nicht als politisch-kriminelle Gruppe verurteilt zu werden.
Unpolitische Neonazis – gibt es das? Das wollen die Angeklagten und Anwälte im Prozess gegen die Nauener Sporthallen-Brandstifter dem Gericht und der Öffentlichkeit weismachen. Das ist ein wenig verstörend, hatte doch Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) von einer „rechten Stadtguerilla“ gesprochen. Oder war die Schreckensherrschaft über die Stadt im Havelland das Werk einer Handvoll meist betrunkener, vom Amphetamin und tagelanger Schlaflosigkeit zittriger Milieugestalten, die in einer Kneipe namens „Karpfen“ ihr Hauptquartier hatten, zum Pfefferminzlikör „dämlichen Scheiß“ laberten und ab und zu in einem „Adrenalin-Moment“ den „Larry markieren“ wollten (alle Zitate: Dennis W., 29)? Dann brannte eben mal ein Auto oder eine Turnhalle.
Sprit für den Hass: acht halbe Liter Bier und ein paar Schnäpse
Nächtliche Farbbeutelwürfe auf ein Linken-Parteibüro am 7. Juni 2015 kommentierte der Mitangeklagte Thomas E. so: Er habe, im Anschluss an einem Besuch im „Karpfen“ und mit üblichen Pensum von geschätzten acht Halblitern Bier und ein paar Schnäpsen im Blut, „die Idee mit den Farbbeuteln offenbar lustig gefunden“. Und, damit es auch der letzte Schöffe begreift: In seinem Zustand, so der Energie- und Gebäudetechniker, sei „politische Einstellung nicht relevant“ gewesen.
Rechtsradikalismus ist nicht Programmarbeit, sondern Handarbeit
Wer diese Erzählung glaubt, der vergisst: Rechtsextremismus ist nicht Programmarbeit, sondern Handarbeit. Wer im Pulk eine SVV-Sitzung zu einem umstrittenen Flüchtlingsheim sprengt, wer besoffen Türschlösser von Parteibüros verklebt und Transparente mit der Aufschrift „Asylbetrug ist kein Menschenrecht“ in Heimarbeit anfertigt, der handelt politisch, auch wenn er nicht Montesquieus gesammelte Werke im Regal stehen hat. Als einziger steht der NPD-Stadtverordnete und Ex-Kreistagsabgeordnete Maik Schneider offen zu seinen politischen Motiven. Schützt er als Kopf der Gruppe die anderen? Sollen die wirklich zu dämlich sein für weltanschauliche Gedanken und Gefühle?
Kriminelle Vereinigung – Furcht der Angeklagten vor Strafverschärfung
Was die Angeklagten vor Gericht darbieten, ist der verzweifelte Versuch, die von der Potsdamer Staatsanwaltschaft erstmals in der Geschichte des Landes angewandte strafprozessuale Kategorie einer „kriminellen Vereinigung“ zu unterlaufen. Die Sechs auf der Anklagebank wissen: Deutschlands Gerichte haben angesichts einer Gewaltwelle gegen Flüchtlinge und ihre Helfer andere Saiten aufgezogen.
Die Gerichte haben wegen der Gewaltwelle härtere Saiten aufgezogen
Acht und sieben Jahre Haft verhängte im März ein Gericht gegen zwei Männer, die im niedersächsischen Salzhemmendorf Molotowcocktails auf eine Asylunterkunft geworfen hatten. Viereinhalb Jahre Haft kassierte eine Frau, weil sie die beiden zum Tatort chauffiert hatte. Die Männer hatten ein fremdenfeindliches Motiv abgestritten und die Tat darauf zurückgeführt, dass sie sehr betrunken gewesen seien – ein wiederkehrendes Motiv der Verteidigung von Neonazis bundesweit. Planvoll darf in den Augen der Anwälte nichts aussehen, Dumpfbackigkeit und Sucht werden zum Schutzmantel ihrer Klientel.
Armut und Verwahrlosung jedoch machen den Menschen nicht automatisch gemein. Sicher hatte Otto von Bismarck recht, als er sagte: „Es ist ein Grundbedürfnis der Deutschen, beim Biere schlecht über die Regierung zu reden.“ Mit dem Ölkanister loszuziehen, das ist dann doch etwas anderes.
Bosheit ohne ideologische Anbindung?
