Ein Berliner Sender lässt einen bekennenden Neonazi-Rapper eine halbe Stunde lang live im Radio zu Wort kommen. Auch der jüdische Autor Shahak Shapira ist zu Gast. Danach hagelt es Kritik.
Der Berliner Radio-Sender KissFM bezeichnet sich auf seiner Webseite als „multikulturelles und integratives Jugendradio“. Seit einer Woche sieht sich die Radiostation, die „jegliches rechtes Gedankengut ablehnt“, jedoch heftiger Kritik ausgesetzt. Der Grund: Sie hatte in einer Talkshow einen wegen Volksverhetzung verurteilten Neonazi-Rapper zu Wort kommen lassen.
Fast 30 Minuten lang unterhielten sich die Moderatoren Lukas Klaschinski und Toyah Diebel in der Sendung „Facetalk“ am vergangenen Sonntag telefonisch mit Julian Fritsch, der als „MaKss Damage“ auf konspirativ organisierten, rechtsradikalen Konzerten auftritt. Bei diesen rappt der 28-Jährige Zeilen wie „Ich leite Giftgas lyrisch in Siedlungen, die jüdisch sind“ oder „Das Reich lebt, solange seine Vertreter leben, solange blutige Flüsse durch unsere Venen gehen“.
Anstatt Fritsch mit diesen Texten zu konfrontieren, stellten sie ihm im Plauderton Fragen wie „Isst du Döner?“. Als der Rapper beteuerte, er würde „mit jedem reden, der mir sachlich gegenüber tritt“, lobte ihn Moderatorin Diebel ausdrücklich für seine „Toleranz“: „Nicht mal jeder meiner Freunde würde so etwas sagen.“
Darf man so mit einem Neonazi reden? Auf keinen Fall, findet der jüdische Autor Shahak Shapira, der ebenfalls als Interviewpartner für die Sendung mit dem Thema „Deutschland, dein Land?“ eingeladen war. „Wenn man eine Meinung aus dem rechten Spektrum möchte, muss man sich diese nicht von einem Menschen holen, der über Vergasungen und Buchenwald rappt“, schrieb Shapira in einem Beitrag für das Magazin „Vice“.
Falls man sich dennoch dazu entscheide, sollte man „auch die journalistische Kompetenz mitbringen, diese Menschen mit pointierten Fragen zu entschleiern“, so Shapira. Er selbst habe nicht die Möglichkeit bekommen, Fritsch kritisch zu befragen, obwohl ihm der Sender dies zugesichert habe, beklagt der Autor.
Der Rapper wurde im vergangenen Jahr vom Amtsgericht Bielefeld wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 700 Euro verurteilt. Zwei seiner Lieder waren auf einer CD vertreten, die von der NPD im Berliner Wahlkampf 2011 auf Schulhöfen verteilt wurde. Die CD wurde von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auf den Index gesetzt. Fritsch warf der Behörde dabei Aufrufe „zur gewaltsamen physischen Vernichtung der beschriebenen Gegner“ vor.
„Neonazi ist für mich keine Beleidigung“
Aus seiner Einstellung machte der Rapper auch im KissFM-Interview keinen Hehl. „Kannst du damit leben, dass dich jemand Neonazi nennt“, fragte die Moderatorin. „Ich kann auf jeden Fall damit leben, das ist für mich keine Beleidigung“, sagte Fritsch.
Kritik an dem Interview äußerte auch der Politikwissenschaftler Christoph Schulze vom Moses-Mendelssohn-Zentrum der Universität Potsdam. „Bekennende militante Neonazis können keine Partner in einer demokratischen Gesellschaft sein“, sagte er der „Zeit“.
Der Radiosender reagierte auf die Vorwürfe mit einer online veröffentlichten Stellungnahme. „Uns [...] ist es sehr wichtig, harte und emotional aufreibende Themen nicht auszulassen [...]“, heißt es in dem Text. „Wir [...] sehen es als unsere Pflicht, darüber zu reden sowie intensiv zu diskutieren.“
Vielen Hörern reicht dieses Statement jedoch offenbar nicht aus. Seit einer Woche wird jeder Facebook-Post des Senders mit kritischen Kommentaren zum Interview versehen. Den Tenor der Kritiker traf Autor Shapira. „Wer hat ihnen eigentlich ins Hirn geschissen?“, fragte er in seinem Beitrag in Bezug auf die KissFM-Verantwortlichen.