„Das war Selbstjustiz“ Sachsen schickt mehr Polizei nach Bautzen – Flüchtlinge sollen verlegt werden

Erstveröffentlicht: 
15.09.2016

Sachsen will nach den Krawallen am Mittwoch mehr Polizisten nach Bautzen schicken. „Wir werden Gewaltexzesse wie die in der vergangenen Nacht nicht tolerieren“, sagte Innenminister Markus Ulbig. Bautzens OBM will die beteiligten Flüchtlinge verlegen lassen.

 

Bautzen.  Ausgerechnet bei einem Kongress über die „lebendige Stadt“ erreichte ihn am Donnerstagmorgen die Nachricht über die Krawalle. Alexander Ahrens sitzt am Mittag bereits im Auto auf dem Weg von Düsseldorf zurück nach Bautzen – er hat seine Teilnahme an der Tagung abgebrochen. „Ich bin wütend und entsetzt“, sagt der parteilose Oberbürgermeister der 40.000-Einwohner-Stadt, die erneut bundesweit in den Schlagzeilen ist. „Das, was in der vergangenen Nacht passiert ist, ist absolut nicht hinnehmbar.“

 

Am Abend war es auf dem Kornmarkt im Zentrum zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen rund 80 Gewaltbereiten, laut Polizei überwiegend aus dem rechten Spektrum, und etwa 20 jungen Asylbewerbern gekommen. Ein Großaufgebot der Polizei musste dazwischen gehen. Die rund 100 eingesetzten Beamten wurden von den Flüchtlingen mit Flaschen und Holzlatten beworfen. Anschließend wurden die Asylbewerber in ihr Heim für unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA) geführt. Das Gebäude musste von der Polizei vor Asylgegnern geschützt werden. Einen anrückenden Krankenwagen attackierten diese mit Steinen. 

 

Polizeichef: Gewalt in Bautzen ging zunächst von Flüchtlingen aus


Nach Ansicht des Bautzener Polizeichefs Uwe Kilz gingen die gewalttätigen Ausschreitungen zwischen Flüchtlingen und Einheimischen in Bautzen zunächst von Asylsuchenden aus. Aus einer Gruppe von 15 bis 20 unbegleiteten, minderjährigen Asylbewerbern seien Flaschen und Steine in Richtung der Rechten geflogen, sagte Kilz am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Bautzen. Bereits bei einer Konfrontation am vergangenen Freitag wäre Gewalt zunächst von jungen Flüchtlingen ausgelöst worden. Der Landkreis Bautzen will den etwa 30 in der Stadt lebenden jugendlichen Flüchtlingen nun ein Alkoholverbot und eine Ausgangssperre ab 19.00 Uhr aussprechen. Die Stadt Bautzen plant den Einsatz zusätzlicher Streetworker. 

 

Flüchtlinge sollen verlegt werden


„Wir haben eine kleine Gruppe von rund 15 Flüchtlingen, die uns Schwierigkeiten bereitet“, berichtet Ahrens über den mutmaßlichen Auslöser der Krawalle. Es kam schon seit Tagen rund um den Kornmarkt zu Beleidigungen und Pöbeleien, Sachbeschädigungen, auch tätlichen Angriffen. „Wir wollten uns gemeinsam darum kümmern und unter anderem die Sozialarbeit verstärken. Wir haben auch erwogen, die jungen Leute in verschiedene andere Unterkünfte innerhalb des Landkreises zu verlegen“, so der OBM. Das soll nun „kurzfristig, innerhalb weniger Tage“ geschehen, kündigt der OBM im Gespräch mit LVZ.de an.

 

Was sich am Abend im Herzen der Kleinstadt abspielte, nennt Ahrens „Selbstjustiz“ und betont: „Ich verurteile die Versuche, auf eigene Faust für Ordnung in der Stadt zu sorgen. Das Gewaltmonopol liegt in unserem Staat bei der Polizei – und daran gibt es keinen Deut zu rütteln.“ Für eine „Bürgerwehr“ gebe es keinen Spielraum. 