Was ist also rechts? Und in welchen Fällen stehen Gewalt und Bosheit für sich, ohne ideologische Anbindung? Erhellend ist der Fall des vor einem Wohnblock abgefackelten Fiats eines Polen am 17. Mai 2015. Der Angeklagte Dennis W. – ein Gebeutelter, so rastlos und sprunghaft in seiner Rede wie die Drogengestalten im Film „Trainspotting“ – beschreibt den Ort der Handlung so: In jener Siedlung „wohnt nicht die obere Schicht der Gesellschaft, entsprechend war die Stimmung“ an jenem Abend. Es entsteht das Bild eines Mannes, der sich zu Werkzeug eines lokal begrenzten Volkszorns stilisiert. Einem Polen sei nachgesagt worden, er habe auf Spielplätzen und zwischen den Teppichklopfstangen in der Siedlung Kinder angesprochen – alles völlig unbewiesen, wie der Angeklagte einräumt.
Ein Vehikel des Volkszorns auf Speed
Eine Bekannte, so Dennis W., habe, aufgeputscht von den Kommentaren der Umstehenden, eine Flasche Spiritus geholt. Irgendwer habe zuvor die Scheiben des Kleinwagens eingeschlagen. Dann kam der große Moment des in Schal und Kapuzenjacke gehüllten Dennis W., den seine Kumpels Willy Wonka nennen. Er goss den Flascheninhalt ins Wageninnere und warf ein brennendendes Taschentuch hinterher. „Du genießt Ansehen, wenn du es machst“, sagt „Willy Wonka“ vor Gericht. Nichts daran ist unpolitisch, auch wenn W. vier Tage wachgedopt wie auf „drei Kannen Kaffee und drei Red Bull“ durch die Gegend lief und Stress mit der Freundin hatte.
Bruchstückhafte Erinnerung an ein schmelzendes Dixi-Klo
Ein anderer Saufbruder, Christopher L. (27) sagt, er habe ein Dixi-Klo „aus dem Suff heraus“ angezündet. Das Häuschen stand auf der Baustelle einer Flüchtlingsunterkunft am Ortsrand. Für den Anschlag habe er – nach einem versumpften Abend im „Karpfen“ - zu Hause Spiritus geholt. Warum Christopher L. die Kunststoffkabine bis auf den Sockel niedergebrannt habe? „Frust, dass da ein Asylheim hin kommt – kann sein, weiß ich aber leider nicht mehr“, sagt der Angeklagte. Lückenhaft sei seine Erinnerung, seine Dosis an diesem Abend: „Sechs Kräuter und Pfeffi, neun Bier.“ Rechtsextrem ist solch eine Brandstiftung trotzdem.
Ordnerdienste bei NPD-Demos
Was noch auffällt: Die Basisarbeit für die NPD bis hin zu Ordnerdiensten bei asylfeindlichen Kundgebungen schildern alle Angeklagten – außer Schneider – als bloßen Freundschaftsdienst. Man kannte sich, lief eben mal mit. Farbbeutel abfüllen für Attacken auf das Linken-Büro, das alles erscheint in den Schilderungen der Nauener Zellenmitglieder als Kumpelpflicht. Die WhatsApp-Gruppe „Heimat im Herzen“, laut Anklage Organisationsmedium für die Gruppe, beschreibt Thomas E. so: „Da hat jeder sein Gedöns reingeschrieben – ich habe selten reingeschaut, es hat mich nicht interessiert.“ Im gleichen Atemzug schildert der Mann mit dem „Camp-David“-Hemd, wie er „oft Flyer mit verteilte und Demos vorbereitete“.
Tschuldigung – mit Merci und Blumenstrauß
Die Schwelle zum Rechtsterrorismus sah der Generalbundesanwalt offenbar noch nicht überschritten, als er es im Sommer ablehnte, sich den Fall auf seinen Karlsruher Schreibtisch zu ziehen. In Nauen, wo die wilden Kerle wohnen, hat man aber nicht vergessen, wie sich die Angst breitmachte. Zwei gehbehinderte Genossen, so schildert es die Linken-Landtagsabgeordnete Andrea Johlige, hätten sich nicht mehr auf die Straße getraut nach den Vorfällen, man habe ihnen Essen nach Hause bringen müssen. Johlige, deren Parteibüro Ziel der Farbbeutelattacken der Gruppe war, darf sich mit dem trösten, was der Angeklagte Dennis W. in der Verhandlung sagte. Entschuldigen wolle er sich für den „Streich eines Zwölfjährigen“, am besten „mit Merci und Blumenstrauß“. So folkloristisch hätten sie es gern, die Nauener Neonazis.
Von Ulrich Wangemann