20 Millionen Euro sammelte Travel24 bei Anlegern ein – um damit eine Hotelkette aufzuziehen. Passiert ist bisher nichts. Wer der Spur des Geldes folgt, landet bei einer Schweizer Firma – und in der Nähe der rechten Szene.
Leipzig. Leipzig, Anfang Februar, das Ring-Messehaus. Die Front ist von Gerüsten verdeckt, über dem Bau kreisen die Kräne, rotierende Betonmischer warten darauf, Material abladen zu dürfen. Hinter der Altbau-Fassade anno 1926 klafft eine Fußballfeld große Lücke. Die Bauarbeiter haben gerade die Tiefgarage gegossen. Nur eine Plakatwerbung erinnert daran, was hier einmal entstehen soll. Auf dem bunten Banner planscht eine Blondine mit Badeschaum. „Hier entsteht ein Travel24 Hotel“, steht daneben in poppigen Buchstaben. Nur, wann es eröffnen wird, das steht dort nicht.
Eigentlich sollten hier schon seit 2013 Hotelgäste einchecken. So hat es Travel24 einst vollmundig angekündigt. Knapp 500 Kilometer weiter westlich sieht es noch schlechter aus. Im Dezember 2013 sollte auch in Köln ein Travel24-Hotel die Besucher locken. Doch die Immobilie wurde für 10,5 Millionen Euro einfach verkauft. Weitere Hotelpläne, etwa in Essen und Berlin, liegen auf Eis.
Das Ganze ist ein Rätsel, und für Travel24-Anleger kein schönes. Noch vor wenigen Jahren sah alles danach aus, als erobere eine neue Hotelkette Deutschlands Innenstädte (Markenzeichen: Badewanne in Damenschuhform). Die beiden Gründer Thomas Wagner und Daniel Kirchhof waren mit ihrem Online-Reisevermittler Unister (fluege.de, ab-in-den-urlaub.de) bereits eine große Nummer. Sie vermitteln Flugtickets und Hotelzimmer, kassierten Provisionen. In der Fernsehwerbung posierten Fußballpromis wie Reiner Calmund und Michael Ballack für ihre Portale.
Jetzt also das Hotel-Business. Mit der Unister-Tochter „Travel24“ wollten sie eine Kette mit 25 Zwei-Sterne-Häusern aufziehen. Hochwertiges Design, beste Lage in deutschen Großstädten – und alles zum Schnäppchenpreis von 59 bis 69 Euro pro Nacht. Das Geschäftsmodell war dem der Erfolgskette MotelOne zum Verwechseln ähnlich.
Um genügend Cash in die Reisekasse zu spülen, sammelte Travel24 für das Hotelprojekt im Sommer 2012 Geld über eine Mittelstandsanleihe ein. Der Anlegerprospekt las sich so wohlwollend wie ein Urlaubsprospekt. Mit den Millionen sollten demnach insbesondere das Hotel in Köln und das in Leipzig um- und ausgebaut werden. Für das Vertrauen versprach Travel24 den Anlegern einen üppigen Zins von 7,5 Prozent. Knapp 20 Millionen Euro sammelten sie ein.
Doch bis heute gibt es kein Travel24-Hotel. Was ist mit dem Geld geschehen?
Wer der Spur des Anlegergeldes folgt, landet bei einer weitestgehend unbekannten Schweizer Firma namens Loet Trading AG. Millionengelder wurden über sie weitergeleitet. Ein erbitterter Gesellschafterstreit zwischen Wagner und Kirchhof ist auch wegen ihr entbrannt. Und zum Grauen der Unister-Gesellschafter ist ein Hintermann der Loet Trading in der rechten Szene bekannt.
Alles begann 2012. Bei Unister beschloss man, sich eine diskrete Vorratsgesellschaft in der Schweiz zuzulegen: die Loet Trading, eine AG auf Inhaber-Aktien. Die Papiere sind anonymisiert. Wer einen Kaufvertrag vorlegen kann und die Aktien physisch in den Händen hält, ist Besitzer des Unternehmens. Am 20. August 2012, so viel steht fest, waren das die vier Unister-Gesellschafter Thomas Wagner, Daniel Kirchhof sowie Christian und Oliver Schilling.
Wann genau die Unister-Gesellschafter die Loet weiterreichten, ist strittig. Fest steht: Für 100.000 Schweizer Franken verkauften Wagner und Co die Firma an den Duz-Freund Kirchhofs, Reinhard Rade. Was niemanden bei Unister zu stören schien: Rade hat eine Vergangenheit in der rechten Szene. Gegenüber dem Handelsblatt sagte Rade, er sei seit 20 Jahren nicht mehr politisch aktiv, gehe heute nur noch ab und an bei den Leipziger „Legida“-Demonstrationen mit.
Am 17. September 2012 kam die Loet schließlich zum Einsatz. Genau an jenem Tag, an dem Travel24 über die Mittelstandsanleihe knapp 20 Millionen Euro
eingesammelt hatte. In den Verträgen ging es um Domains, Konzepte, Markenrechte. Das Hotelkonzept zum Beispiel. Ebenso wie die Rechte für die Domains
„Travel24.com“ und „Travel24.de“ oder die Marke „Travel24“ überhaupt.
