«Wir sind zu attraktiv als Asyl-Land»

Erstveröffentlicht: 
11.04.2010
Alard du Bois-Reymond, der neue Direktor des Bundesamts für Migration, setzt eine Task-Force gegen nigerianische Asylbewerber ein. Ein grosser Teil von diesen sei kriminell, sagt er.

 

NZZ am Sonntag: Der Bund bewilligt nur jedes sechste Asylgesuch, alle anderen Anträge lehnt er ab. Wie verhindern Sie, dass auch künftig Tausende von Menschen ohne Chance auf Asyl in die Schweiz kommen?

Alard du Bois-Reymond: In erster Linie wollen wir das Problem mit den Nigerianern lösen. Sie haben letztes Jahr mit fast 1800 Asylgesuchen am meisten Anträge gestellt – 99,5 Prozent von ihnen ohne die geringste Chance, in der Schweiz bleiben zu können. Sie kommen nicht als Flüchtlinge hierher, sondern um illegale Geschäfte zu machen.

Warum kommen sie gerade in die Schweiz?

Weil sie hier offensichtlich ein gutes Netz haben und die zweitgrösste Kolonie von Landsleuten in Europa vorfinden. Ein grosser Teil von ihnen driftet in die Kleinkriminalität ab oder betätigt sich im Drogenhandel. Das ist eine traurige Tatsache.

Was wollen Sie dagegen unternehmen?

Wir sind auf die Mithilfe der nigerianischen Behörden angewiesen und wollen die gute Zusammenarbeit mit ihnen vertiefen. Wir brauchen ein neues Rückübernahmeabkommen mit Nigeria. Es ist dabei denkbar, dass wir als Gegenleistung Unterstützung bei der Sicherung der nigerianischen Staatsgrenzen bieten. Eine internationale polizeiliche Zusammenarbeit liegt im Interesse Nigerias, das den Ruf als Heimat vieler Drogenhändler loswerden will.

Und was muss sich hier ändern?

Daneben will ich auch die Prozesse in der Schweiz beschleunigen. Abgewiesene Asylbewerber müssen schneller zurückgeführt werden. Zu diesem Zweck setze ich eine Task-Force mit Mitarbeitern aus anderen Departementen und aus den Kantonen ein. Beigezogen werden auch die Polizeien, weil es nicht zuletzt um die Bekämpfung von Drogenhandel geht. Die Task-Force soll bis im Sommer ein Massnahmenpaket präsentieren.

Wo sehen Sie Schwierigkeiten?

Ein zentrales Problem ist, die Herkunft der Gesuchsteller zu eruieren und sie anschliessend zurückzuschaffen. Faktisch kann ein abgewiesener nigerianischer Asylbewerber zurzeit ein Jahr in der Schweiz bleiben. Sein Ziel ist es ja auch, möglichst lange hier tätig sein zu können.

Mit Ihren Massnahmen gegen Nigerianer stigmatisieren Sie eine einzelne Gruppe von Asylbewerbern.

Ich habe gerade von Asylbewerbern gesprochen, die krassen Missbrauch betreiben. Man muss die einzelnen Gruppen der Gesuchsteller differenziert betrachten. Bei den Asylbewerbern aus Eritrea beispielsweise geht es um Menschen, die in ihrer Heimat mit teils unerträglichen Bedingungen konfrontiert sind. Das ist eine ganz andere Ausgangslage als bei den Nigerianern. Und wiederum anders verhält es sich mit Asylsuchenden aus Somalia oder Sri Lanka.

Werden Sie gegen nigerianische Asylbewerber auch deshalb aktiv, weil das Parlament gerade die Ausschaffungsinitiative der SVP behandelt?

Nein, das hat damit nichts zu tun. Das Problem mit den Nigerianern ist real und soll nicht tabuisiert werden – im Interesse aller Asylbewerber, die gute Gründe haben, in die Schweiz zu kommen. Heute spricht ja kaum jemand von echten Flüchtlingen. Mit Asylbewerbern meint man oft Scheinasylanten. Im Asylwesen ist das Randthema des Missbrauchs dominant geworden – wie in der Invalidenversicherung das Randthema der Scheininvaliden.

Wie wollen Sie Asylbewerber schützen, die tatsächlich aus ihrer Heimat flüchten müssen?

Damit die humanitäre Tradition der Schweiz nicht verloren geht und nicht von Debatten über Asylmissbrauch überdeckt wird, müssen wir streng sein mit denjenigen, die das System austricksen wollen. Es ist eine Tatsache, dass sich gewisse nigerianische Asylbewerber über die Naivität der Schweizer lustig machen und die Schwächen des Asylverfahrens ausnutzen. Für mich ist klar: Wir sind zu attraktiv als Asyl-Land für missbräuchliche Gesuchsteller. Die Schweiz lässt diesen zu viel Zeit, hier krumme Geschäfte zu machen. Allerdings braucht es Zeit, um das zu ändern. Deshalb rechne ich auch dieses Jahr mit etwa 16 000 Asylgesuchen.

