„Eine Katastrophe“—Staiger über das Kiss FM-Interview mit dem Neonazi Makss Damage

„Eine Katastrophe“—Staiger über das Kiss FM-Interview mit dem Neonazi Makss Damage
Erstveröffentlicht: 
14.10.2016

Zwei Kiss FM-Moderatoren gehen auf Kuschelkurs mit einem Neonazi—Marcus Staiger ist (fast) sprachlos.

 

Ach der Julian,

da durfte er sich mal so richtig ausquatschen bei Kiss FM​. Was er denn so erreichen will mit seiner Musik und ob es ihn denn stören würde, dass er als Neonazi bezeichnet wird. Vollkommen überrascht waren da die beiden Moderator*innen Toyah und Lukas​, als der schöne Julian mit den dicken Titten ihnen erklärte, dass der Begriff „Neonazi" absolut keine Beleidigung für ihn sei und dass er sich eben um so etwas wie ein deutsches Erbe und eine deutsche Kultur kümmern würde in seiner Musik. Auf die Frage, was das denn eigentlich ist, wartete man vergebens. Am Schluss wünschte man sich dann auch noch einen schönen Abend und die beiden Moderator*innen wollten dann auch noch von dem Mann in der Leitung wissen, ob er sich denn wohl gefühlt habe beim Interview. Hallo? Geht's noch? Da interviewt man einen beinharten Neonazi und am Schluss will man auch noch von ihm wissen, ob er das Interview als angenehm empfunden hat. Eine Katastrophe.

 

Schlimmer noch allerdings als das verunglückte Interview mit dem Neonazi Julian Fritsch aus Gütersloh war der Rest der Sendung mit dem Titel: „Deutschland, dein Land." Wer sich den Rest der Sendung angehört hat, in der viel und ausführlich und sehr aus dem Bauch heraus über Land und Leute gesprochen wurde, der kann ungefähr erahnen, warum es Toyah und Lukas nicht gelang, den Neonazi auseinanderzunehmen. Es fehlte einfach der andere Ansatz und deshalb dann auch ein paar Argumente.

In der fast dreistündigen Sendung gingen die beiden Moderator*innen der Frage nach, was man denn an Deutschland gut finden kann und ob man stolz darauf ist, Deutscher zu sein, um dann mit diesem leichten Anflug von Schamhaftigkeit die eigentliche Frage zu stellen: „Darf man überhaupt darauf stolz sein, Deutscher zu sein?" Ganz so als wäre das Dürfen das eigentliche Problem.

 

Natürlich darf man das und es wird ja auch getan. Politiker*innen erklären, dass sie stolz drauf sind, Deutsche zu sein. Arbeitslose tun es. Bei jeder WM hängen irgendwelche Stolzen ihre Fahnen zum Fenster raus und immer öfter bleiben sie jetzt auch in den spielfreien Zeiten hängen. Das Dürfen ist offensichtlich nicht das Problem, die eigentliche Frage ist doch aber: Warum sollte man es denn sein und aus welchem Grund? Und aus welchem Grund ist es falsch, wenn man es ist?

 

Dieser Frage gingen Toyah und Lukas nicht nach, außer, dass sie pflichtschuldig erklären, dass man nur auf etwas stolz sein kann, was man selber geleistet hat—nur, um dann im selben Atemzug zu erklären, dass es doch ein paar Vorzüge in diesem Land gibt, die man feiern kann. So etwas wie geteerte Straßen zum Beispiel oder die Bildungschance, die dieses Land so zu bieten hat oder den deutschen Pass, mit dem man als weltoffener, guter und bunter Deutscher fast überall auf der Welt hinfliegen kann. Dafür sind die beiden Kosmopoliten sehr dankbar, wie sie immer wieder betonen und offenbaren darin eine naive Staatsgläubigkeit, die so etwas wie Nationen, Staaten und Grenzen erstmal als etwas total Selbstverständliches voraussetzt. Genauso selbstverständlich wie wenige Minuten später die liebe Toyah davon schwärmt, dass doch alle Menschen dort leben können sollten, wo es ihnen gefällt, was dann allerdings bei Lukas ein bedächtiges Kopfschütteln hervorruft und er mit irgendwelchen Geschichten aus der Urzeit kommt, in der die Menschen ihre Territorien abgesteckt und diese gegen Fremde verteidigt hätten. Das sei schon immer so gewesen. Das war schon früher so und Toyah stimmt ihm zu, wenn sie von Ur-Instinkten in der Klassengemeinschaft erzählt und davon, dass es immer komisch gewesen sei, damals, wenn mal ein Neuer in die Klasse gekommen ist. Dann hätten auch erstmal alle etwas allergisch auf den Fremdkörper reagiert.

