"Blut der Erde" - ein Bericht aus dem Regenwald

Tena - Ecuador

 Der Titel bringt das scheinbar unverständliche Argument der »Indigenen« auf den Punkt: »Was für die großen Öl-Kompanien lediglich ein Produkt zum Verkauf darstellt, ist für uns das Blut der Muttererde. Wir mögen dem großen Kapitalherren, die ohne Zweifel die Welt immer mehr, bis in ihren kleinsten Winkel unter Kontrolle gebracht haben, als mysteriöse Spinner erscheinen, die keine Ahnung vom Geschäft haben, doch haben Sie noch viel weniger Ahnung von dem, was wir sprechen: ja und wir sprechen im Namen der Natur, als dessen Teil wir uns erleben: finsteren Geistern folgt Ihr, unwiderruflichen Schaden bringt ihr über die Welten!«

 

Dies sind Worte von Rositta, sie spricht in einer selbstbewussten Körperhaltung, ihre Blicke streng, ohne das sie jedoch Angst einflößen möchte – während Luis, ebenfalls aus der Region Napo in Ecuador, eher zurückschaltend in die Ferne sucht, ausholt, einatmet und spricht: »Dieser Blick auf uns, voller Gewalt, herrscht schon seit der Kolonialisierung Indoamerikas, seit damals sieht das christliche Abendland in uns primitive Untermenschen, die kultiviert gehören, wie überhaupt dieser Lebensraum Namens Regenwald, mit all seinen Erscheinungen als 'primitiv' angesehen und stets kultiviert werden soll. Schauen wir nochmal, mit Augen, nicht mit Gier! Was ist hier 'Primitiv', was 'Kultur'? Gibt es was primitiveres als das zu zerstören, was uns alle ernährt, als diese immense Feindseligkeit gegenüber über der Existenz – wie sie der Kolonialismus repräsentiert. Das Primitive ist nicht am Fortschritt der Technik zu messen, sondern daran, inwieweit die Existenz verstanden hat, sich und die Umwelt versteht, es ist also gar nicht messbar! Und nichts versteht der primitive Mensch im Namen des Kolonialismus, Kapitalismus, rennt es nur rastlos der Gier hinterher, welches er niemals einholen könnte, weil das falsche Versprechen stets das schnellere, uneinholbare Tier ist! Und noch nicht mal seine Gier versteht der Primitive!« Rositta ergreift sich das Wort, der Ton fällt nicht, als würde immer die selbe Person sprechen: »Und noch immer herrscht der Kolonialismus, heute unter anderen, »humaneren« Masken. Obwohl schon die meisten unter Waffengewalt den 'neuen' Standpunkt eingenommen haben, weil sie das Leben dem Tod stets vorziehen, werden wir noch immer als Ding zur Kolonialisierung angesehen. Es gibt heute kaum noch Nativos, die nicht irgendwie Christen wären und dennoch wird mit unglaublichen Mitteln weiter missioniert. In den Außenbezirken und Vororten von Quito gibt es sogenannte Sozialeinrichtungen, wo vor allem Waisenkinder und andere Hilfebedürftigen 'versorgt' werden. Doch es gibt einen Haken an der Sache, wer nicht jeden Tag am Bibelunterricht teilnimmt, seinen Körper nicht der Wäscherei des Christentums ausliefert, muss das 'soziale' Zentrum wieder verlassen. Verstehst Du! Selbst noch in dieser Notlage der Leute werden sie von der Lüge der 'Nächstenliebe' ausgenutzt, ihre Notsitutation ausgenutzt zur Zwangschristianisierung. Und was sollen die Leute tun – natürlich wird man Christ, Katholik, Evangele und wie sie alle heißen, diese Großsekten, weil der Mensch nun mal überleben möchte, weil er überleben möchte, wählt es den Tod« Von ihrem eigenen Worte überrascht, verstummen sie, verstummen wir, lauschen der Musik des Waldes. »Viele der Kinder [setzt Sie fort] sprechen heute eher spanisch als indigene Sprache, bevorzugen Produkte aus imperialistischen Ländern – und dennoch, trotz all dieser Assimilation und Integration werden sie vom Kolonialismus als Fremdkörper behandelt – wir sind hier der Hinterhof der Paläste, die deren Leben tagtäglich das Blut spendet.«

 