Ein nigerianischer Asylbewerber ist kürzlich bei einer Zwangsausschaffung gestorben.

Die Aufklärung des tragischen Vorfalls liegt auch in unserem Interesse. Parallel zu den Untersuchungen der Zürcher Staatsanwaltschaft sind wir mit den involvierten kantonalen Behörden im Gespräch und prüfen gemeinsam, ob bei den Abläufen Veränderungen nötig sind. So können wir wieder Sonderflüge für abgewiesene Asylbewerber durchführen, sobald die Untersuchungsergebnisse vorliegen.

Neben dem Asylwesen ist die Integration, vor allem die Integration von Muslimen, eine Aufgabe des Bundesamts für Migration. Wie soll diese Integration aussehen?

Es ist zu früh, über konkrete Massnahmen zu sprechen. Sicher aber ist, dass das Thema wichtig ist und in den richtigen Relationen gesehen wird. Von den rund 350 000 Musliminnen und Muslimen in der Schweiz praktizieren nur rund 50 000 ihren Glauben. Und nur rund 10 000 Musliminnen und Muslime sind strenggläubig. Vor allem diesen müssen wir klarmachen, dass in der Schweiz unsere Werte und unsere Gesetze gelten.

Gegenwärtig sorgen vor allem junge Schweizer für Schlagzeilen, die zum Islam konvertiert sind und sich im sogenannten Islamischen Zentralrat organisiert haben.

Diese Islam-Konvertiten gehören zu einer Gruppe, bei der Integrationsmassnahmen keinen Erfolg haben. Der Grund ist einfach: Sie sind bereits integriert, und zwar sowohl sozial als auch ökonomisch. Allerdings sind sie Dialog-resistent. Einzelne von ihnen wollen eine radikal andere Gesellschaft, einen Gegenentwurf zur bestehenden Ordnung. Darin kann, wie Fälle aus Deutschland oder England zeigen, ein Nährboden für potenzielle Terroristen liegen, vergleichbar mit den früheren RAF-Terroristen in Deutschland. Auch sie waren integriert, strebten aber eine radikal andere Gesellschaft an. Solche Islam-Konvertiten wären für mich keine Folge mangelnder Integration, sondern schlicht ein Sicherheitsproblem für unser Land.

Und wie soll der Staat dieses Sicherheitsproblem lösen?

Mit Mitteln der Polizei und der Nachrichtendienste. In demjenigen Moment, in dem die öffentliche Sicherheit gefährdet ist, muss der Staat eingreifen. Es gilt die geltenden Gesetze anzuwenden und durchzusetzen.

Es gibt nicht nur Islam-Konvertiten, sondern auch ausländische Muslime, die in die Schweiz immigriert sind und strenggläubig, ja radikal sind.

Das ist nicht auszuschliessen. Um einer möglichen Radikalisierung von Migranten entgegenzutreten, müssen wir für eine schnelle und gute Integration dieser Menschen sorgen.

Braucht es für die schnelle und gute Integration, die Sie erwähnen, mehr Entgegenkommen der Schweizer? Oder mehr Anpassung der Migranten?

Natürlich braucht es immer beides. Aber es gibt Dinge, die bei einer Integration nicht diskutierbar sind. Um beim Beispiel der Muslime zu bleiben: Die Scharia darf in der Schweiz in keinem Fall zur Anwendung kommen. Und zwar auch nicht in Bereichen, die durch das Schweizer Recht nicht abgedeckt sind.

Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf, Ihre politische Vorgesetzte, hat auch schon laut über ein Burka-Verbot nachgedacht.

Solange es in der Schweiz faktisch keine Burka-Trägerinnen gibt, stellt sich die Frage eines Verbots nicht. Sollte das einmal anders sein, sähe ich allerdings durchaus Handlungsbedarf: Das Burka-Tragen verstösst gegen unsere Werte. Es verletzt den Grundwert, dass Mann und Frau gleichwertige Menschen sind.

Mit dieser Argumentation müsste in der Schweiz auch Kopftuch-Tragen verboten werden.

Das Bundesgericht hat bereits klar entschieden, dass das Tragen von Kopftüchern in öffentlichen Ämtern unzulässig, hingegen im privaten Bereich zulässig ist. Ein ähnliches Beispiel ist der Schwimmunterricht. Wenn eine Schulklasse schwimmen geht, so haben alle Kinder dem Schwimmunterricht zu folgen. Es gilt, unser Recht zu respektieren und das geltende Recht durchzusetzen.


Interview: Lukas Häuptli, Andreas Schmid