Unister hatte die ganzen Lizenzen 2009 für 1,5 Millionen Euro von Travel24 erworben. Mit dem Kauf sollte die Unternehmenstochter saniert werden, erklärt Unister. Im September 2012 wollte Unister die Rechte nun zurückgeben – und gönnte sich einen satten Gewinn. Über vier Millionen Euro stellte Unister der Tochter in Rechnung. Offiziell lief das Geschäft über jene Firma, die man eigens für solche diskreten Deals gekauft hatte: die Loet Trading. Das Geld für die Lizenzen, davon geht Unister heute selbst aus, stammte aus den frischen Einnahmen der Mittelstandsanleihe.
Und der Markenrechte-Deal blieb nicht das einzige fragwürdige Geschäft, das Travel24 im September 2012 mit der Loet einging. Die Travel24-Anleihen waren nämlich beileibe nicht so beliebt, wie erhofft. Travel24 blieb auf Schuldverschreibungen sitzen. Aus „optischen Gründen“, berichtet ein Insider, habe Travel24 die Anleihe-Resterampe im Wert von 7,3 Millionen Euro auf die Loet übertragen. Schließlich wollte Travel24 der Öffentlichkeit eine Vollplatzierung der Anleihe präsentieren. Die Loet sollte hinter den Kulissen als Zwischenhändlerin fungieren. Das Geld für die Anleihen musste Loet erst dann an Travel24 überweisen, wenn sich jeweils Käufer für die Papiere gefunden hatten.
Doch Mitte Dezember 2012 erschütterte ein Beben die Unister-Welt, das jegliche Anleihenverkäufe zum Erliegen brachte. Beamte des Landeskriminalamts Dresden durchsuchten die Firmenzentrale, nahmen Kirchhof und Wagner fest, verbrachten sie in Untersuchungshaft. 130 Ermittler durchsuchten derweil 20 Büros in Dresden, Leipzig, Hamburg und Stralsund. Der Verdacht: Die Firma soll Versicherungsprodukte illegal vertrieben und dafür keine Steuern gezahlt haben. Die Beschuldigten beteuern ihre Unschuld.
Gegen eine Kaution von 500.000 Euro plus ein Aktienpaket (Wagner) und 100.000 Euro (Kirchhof) kamen die Manager wieder frei. Ein guter Bekannter Kirchhofs half zudem mit einer Grundschuld für die Kaution aus: Loet-Mann Reinhard Rade.
Die Loet blieb indes auf Travel24-Anleihen in Millionenhöhe sitzen. Doch offenbar fand sich dafür eine Verwendung. Einen Teil der unbezahlten Papiere nutzte die Firma später als Sicherheit, um den Kauf einer Gewerbeimmobilie in Leipzig zu besichern. Als Loet den Immobilienkredit nicht mehr bediente, war Travel24 gezwungen, der Loet im April 2015 einen Kredit in Höhe von zwei Millionen Euro zu gewähren. Im Gegenzug übertrug Loet die Anleihen zurück.
Nicht weniger brisant ist ein weiterer Kredit, den Travel24 schon im November 2012 an Unister gewährte. Fünf Millionen Euro lieh die Tochter der Unternehmensmutter. Und das zum Vorzugspreis: Während Travel24 seinen Anlegern 7,5 Prozent Anleihezins zahlen musste, gab man die fünf Millionen für nur fünf Prozent Zinsen an Unister weiter.
Auch wegen der Deals um die Anleihe kam es zum Eklat zwischen den Gesellschaftern Wagner und Kirchhof, der in einer öffentlichen Schlammschlacht endete. Wagner setzte Kirchhof vor die Tür – und warf ihm Veruntreuung von Unternehmensgeldern vor. Das Verhältnis von Kirchhof zu Rade sei ein zentraler Grund für den Ausschluss. „Die verbleibenden Gesellschafter distanzieren sich von Herrn Rade in aller Deutlichkeit. Weder sein Geschäftsgebaren noch seine politische Gesinnung stoßen hier auch nur im Ansatz auf Verständnis“, sagte Wagner dem Handelsblatt.
Kirchhof seinerseits attestierte seinem einstigen Kompagnon Wagner Realitätsverlust – alles nachzulesen in einem öffentlich gewordenen Brief. Im Dezember 2015 schließlich warf Kirchhof auch seinen letzten Posten hin: den Aufsichtsratsvorsitz der Unister-Tochter Travel24. Zum Abschied hinterließ Kirchhof einen Compliance-Bericht, der die Travel24-Spitze des Kapitalanlagebetruges bezichtigte. Die Anleger, so der Tenor, seien über die wahre Mittelverwendung nicht hinreichend informiert worden. Auch hierin spielte die Loet eine Rolle. Travel24 hält die Prüfungsergebnisse für nicht nachvollziehbar und hat eine eigene Prüfung initiiert.
Derweil stellt sich für die Anleger die bange Frage, ob sie ihr Geld wiedersehen werden. Laut Travel24 soll das Leipziger Hotel noch in diesem Jahr eröffnen. Der Bau wird laut Planung 16 Millionen Euro verschlingen. Der größte Teil der Anleihesumme wurde also ausgegeben, um ein einziges Hotel zu bauen. Die Suche nach Käufern läuft bereits.
Am 17. September 2017, auf den Tag fünf Jahre nach den Loet-Deals, sollen die Anleger ihr Geld zurückbekommen. Ob der Plan aufgeht, scheint unsicherer denn je.