 

Rechtsextreme reisten offenbar von außerhalb an


Die Rechtsextremen, die die Flüchtlinge auf dem Weg zu ihrem Heim verfolgten und mit Parolen wie „Wir sind das Volk“ durch die Straßen zogen, seien wohl nicht ausschließlich Einheimische gewesen, will der OBM erfahren haben. „Ich erhielt Informationen, dass auffällig viele Autos mit Pirnaer Kennzeichen in der Stadt waren.“ Zur Herkunft der Angreifer machte die Polizei bislang keine Angaben. Festnahmen gab es nicht.

 

Die Krawalle rücken die ostsächsische Stadt erneut ins bundesweite Rampenlicht. Die Bautzner Linken-Bundestagsabgeordnete Caren Lay spricht sogar von einer „Pogromstimmung“ in der Stadt und mutmaßt, dass der rassistische Angriff gezielt geplant war. „Es ist mir völlig unverständlich, dass die Polizei nach vier Tagen der Eskalation in Bautzen zu Beginn mit nur acht Mann vor Ort war, wie Augenzeugen berichten. Die Polizei hat nicht etwa die Rechten, sondern Geflüchtete zum Gehen aufgefordert. Das ist völlig inakzeptabel. Wir dürfen nicht zulassen dass Neonazis ‚national befreite Zonen‘ in unseren Städten erkämpfen“, erklärte Lay.

 

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sagte am Nachmittag dem Spiegel: "Der Ausbruch der Gewalt in Bautzen - von welcher Seite auch immer - ist völlig inakzeptabel. Die Attacke auf einen Rettungswagen gefährdet nicht nur Verletzte sondern auch die Helfer. Das ist tiefer Hass und menschenverachtend. Ich erwarte auch in diesem Fall, dass die Täter von Polizei und Justiz zur Rechenschaft gezogen werden." 

 

Asylfeindliche Demo am Abend geplant


Rechtsextremisten trommeln im Internet unterdessen für den Abend zu einer Demonstration unter dem Motto „Bautzen bleibt deutsch!“, die um 20 Uhr vom Holzmarkt zum Kornmarkt führen soll. „Zeigen WIR, das wir diese momentanen kriegsähnlichen Zustände, provoziert von eigentlichen Schutzsuchenden nicht tolerieren! Bautzen ist und wird auch kein Sammelbecken für gewaltbereite Asylanten!“ (Fehler im Original), heißt es auf der Facebookseite der Initiative „Widerstand Bischofswerda“.

 

Der Freistaat Sachsen kündigte unterdessen als Reaktion auf die Krawalle an, mehr Polizisten in die Stadt zu schicken. „Wir werden Gewaltexzesse wie die in der vergangenen Nacht in Bautzen nicht tolerieren, und die Polizei wird mit aller Konsequenz gegen derartige Straftäter vorgehen – egal, aus welcher Richtung sie kommen“, sagte Innenminister Markus Ulbig (CDU).

 

Staatsanwaltschaft und Polizeidirektion Görlitz würden derzeit unter Hochdruck ermitteln. „Dabei geht es auch um die Entwicklungen im Vorfeld der jüngsten Auseinandersetzung rund um den Bautzener Kornmarkt.“ Hier seien aber nicht nur Polizei und Justiz, sondern auch die Bürger von Bautzen gefragt. Auch das für Extremismus zuständige Operative Abwehrzentrum (OAZ) ist in die Ermittlungen mit eingebunden. Es werde derzeit Videomaterial ausgewertet, erklärte der stellvertretende Leiter der Polizeidirektion Görlitz, Klaus Mehlberg, am Donnerstag in Bautzen. Die Polizei ermittelt wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs sowie gefährlicher Körperverletzung. Zahlreiche Personalien seien aufgenommen worden, eine Reihe von Personen der Polizei bereits bekannt.

 

Die Polizei kündigte zudem an, ihre Präsenz auf dem Kornmarkt in Bautzen zu verstärken. «Wir werden auch in den nächsten Tagen vor Ort sein und das Problem in den Griff bekommen», sagte Mehlberg. Dafür seien noch mehr Zusatzkräfte als bisher geplant. Der Leiter des Polizeireviers Bautzen, Uwe Kilz, sieht die Polizei nach den wiederholten Einsätzen der vergangenen Tagen an der Grenze.