Damit ist weniger die Metapher vom Titel gemeint, als die strenge Arbeit, die Menschen in Ecuador verrichten, bereits mit wenigen Jahren, steht das Kind im Produktionsverhältnis, soweit ein Kinderkörper arbeiten kann, danach als Erwachsener für wenige Dollar. Doch dies, die Situation der Arbeiter_innen in Ecuador ist ein anderes Thema, von dem gewiss berichtet werden müsste, doch hier vielmehr zu Wort kommen soll, was in seiner Trivialität kaum Gehör findet. Rositta: »Im Irak ist es offensichtlich, weil es Krieg gibt, das auf den Leichen von Millionen sich unübersehbar der Weltgemeinschaft zeigt. Pachamama halte dies fern von uns, doch wer kennt die Situation in Ecuador oder ein paar Kilometer weiter in Peru? Jede_r weiß, dass es im Irak um das Öl geht, dass das Geschäft mit dem Öl, wie jedes dieser Geschäfte, über Tote geht, dermaßen besessen ist von der Gier, dass es es vor dem Schrecklichsten nicht halt macht. Seit Jahrzehnten unterstützen die großen Firmen, entweder direkt oder über ihre Regierungen, zumeist die USA, Militärs und Paramilitärs, um die Leute klein zu halten und die Rohstoffe, sowie Arbeitskräfte Südamerikas auszubeuten. Natürlich, heute hat man dazu gelernt, es läuft alles viel moralischer ab, das heißt psychologischer, es werden Gelder in Werbungen und Unterhaltung investiert, die entweder darauf ablaufen, korrupte Politikern die Wiederwahl zu ermöglichen, Politiker, die als Gegenleistung den Zustand der Ausbeutung aufrecht erhalten, oder noch besser, die Medien verdummen einfach die Leute, verschließen ihre Augen, brechen ihre Zungen, machen sie unfähig. In all dieser angeblichen Unterhaltung verliert der Mensch gerade das Leben zu genießen, denn dafür müsste es zuerst (er)leben.
Dazu kommt der große Alkoholkonsum, das Spiel mit den chemischen Drogen. Jene Sklaven, die von den Medien nicht endgültig verdummt werden konnten, wird mit viel Alkohol nachgeholfen. Es gibt fast kaum eine indigene Gemeinschaft, wo nicht regelmäßig und strukturell der Alkoholkonsum gefördert wird, den Rest macht die Sucht; und während die Menschen dauerberauscht dahinvegetieren, fließt nebenbei das Öl, wird das Holz abgerodet, Lebensraum getötet...«

 

Seit Jahren demonstriert man in Tena, immer offenkundiger, gegen Ölkompanien und die Zerstörung des Regenwaldes, sowie gegen die kapitalistische Logik der Nutzbarkeit und Verwertung von Leben und Natur. Dennoch endet selbst das feurigste Gespräch in einer gewissen Bescheidenheit, es scheint so als würde die Bewegung hier jene Macht, die es zu Überwindung der Probleme bräuchte, gar nicht haben wollen. Doch wie verändern ohne Macht? Rositta: »Wir sind stark, schau mich an, sieh mir in die Augen, das ist Stärke! Ja aber wir wollen nicht diese Stärke gegen andere anwenden, wenn jemand mutig ist, stark, soll er[/sie] gegen seine eigenen Ängste kämpfen, wenn er stark ist, helfen, wo es Not tut, wo Hilfe benötigt wird, einen Baum pflegen, den Sternen horchen, auf die Umgebung achten, auf die Familie aufpassen.
'Wir' sind keine Nationalisten, wir wissen nicht einmal was das sein soll 'eine Nation'. Sieh hier nennen sie es Ecuador, da drüben heißt es Peru, hier soll angeblich eine Grenze sein. Wo bitte? Es gibt keine Grenze! Es ist der Regenwald, alle sind willkommen, die hier leben möchten und können, dabei ist es egal ob du 'Gringo' bist oder»Kichuwa« sprichst. Nicht deswegen erheben wir unsere Stimme, weil es 'Ausländer' sind, die ihr unwesen treiben, sondern weil es eben ein Unwesen ist: finsteren Geistern folgt Sie, unwiderruflichen Schaden bringt es über die Welten!«

 

in Hoffnung und Stärke des Regenwaldes.