Obdachlose in Köln "Wir sind Freiwild"

Erstveröffentlicht: 
14.11.2016

In Köln starb ein Obdachloser, er wurde offenbar getötet, als Polizisten ihn fanden, stand seine Kleidung in Flammen. Die Polizei gibt sich bedeckt, Bekannte des Opfers vermuten den Täter in der Szene.

Von Christian Parth, Köln

 

Es ist ein düsterer Ort, an dem Alex starb. Das Leben des Obdachlosen endete auf brutale Weise Samstagnacht auf seinem Schlafplatz, einem schmalen Stück Asphalt in einer Nebenröhre des dichtbefahrenen Rheinufertunnels in Köln.

 

Gegenüber wölbt sich das blaue Zelt des Musical Domes, gleich dahinter liegt der Hauptbahnhof. Am Tatort haben einige Kumpel Grablichter aufgestellt. In der Ecke liegt noch eine Plastikgabel, auf dem Boden sind Reste von Ruß. Alex wurde 29 Jahre alt.

 

Es war 1.30 Uhr am frühen Sonntagmorgen, als Beamte einer Hundertschaft, die am Dom unterwegs war, das Flackern eines Feuers in dem Tunnel bemerkten. Die Polizisten fanden einen leblosen Mann, seine Kleidung stand in Flammen. Der Rettungsdienst konnte nur noch den Tod feststellen.

 

"Alle sind tief verstört"


Der Obdachlose sei durch Gewalteinwirkung ums Leben gekommen, das habe die Obduktion der Leiche ergeben, sagt die Polizei. Zum genauen Tathergang will sie sich derzeit nicht äußern. Ob Alex, wie er in der Szene genannt wurde, zunächst erschlagen oder erstochen und anschließend angezündet worden ist oder sich seine Kleidung später an der Flamme einer Kerze entzündet hat, ist noch unklar. Um die Identität des Opfers zweifelsfrei klären zu können und Zeugen zu finden, hat die Polizei ein Bild von Alex veröffentlicht.

 

Die Bewohner der "Überlebensstation Gulliver" stehen unter Schock. Von hier aus ist es nur ein Steinwurf bis zum Tatort. "Bei unseren Gästen und Mitarbeitern herrscht große Trauer und Stille, alle sind tief verstört", sagt Geschäftsführer Bernd Mombauer. Das Haus nahe der Hohenzollernbrücke ist Anlaufpunkt für die Gestrandeten des Lebens. Für jene, die alles verloren haben und die ihren Halt allzu oft im Alkohol suchen. Hier können sie sich aufwärmen, duschen und etwas essen. Alex sei hier nur hin und wieder aufgetaucht. Insgesamt gibt es in Köln etwa 4600 Obdachlose, 200 davon leben ausschließlich auf der Straße.

 

"Es ist unbegreiflich, was passiert ist", sagt Andy, der seit vier Jahren Platte macht. Er hat sich am Hintereingang des Hauptbahnhofs niedergelassen, mit einem Einkaufskorb voller Decken und zwei Flaschen Wodka. "Ich kannte den Alex gut, er gab sein letztes Hemd für die anderen, war liebenswürdig und nett." Er habe oft mit ihm getrunken. Alex sei vor ein paar Monaten aus Berlin gekommen, weil er dort alles verloren habe, die Familie, die Wohnung und den Job. In Köln habe er neu anfangen wollen. "Jetzt haben sie ihn getötet."

 

Während die Polizei sich zurückhaltend gibt, glaubt man auf der Straße, den Täter zweifelsfrei zu kennen. Er soll einer von ihnen sein. Mehrere Obdachlose erzählen unabhängig voneinander von einem in der Szene bekannten Paar: Es soll kurz nach dem Geschehen Samstagnacht aufgeregt zum Schlafplatz einiger Obdachloser in den Hauptbahnhof gelaufen sein. "Ich habe Scheiße gebaut, ich habe ihn abgestochen", soll der Mann gerufen haben, erzählt etwa Andy. Die Freundin habe geheult, an ihrem Schuh soll Blut geklebt haben. Dann seien die beiden abgehauen.

 

Hintergrund der Tat soll Eifersucht gewesen sein. Die Männer seien in Streit geraten, es soll zu einer Schlägerei gekommen sein. Später soll der Freund auf Alex eingestochen und ihn angezündet haben, um die Spuren zu verwischen. Tags darauf sei das Paar von der Polizei festgenommen, verhört und wieder auf freien Fuß gesetzt worden. "Wir haben natürlich Zeugen vernommen", sagt ein Polizeisprecher. Eine Festnahme aber will er nicht bestätigen.

 

Das Paar habe angeblich schon ein paar Tage zuvor Ärger gemacht, erzählt Karin, die ebenfalls auf der Straße wohnt. Die Frau habe ihr vergangene Woche ins Gesicht geschlagen und anschließend mit einem Messer bedroht. Karin sagt, die Frau habe sie verdächtigt, ihrem Freund eine Tasche mit wichtigen Dokumenten gestohlen zu haben.

 

In der Szene wachsen nun Sorgen. "Wir sind Freiwild, sogar für uns selbst", klagt Franky, der Platten-Papa. Der 59-Jährige ist die gute Seele der Wohnungslosen rund um den Kölner Dom. In den vergangenen Jahren habe sich viel verändert, der Zusammenhalt bröckle immer mehr. "Wir beklauen uns im Schlaf gegenseitig, so etwas darf doch nicht sein. Und jetzt wird auch noch einer umgebracht", raunt er durch seinen dichten, grauen Bart. "Schlimm ist, wenn es wirklich einer von uns war."