 

Lustigerweise bringt keine 15 Minuten später der Neonazi Julian Fritsch​ genau den gleichen Scheiß von den Stammesterritorien, die schon vor Urzeiten verteidigt worden sind und selbst der Hinweis darauf, dass es ihn, den Neonazi in seiner Neonazi-Seele verletzt, dass sich deutsche Kinder auf dem Schulhof den Gewohnheiten der Migranten anpassen würden, tauchte in der Sendung weiter vorne in leicht abgeänderter Form schon einmal auf. Da sprechen Lukas und Toyah nämlich darüber, dass man sich als Zugezogener doch bitteschön den Gepflogenheiten des Gastlandes anzupassen habe, schließlich sei das ja eine Frage des Respekts. Das kommt den beiden genauso selbstverständlich und unbedarft von den Lippen, wie dem Julian die Behauptung vom überfremdeten Schulhof.

 

Wo ist da also der Unterschied? Wo soll da die Kritik herkommen?

Da sich beide Moderator*innen also beharrlich weigern, die Argumente des Neonazis zu prüfen, sie zu analysieren und auseinanderzunehmen, da sie noch nicht einmal nach den Argumenten fragen, verlegen sie sich aufs Psychologisieren.

Zunächst einmal loben sie den Julian dafür, als der erklärt, dass er erstmal mit allen Menschen, egal welcher Hautfarbe oder Religion sprechen würde. Soviel Toleranz von einem Neonazi?—Das überrascht. Dass der liebe Julian die Hälfte seiner Gesprächspartner aber auch ins Gas schicken würde, das wird nicht erwähnt, stattdessen erklären sie ihm, dass sie ihn als Mensch respektieren und auch seine Meinung respektieren.

Da es also offensichtlich gar nicht darum geht, was Julian so zu sagen hat, dreht sich irgendwann alles nur noch darum, wie er es sagt.

Den Ärger über die Missstände könne man ja nachvollziehen, den Hass aber nicht. Warum das alles so voller Hass sei, will Toyah bestürzt wissen, ganz so als wäre der Hass das einzige, was schlimm daran ist. Was Julian zu sagen hat. Seine Argumente. Alles egal. Dass er früher linksextrem war und heute rechtsextrem ist irgendwie beides scheiße, weil extrem und Hass und Hass—warum soviel Hass????

 

Und der Julian darf sich erklären und er darf in seiner eigenen verletzten Seele wühlen und es wird nach Motiven geforscht anstatt nach den Gründen für die Scheiße, die er im Kopf hat. Der Typ hat ja Gründe, warum er Nazi ist. Er hat Argumente. Nach denen müsste man halt mal fragen und diese müsste man widerlegen und man müsste ihm nachweisen, dass er die falschen Schlüsse aus seinen Erfahrungen und Beobachtungen ableitet, stattdessen setzt dann Toyah ihre eigenen Erfahrungen dagegen und schließlich geht es darum, ob er als Nazi auch mal Döner isst oder zum Italiener geht. Und selbst da, beim Thema Essen hätte man ihn mal fragen können, warum er so große Brüste hat und was die da eigentlich so machen in ihrer Wehrsportgruppe und dass es mit dem Kampfsport ja nicht allzuweit her sein kann. Allzuviel Training scheint da ja nicht stattzufinden in seinem beschissenen Naziverein—all das hätte man fragen können. Fragen, fragen, fragen. Aber nein. 

 

Stattdessen wird psychologisiert und der Julian wird gefragt, ob er eigentlich deshalb immer so extrem sein muss, weil er ja eigentlich, im Grunde seines Herzens etwas verändern will in dieser Gesellschaft.

Also manchmal bin selbst ich einfach nur noch sprachlos.

Mit antifaschistischen Grüßen,

​Staiger.